Berlin. Eigentlich will die AfD beim Parteitag am Wochenende über Sozialpolitik reden. Doch Gesprächsbedarf gibt es zu ganz anderen Themen.
Eigentlich soll es um Inhalte gehen: Wenn die AfD ab Sonnabend zu ihrem Bundesparteitag im niederrheinischen Kalkar zusammenkommt, will die Partei endlich eine Leerstelle im Programm füllen und sich ein renten- und sozialpolitisches Profil geben. Doch es sind nicht Debatten über Vorsorgemodelle, die die AfD derzeit am meisten beschäftigen.
Das Jahr wurde bestimmt von Schlagzeilen über den erbitterten Streit um die Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz und Szenen wie kürzlich im Bundestag, als von der AfD-Fraktion als Gäste geladene Youtuber Abgeordnete anderer Parteien bedrängten. Und dann gibt es da immer noch das Bundesamt für Verfassungsschutz , wo demnächst eine Entscheidung über eine Beobachtung der Partei fallen könnte.
AfD: Die Verfassungsschützer werden aufmerksam nach Kalkar schauen
Bei den Verfassungsschützern in Köln wird man gerade diesen Parteitag aufmerksam verfolgen. Seit fast zwei Jahren beschäftigt sich die Behörde intensiv mit der AfD. Schon seit Januar 2019 gilt sie als „Prüffall“ – allerdings nur „intern“. Lesen Sie dazu: Esken: Verfassungsschutz soll AfD stärker beobachten
Die jüngsten Störaktionen im Bundestag bei der Abstimmung über das Infektionsschutzgesetz , aber auch die Wiederwahl von Rechtsaußen Björn Höcke als Co-Chef des Thüringer Landesverbandes dürften die Kölner Behörde in ihrer Analyse bestätigt haben, dass die Rechtspopulisten sich radikalisieren.
Der „Flügel“ hat sich aufgelöst – eine Finte?
Höcke stand lange Zeit an der Spitze des „Flügels“ mit seinen etwa 7.000 Mitgliedern. Die Organisation wurde vom Verfassungsschutz als „eine gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestuft“ und hat sich inzwischen aufgelöst. Doch Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang hält das für eine Finte.
Denn: Die Anhänger des früheren rechtsnationalen „Flügels“ sind nicht weg. Vielmehr kämpfen sie nach Einschätzung des Verfassungsschutzes um mehr Einfluss in der AfD. Mit Erfolg? Ein Parteitag ist da wie eine offene Bühne.
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Prüffall, Verdachtsfall und Beobachtungsfall
Der Verfassungsschutz kennt drei Kategorien: den Prüffall , den Verdachtsfall und den Beobachtungsfall . „Geprüft“ werden unter anderem die programmatische Ausrichtung, die Verbindungen zu rechtsextremistischen Bestrebungen und die öffentlichen Äußerungen führender Protagonisten.
Eine Prüfung bedeutet zunächst nur, dass eine Organisation im Visier des Verfassungsschutzes ist. Sie wird auf verfassungsfeindliche Inhalte durchgescannt. Aber dieser Prozess muss ergebnisoffen sein. Deswegen darf Haldenwang die Partei nach einem Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts öffentlich auch nicht als Prüffall bezeichnen. Denn das wäre schon eine Stigmatisierung.
Eine „Prüfung“ kann auch mit einem „Freispruch“ enden
Eine „Prüfung“ schließt die Möglichkeit ein, dass die Partei doch keine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung darstellt. Eine Partei kann nicht ewig auf dem Prüfstand bleiben. Haldenwang hat mal gesagt, dass man nicht länger als zwei Jahre für ein Ergebnis brauchen werde. Der Verfassungsschutz ist längst unter Zeitdruck – eine Entscheidung ist nach dieser Logik spätestens Ende Januar 2021 zu erwarten.
Bei einem Verdachtsfall – die nächsthöhere Stufe – liegen schon begründete Hinweise vor und dem Amt stehen mehr Mittel zu, um Erkenntnisse über eine Gruppierung zu gewinnen. Nun beginnt eine systematische Informationsgewinnung auf Bundes- und Landesebene. Die AfD-Jugendorganisation JA ist solch ein Verdachtsfall.
Der „Flügel“ – vom Verdachts- zum Beobachtungsfall
Wenn sich der Verdacht bestätigt, dann wird eine Organisation – wie der „Flügel“ – als rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestuft, fortan beobachtet und im jährlichen Verfassungsschutzbericht erwähnt.
In Köln können sie dann den Instrumentenkoffer komplett auspacken und alle nachrichtendienstlichen Mitteln einsetzen: Der Geheimdienst kann die Kommunikation der Partei abhören, V-Männer einschleusen, Quellen in den inneren Zirkeln der Organisation führen.
Eine Entscheidung gegen die AfD im Wahljahr könnte abschrecken
Dass die „Prüfung“ harmlos ausgeht, ist kaum zu erwarten. Der Dienstherr des Verfassungsschutzes, das Innenministerium, hält sich heraus, um die Neutralität zu wahren. Aber angesichts der Radikalisierung der Partei heißt es in Ministeriumskreisen, „die betteln gerade darum“ – um eine strengere Einstufung durch den Verfassungsschutz.
Das Timing ist für die AfD denkbar ungünstig: eine Entscheidung just im Wahljahr 2021 . Das könnte potenzielle Wähler und gerade jene Anhänger abschrecken, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind und von denen man Verfassungstreue besonders erwarten darf.
War Kalbitz’ Sturz ein Signal der Parteiführung nach Köln?
In der Partei blickt man deshalb mit Sorge auf die kommende Entscheidung des Verfassungsschutzes. Das Manöver von Parteichef Jörg Meuthen , dem „Flügel“-Spitzenmann und Ex-Brandenburger Landeschef Andreas Kalbitz die Mitgliedschaft im Frühjahr aberkennen zu lassen, konnte als versuchtes Signal nach Köln gewertet werden: Schaut her, wir tun etwas gegen die Radikalsten der Partei. Lesen Sie dazu: AfD: Kalbitz-Nachfolger ist „erwiesener Rechtsextremist“
Doch in Teilen der Partei schwelt der Unmut über Kalbitz’ Rauswurf – und an diesem Wochenende könnte er sich Bahn brechen. So findet sich im 155 Seiten langen Antragsbuch zum Parteitag auch ein Antrag, der dazu aufruft das „spalterische Gebaren“ des Parteichefs in der Causa Kalbitz ausdrücklich zu missbilligen. Der „Absturz in der Wählergunst“ – die AfD kommt seit Monaten in Umfragen nicht über 11 Prozent hinaus – hänge kausal direkt damit zusammen.
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Jörg Meuthen hat viele Gegner in der Partei
Der Antragsteller, Dubravko Mandic aus Freiburg, ist ein bekannter Gegner Meuthens aus dessen eigenem Landesverband Baden-Württemberg. Doch er ist nicht der einzige, der noch Gesprächsbedarf sieht in der Causa Kalbitz.
„Ich bin sehr dafür, dass wir das Agieren von Jörg Meuthen im laufenden Jahr am Wochenende debattieren“, sagt der stellvertretende Parteivorsitzende Stephan Brandner dieser Redaktion. Meuthens Ideen und Verhalten im Jahr 2020 seien „bisher alles andere als förderlich“ gewesen für die Partei als solche und deren Einheit. Er rate ihm, „Derartiges zukünftig zu unterlassen“, sagte Brandner. Nach Versöhnung klingt das nicht.