Gelsenkirchen. Sachlich, kritisch, selbstkritisch: Polizeidozent Tobias Trappe und Polizeistudent Julian Nafe wünschen sich eine bessere Debatte über Rassismus.
TAZ-Journalistin Hengameh Yaghoobifarah mit ihrer Mülldeponie-Kolumne und Innenminister Horst Seehofer mit seinen „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“-Statements bilden die extremen Positionen einer Debatte über Rassismus und die Polizei in Deutschland. Sie polarisieren. Und sie übertönen Stimmen wie die von Tobias Trappe und Julian Nafe. Beide sind Mitglieder der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW mit Hauptsitz in Gelsenkirchen, beide geben Einblicke in die Ausbildung – und beide werden grundsätzlich.
Was bedeutet für uns als künftige Polizeibeamte die aktuelle Diskussion über Rassismus? Wie handle ich mit meiner Einstellung? Und sollten wir nicht einmal gemeinsam darüber sprechen? Mit diesen Fragen ging Julian Nafe, 22, im Juni als Vertreter der Studierenden in eine Sitzung des Fachbereichs Polizei. Heraus kam er mit dem Auftrag für eine virtuelle Podiumsdiskussion, an der am 7. Juli über 100 größtenteils junge Menschen teilnahmen. Die Polizei von morgen.
Julian Nafe: „Miteinander reden statt übereinander“
Im virtuellen Rampenlicht saßen unter anderem der aus Angola geflüchtete dunkelhäutige Hudson Luis (ausgebildet beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, jetzt Masterstudent und Mitarbeiter im Verkehrsministerium) sowie Tobias Trappe. Letztgenannter ist stellvertretender Sprecher des Fachbereichs Polizei mit seinen tausenden Studierenden und lehrt als Professor gleichzeitig Ethik.
„Ich habe ein ernstes Gespräch erlebt, wo sonst eher abgeblockt wird oder wechselseitige Beschuldigungen an der Tagesordnung sind. Das Thema bewegt die Studierenden. Das ist kostbar, genauso wie die Stimme von Hudson Luis“, zieht Trappe ein positives Fazit der zwei Stunden. Auch Organisator und Moderator Julian Nafe stimmt ein: „Miteinander reden statt übereinander – und das mit Betroffenen von Rassismus – ist elementar wichtig. Es war eindrucksvoll, die Blicke zu sehen und die Worte hautnah zu erleben.“
Rassismus-Diskussion: „Die Zivilgesellschaft stellt uns diese Aufgabe“
Fand die Runde Anfang Juli geschützt und ungezwungen statt, plädieren Student und Professor auch in der Öffentlichkeit für mehr Diskussion. Denn: „Die Zivilgesellschaft stellt uns diese Frage und zwingt uns immer wieder neu zur Auseinandersetzung“, betont Tobias Trappe. „Rassismus verfolgt uns seit Jahrhunderten und ist für die größten Menschheitsverbrechen verantwortlich. Da dürfen wir nicht so tun, als wäre das Thema ein für alle Mal erledigt.“
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Julian Nafe stört aktuell, in welcher Form sich die Menschen ihre Positionen um die Ohren donnern. „Mein Eindruck: Viele äußern sich, um Aufmerksamkeit zu generieren. Es wird von allen Seiten pauschalisiert, dazu ist die Debatte emotional extrem aufgeladen. Das macht es schwieriger, sachlich und lösungsorientiert zu diskutieren.“
Menschenrechtsbildung für den Polizeivollzugsdienst
Die argumentative Grundlage für diese Auseinandersetzung bekommen Nafe und seine Kommilitonen im dreijährigen Studiengang für den Polizeivollzugsdienst (B. A.) nähergebracht. Denn neben Training und Praxisphase stehen in der dritten Säule Theorie die Fächer Ethik, interkulturelle Kompetenz, Politikwissenschaften, Berufsrollenreflexion (eine Form der Supervision), das Training sozialer Kompetenzen sowie vertiefende Exkursionen und Veranstaltungen wie der „Tag der Menschenrechte“ auf dem Lehrplan.
„Vor dem Hintergrund der Empfehlungen der NSU-Untersuchungsausschüsse haben wir das Studium pro aktiv 2015 verändert und sind damit Vorreiter. Uns war wichtig, zivilgesellschaftliche Organisationen einzubinden. Amnesty International und das Deutsche Institut für Menschenrechte haben uns so Impulse zu Racial Profiling, Rassismus und Diskriminierung gegeben“, erklärt Tobias Trappe. Die Klammer des Ganzen bildet dabei die Menschenrechtsbildung.
Selbstverpflichtung und Selbstreflexion
Die Achtung menschlicher Würde und der Schutz der darin begründeten Menschenrechte unterstreicht der Professor als eines der Leitziele des Studiums – und sieht sich selbst in der Pflicht, diese vorzuleben. „Wir als Dozenten und Ausbilder müssen mit unserer Persönlichkeit immer wieder neu für Menschenrechte werben, das ist existenziell. Gleichzeitig finde ich den in der Diskussion die Schwierigkeit unterschätzt, Gerechtigkeit gegenüber jedermann zu üben – auch dann, wenn man selbst ungerecht behandelt wird.“ Und stellt die Fragen: „Was bedeutet diese Verpflichtung der Polizei in einer an Konflikten immer reicheren Gesellschaft? Wo habe ich selbst Rassismus in mir – bewusst oder unbewusst?“
Beauftragte für Menschenrechtsbildung
Der Fachbereichsrat Polizei der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW hat seit diesem Jahr Beauftragte für Menschenrechtsbildung. Im Januar traten Emanuel John (Standort Mülheim) und Stellvertreter Christoph Riederer (Standort Münster) die neu geschaffene Position an.
John und Riederer haben die Aufgabe, die polizeiliche Menschenrechtsbildung im Studiengang weiter auszubauen. Dafür organisieren sie unter anderem den landesweiten „Tag der Menschenrechte“, intensivieren den Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Amnesty International und initiieren Angebote wie etwa Fortbildungen gegen Rassismus und Extremismus.
Insgesamt hat die Hochschule zehn Standorte in NRW, im Ruhrgebiet sind es neben dem Hauptsitz Gelsenkirchen Mülheim, Herne, Duisburg und Dortmund. Dort werden insgesamt fünf Studiengänge angeboten, einer davon ist der Polizeivollzugsdienst als Bachelor of Arts (B. A.).
Auch für Julian Nafe stehe die Menschenrechtsbildung nicht alibimäßig im Lehrplan. Es sei ein ganz wichtiger Punkt, sagt der 22-Jährige, der immer wieder selbstkritisch hinterfragt werden müsse. Und wenn das Ergebnis am Ende negativ ist? Nafe: „Die Polizei muss eine offene Fehlerkultur leben. Sich Fehler einzugestehen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern vor Stärke.“