Berlin. AfD-Politiker haben während der Bundestagsdebatte am Mittwoch Störer ins Reichstagsgebäude eingeschleust, die Abgeordnete bedrängten.
- Am Mittwoch wurden Bundestagsabgeordnete im Reichstag von Besuchern gefilmt und bedrängt
- Drei AfD-Abgeordnete hatten die Störer eingeladen
- Der Ältestenrat hat über den Vorfall beraten. Den Beteiligten drohen harte Konsequenzen
- Die AfD-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Alexander Gauland „bedauern das inakzeptable Verhalten“
- Am Freitag berät der Bundestag in einer Aktuellen Stunde über den Vorfall
Es sind befremdliche Videoszenen: Im Reichstag bedrängt eine Frau Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) , filmt und beschimpft ihn, bis er sich in einen Fahrstuhl retten kann. Auf anderen Videos ziehen Männer johlend und pöbelnd durch den Bundestag. Die Aufnahmen entstanden, während das Parlament über das neue Infektionsschutzgesetz diskutierte. Das soll jetzt Folgen haben.
Was ist passiert?
Mehrere Medienaktivisten der rechten Szene waren am Mittwoch in den Gebäuden des Bundestags unterwegs. Sie verfolgten Parlamentarier und beleidigten sie. Auf Twitter verbreitete sich vor allem die Szene mit der Verbalattacke gegen Altmaier.
Es handelt sich dabei um Rebecca Sommer , die in der Vergangenheit unter anderem Beiträge für die rechtspopulistische Website „Tichys Einblick“ geschrieben hatte. Im Video sagt sie über Altmaier: „Er hat kein Gewissen, dieser Mann.“ Dieser entgegnet, er vertrete seine Wähler, die Frau sei dagegen Teil einer kleinen Minderheit.
Als der Minister den Aufzug betritt, beschimpft ihn Sommer als „Arschloch“. Auf ihrer Facebook-Seite schrieb sie später, sie habe die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt sprechen wollen.
Zu hören ist auf dem Video außerdem der verschwörungsideologische Youtuber Thorsten Schulte , bekannt als „Silberjunge“ . Inzwischen öffentlich nicht mehr zugängliche Videos zeigen außerdem einen weiteren Youtuber aus dem rechten Spektrum, der unter dem Namen Elijah Tee arbeitet. Er sendete einen mehr als einstündigen Livestream aus dem Bundestag, filmte verbotenerweise im Keller, in den Gängen zu den Abgeordnetenbüros.
Zwei Aktivisten sollen außerdem versucht haben, in die Büros der Fraktionsvorsitzenden von Union und SPD, Ralph Brinkhaus und Rolf Mützenich , einzudringen, scheiterten aber.
Zugang bekommen hatten Sommer und die anderen über AfD-Abgeordnete . Schulte habe ihn in der vergangenen Woche um einen Besucherausweis für den Mittwoch gebeten, bestätigte der AfD-Abgeordnete Udo Hemmelgarn unserer Redaktion.
Rebecca Sommer gelangte nach Informationen unserer Redaktion über den AfD-Abgeordneten Petr Bystron in den Reichstag. Dort war sie teilweise ohne Begleitung unterwegs, was verboten ist. Bystron bestreitet, dass sie sein Gast war. Außerdem soll der AfD-Abgeordnete Hansjörg Müller laut einem Sicherheitsbericht der Bundestagspolizei die Aktivistin Daniela Scheible ins Gebäude gelassen haben.
Wie sind die Regeln?
Die Hausordnung des Bundestags hat die Sechs-Personen-Regel : Ihr zufolge können Abgeordnete jeweils sechs unangemeldete Personen mit ins Haus nehmen, ohne dass deren Personalien erfasst werden. Normalerweise muss jeder Gast angemeldet werden. Die Bundestagspolizei überprüft dann, ob gegen die Person etwas vorliegt, bevor Zutritt gewährt wird. Diese 6-Personen-Regel war für den Tag der Debatte um das Infektionsschutzgesetz allerdings außer Kraft gesetzt. Alle Besucher mussten angemeldet werden.
