Düsseldorf. NRW beendet die Maskenpflicht im Unterricht. Lehrerverbände vermissen Alternativen. Kinderärzte fordern derweil die Maskenpflicht für Lehrer.
Die Entscheidung der NRW-Landesregierung, die Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler im Unterricht ab 1. September aufzuheben, sorgt für gemischte Reaktionen: Viele Kinder und Eltern dürften erleichtert sein, im Klassenraum endlich wieder durchatmen zu können. Doch es gibt auch Kritik – und Sorge vor einer erhöhten Ansteckungsgefahr im nahenden Herbst.
Maskenpflicht im Unterricht läuft am 31. August aus
Die Pflicht zum Tragen von Masken im Schulunterricht ende am 31. August, verkündete Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Donnerstag in Düsseldorf. Die seit über einer Woche wieder sinkenden Corona-Infektionszahlen machten diesen Schritt möglich, sagte Laschet. „Die Belastung für die Schüler wird zurückgenommen.“ Außerhalb des Unterrichts bleibe die Maskenpflicht aber auf dem Schulgelände und im Gebäude bestehen.
Schul-Staatssekretär Mathias Richter (FDP) verteidigte den Schritt: „Als die Maskenpflicht eingeführt wurde, lag der Anteil von NRW an den Neuinfektionen bei etwa 40 Prozent. Derzeit sind es etwa 20 Prozent. Diese Entwicklung ermöglicht es uns, die Maskenpflicht nun auszusetzen“, sagte Richter dieser Redaktion. Die Maskenpflicht habe zum Start ins Schuljahr zu Stabilität und Sicherheit in den Schulen in NRW beigetragen.
Maike Finnern, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), bezeichnete die Entscheidung hingegen als „Hohn für alle Schüler*innen und Lehrer*innen“. Mit dem Aus für die Maskenpflicht im Unterricht werde „im Grunde der Regelbetrieb verkündet“. Finnern fragt: „Wo sind die Konzepte, die diese Maßnahme rechtfertigen?“ Die Landesregierung habe keinen Plan B zum Infektionsschutz vorgelegt.
GEW vermisst „Bereitschaft, für kleine Lerngruppen zu sorgen“
„Entweder die Anordnung der Maskenpflicht oder ihr Ende sind falsche Politik“, sagt die Pädagogin. Wenn die Landesregierung zur Begründung anführe, die Infektionszahlen würden sinken, stehe dies im krassen Widerspruch zur „Inszenierung der Kanzlerin und der Ministerpräsident*innen“ vom Donnerstag. Was vor vierzehn Tagen richtig war, gelte jetzt erst recht, so die GEW.
Maike Finnern vermisst „die Bereitschaft, für kleine Lerngruppen zu sorgen, Online-Unterricht nicht nur als Notmaßnahme zu betrachten, den Unterricht zu entzerren und sich von der Vorgabe zu verabschieden, Unterricht in dem Umfang anzubieten, wie es die Stundentafeln erfordern“. Darüber hinaus erneuerte die GEW ihre Forderung nach „CO2-Ampeln“ für Klassenräume: Diese zeigen in grün, gelb und rot an, wie dringend der Lüftungsbedarf ist.
VBE sieht Aussetzung der Maskenpflicht „zwiespältig“
Sorgen vor den kommenden Wochen und Monaten gibt es auch beim Verband Bildung und Erziehung (VBE) in NRW: Die Aussetzung der Maskenpflicht sei „zwiespältig zu sehen“, teilte der Verband am Freitag mit. „Sicherlich wird die Kommunikation im Unterricht ohne Maske deutlich erleichtert“, erklärte der Landesvorsitzende Stefan Behlau. „Da jedoch das Abstandhalten in den Klassenräumen nicht möglich ist, geht ein wichtiger Schutz verloren. Schulen sollen Garanten für gelingende Bildung sein und verlässliche Betreuung bieten – in der aktuellen Situation gleicht dies der Quadratur des Kreises.“
Die Maske, so Behlau, sei „ein deutliches Zeichen jahrelanger Unterfinanzierung unserer Schulen. Personalmangel, Platzmangel und verspätete Digitalisierung sind unübersehbar. Es ist notwendig, die Versäumnisse stärker anzupacken.“
Der Verband Lehrer NRW wertete das Ende der Maskenpflicht im Unterricht als „wichtigen Schritt in Richtung Normalität“. Umso mehr sei nun aber Wachsamkeit gefragt, mahnte die Landesvorsitzende Brigitte Balbach. Alle am Schulleben Beteiligten müssten durch achtsames Verhalten dazu beitragen, dass die Schulen auch weiterhin keine Pandemie-Brennpunkte seien.
Kinderärztin: Aerosole verbreiten sich in kleinen Klassenräumen schnell überall
Gesundheitsexperten sehen allerdings ebenfalls zusätzliche Risiken durch die Aussetzung der Maskenpflicht: Dr. Rolf Kaiser, Virologe an Uniklinik Köln, sagte in der „Aktuellen Stunde“ im WDR-Fernsehen, der Vorteil der Maske im Unterricht sei nicht richtig dargestellt worden. Wenn alle eine Maske tragen, müsste nicht die ganze Klasse in Quarantäne, wenn ein Schüler infiziert ist, sagte er.
Diese Theorie weist Mathias Richter, der Schul-Staatssekretär, zurück: Die Aussage sei falsch, einen Einfluss auf die Quarantäne-Regeln habe der Verzicht auf die Maskenpflicht nicht, betonte er. Ausschlaggebend für Quarantäne-Anordnung seien nur Krankheitssymptome oder ein positiver Test. Einen Zusammenhang zwischen Maskentragen und Quarantäneregeln gebe es in den Schulen nicht
Gleichwohl: Auch Christiane Thiele, Landesvorsitzende des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, hielte die Beibehaltung der Maskenpflicht im Unterricht für sinnvoll, um die Ansteckungsgefahr zu senken: „In kleinen, schlecht belüfteten Klassenzimmern sitzen oft große Schülergruppen. Da werden ansteckende Aerosole schnell überall verteilt“, sagte sie in der „Rheinischen Post“. Müssten künftig vermehrt ganze Schulen statt einzelner Klassen geschlossen werden, „müssen wir unbedingt zur Maskenpflicht wieder zurückkehren“.
Lauterbach: Richtiges Lüften in Klassenräumen entscheidend
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SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach mahnte am Freitagmorgen im Interview bei WDR2 an, für die kommenden Monate für angemessene Schutzmaßnahmen gegen Ansteckungen in den Klassenräumen zu sorgen. „Richtiges“ und regelmäßiges Durchlüften sei entscheidend, so Lauterbach. Voraussetzung dafür: geeignete Fenster in den Schulgebäuden.
Kinderärzte: Maskenpflicht für Lehrer im Unterricht sinnvoll
Der Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach, bringt derweil eine Maskenpflicht für Lehrer auch im Klassenzimmer ins Spiel: Er halte eine solche Maskenpflicht für das Lehrpersonal „durchaus für sinnvoll“, sagte Thomas Fischbach der „Welt“. Der empfohlene Sicherheitsabstand sei in beengten Klassenräumen oft nicht möglich.
„Wenn Sie im Frontalunterricht vor der Klasse stehen, haben Sie aber eine ähnliche Situation wie im Chor. Da können Lehrer zu Superspreadern werden“, argumentierte Fischbach. Er bezeichnete es zugleich als auffällig, „dass es bei den letzten Ausbrüchen an Schulen immer Lehrer waren, die das Virus von außen hereingetragen hatten“.
Für den VBE ist die von Fischbach vorgeschlagene Maskenpflicht eine „zu einseitige Lösung“, sagt Wibke Poth, stellvertretende VBE-Landesvorsitzende in NRW. Wäre nicht am Donnerstag die Entscheidung zur Maskenpflicht für Schüler gefallen, würde sie das womöglich anders bewerten. Poth: „Der VBE stand der Maskenpflicht im Unterricht nie gänzlich ablehnend gegenüber. Für viele Lehrerinnen und Lehrer mit Vorerkrankungen ist sie sogar ein Argument gewesen, trotz aller Risiken zum Unterricht zu kommen. Die werden das jetzt womöglich anders sehen.“
Die Verunsicherung in der Lehrerschaft sei groß, berichtet Poth. „Ich bin keine Virologin, aber ich weiß: Die Maske schützt in erster Linie nicht denjenigen, der sie trägt, sondern die anderen.“ Für die Gesundheit der Lehrkräfte wäre mit einer Maskenpflicht ausschließlich für sie also nicht gesorgt.
Auch die GEW bezeichnete Fischbachs Vorstoß als „nicht zielführend“. Wenn die Landesregierung die Maskenpflicht im Unterricht aussetze, solle das für alle Beteiligten gelten. Die GEW betont: „Unterricht ist ein kommunikatives Geschehen, sozusagen ‘face-to-face’. Ein offenes Gesicht ist wichtig, Mimik, Gestik und dergleichen spielen dabei eine große Rolle.“
Das sieht Wibke Poth, die VBE-Frau, genau so: Sie kritisiert die Vorstellung von Unterricht, die hinter dem Vorstoß stecke. Der Lehrer trägt vorne vor, die Schüler sitzen still und lauschen? „So sah Schule in den letzten Jahren nicht mehr aus.“ Corona und die Abstandsregeln hätten sicherlich vieles verändert. „Ich hoffe dennoch, dass wir nicht zu einem hundertprozentigen Frontalunterricht zurückkehren.“
Aus dem Schulministerium NRW gab es am Freitag eine recht klare Absage an die Forderung nach einer Maskenpflicht für Lehrer im Unterricht: „Das ist nicht notwendig“, sagte Staatssekretär Richter. „Lehrer sind schon längst gehalten, den Mindestabstand von 1,5 Meter einzuhalten. Wenn dies nicht möglich ist, sind sie heute schon dazu verpflichtet, eine Maske zu tragen.“(mit dpa)
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