Gäste erhalten einen orangefarbenen Ausweis. Anders als Journalisten dürfen sie sich in den Räumen des Bundestags nicht allein, sondern nur in Begleitung des Abgeordneten oder seiner Mitarbeiter bewegen. Filmaufnahmen dürfen sie nur machen, wenn diese im Zusammenhang mit der Arbeit des Abgeordneten stehen. Andere Abgeordnete dürfen nicht gefilmt werden.
Für die Sicherheit im Bundestag ist die Bundestagspolizei zuständig. Wird ihr ein Verstoß gegen die Hausordnung gemeldet, kann sie den Gast des Gebäudes verweisen. Nach Informationen dieser Redaktion gab es allerdings am Mittwoch zunächst keine Meldung. Auch Altmaier wandte sich nicht an die Bundestagspolizei. Für Kritik sorgte, dass auf dem Video ein Polizist zu sehen ist, der nicht eingriff.
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Gab es solche Vorfälle schon früher?
Vereinzelt. Im November 2014 stellten zwei Aktivisten dem damaligen Linksfraktionschef Gregor Gysi bis zur Toilette nach und filmten ihn dabei. Sie waren von anderen Linken-Parlamentariern eingeladen worden.
Im September dieses Jahres lud der Grünen-Europaabgeordnete Sergey Lagodinsky den russischen Oppositionellen Wladimir Kara-Murza in den Bundestag ein. Dort wurden beide von einem Mann auf Russisch angesprochen und heimlich gefilmt. Am Tag danach berichteten russische Medien über den Besuch, hetzten gegen Kara-Murza. Eine Beschwerde bei der Bundestagsverwaltung blieb ohne Ergebnis.
Welche Folgen drohen?
Am Donnerstag beschloss der Ältestenrat des Bundestags, strafrechtliche Konsequenzen wegen der Vorfälle zu prüfen. Ein rechtlicher Hebel ist Paragraf 106 des Strafgesetzbuches. Demnach kann die Behinderung oder Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans „mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft“ werden.
Auf Nötigung von Mitgliedern eines Verfassungsorgans oder der Regierung wie im Fall von Altmaier steht sogar eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Die AfD-Abgeordneten, die den Störern Zugang verschafft hatten, könnten sich der Beihilfe schuldig gemacht haben. Außerdem wird geprüft, ein Hausverbot gegen die vier Besucher auszusprechen, die zum Teil bereits vorher auffällig geworden waren.
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) sagte dieser Redaktion: „Ich halte es für einen beispiellosen Vorgang, wie hier die Integrität des Bundestags und die einzelner Abgeordneter angegriffen wurde. Hier müssen alle strafrechtlichen Möglichkeiten geprüft und gegebenenfalls angewandt werden.“
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warnte: „Es passiert immer wieder, dass die AfD versucht, parlamentarische Abläufe zu stören oder verächtlich zu machen. Neu ist, dass sie dazu auch zwielichtigen Komplizen von außen verdeckt in die Bundestagsgebäude einschleusen.“ Man müsse jetzt zeigen, dass man in der Lage sei, „unsere Demokratie und die parlamentarische Arbeit zu schützen“.
Union und SPD haben für Freitagmorgen eine Aktuelle Stunde zu den Vorfällen beantragt. Über 120 Abgeordnete forderten zudem Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) in einem Brief auf, „Maßnahmen zu ergreifen, die zukünftig solche Situationen unmöglich machen“. Initiator war der CDU-Parlamentarier Kai Whittaker .
Die beiden AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland veröffentlichten am Donnerstag eine Erklärung, in der sie das Verhalten der Aktivisten als „inakzeptabel“ bedauerten. (mit tma, tb, ape)
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