Düsseldorf. . Ob Diesel, die Abschiebung von Sami A. oder Sonntagseinkäufe: Die seit Sommer 2017 amtierende NRW-Regierung liegt mit der Justiz über Kreuz
Die Härte des Diesel-Urteils, die drohenden Fahrverbote auf der A40, treffen NRW und das Ruhrgebiet wie ein Hammerschlag. Nicht so überraschend ist, dass Landesregierung und Justiz hier bei einem wichtigen Thema wieder mal über Kreuz sind. Denn dafür gibt es bemerkenswert viele Beispiele.
Die Regierung ist wiederholt in Konflikt mit der Justiz geraten. Zuletzt beim Thema Diesel, aber auch beim gerade erst vor dem Oberverwaltungsgericht Münster gescheiterten Versuch, die Sonntagsverkäufe deutlich auszuweiten, beim gerichtlich verordneten Rodungsstopp am Hambacher Forst sowie bei der Abschiebung des islamistischen Gefährders Sami A. nach Tunesien am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vorbei.
Rechtsexperte kritisiert Laschets Schnellschuss
Der Verfassungsrechtler Christoph Gusy spricht von einer „auffälligen“ Häufung der Reibereien zwischen Landespolitik und Rechtsprechung.
Der Bielefelder Professor reibt sich zum Beispiel an einer Äußerung von Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) zum Diesel-Thema. „Dass der Ministerpräsident sagte, Fahrverbote seien unverhältnismäßig und damit rechtswidrig, war ein politischer Schnellschuss und nicht mit juristischer Expertise unterfüttert“, so Gusy. Tatsächlich drohen jetzt in vier großen NRW-Städten Fahrverbote.
Problematisch sei auch die von NRW-Innenminister Reul (CDU) im Zusammenhang mit der Abschiebung von Sami A. geäußerte Einschätzung, Richter mögen bei ihren Entscheidungen auch an das Rechtsempfinden der Bevölkerung denken. Die juristische Szene reagierte mit Empörung. Im Fall Sami A. kommt laut Gusy erschwerend hinzu, dass das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen durch die Politik offenbar „hinter das Licht geführt werden sollte“.
Auch dem Rechtsprofessor Martin Morlok, der lange an der Uni Düsseldorf lehrte, fällt auf, dass es zwischen Landesregierung und Justiz ruckelt. Besorgnis erregend ist das seiner Einschätzung nach allerdings nicht. „Dass der Ministerpräsident sagt, Fahrverbote seien rechtswidrig, ist schon ein starkes Stück. Es war auch offensichtlich, dass Sami A. am Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vorbei nach Tunesien abgeschoben werden sollte. Wir müssen aber sehen, dass eine aktive Regierung immer wieder an die Grenzen des Rechts stößt“, sagte Morlok dieser Redaktion. Unterschiedliche Auffassungen von Politik und Justiz gehörten nun einmal zur Grundidee des Rechtsstaats. „Dafür gibt es ja eine Gewaltenteilung“, erklärt der Professor.
Polizeigesetz sorgt für weitere Debatten
Die Liste der Fälle, in denen Juristen die Pläne der schwarz-gelben Landesregierung durchkreuzten, ist allerdings noch viel länger. Beim Ringen um eine Verschärfung des Polizeigesetzes warnten Juristen die Regierung davor, übers Ziel hinaus zu schießen und „unverhältnismäßige Befugnisse“ für die Polizei einzuführen. Jura-Professor Morlok hält der Landesregierung aber zugute, zügig auf die Kritik reagiert und nachgebessert zu haben.
Korrigieren musste sich die Regierung auch beim Haushalt. Schwarz-Gelb wollte aus dem Etat von 2018 eine 365 Millionen Euro teure Rücklage abzweigen, um damit 2019 Ausgaben finanzieren zu können. Dagegen hatte der Landesrechnungshof verfassungsrechtliche Bedenken. Spielräume müssten zum Tilgen von Schulden genutzt werden, warnten die Kostenwächter.
Migrationspolitik beschäftigt die Gerichte
Laut Christoph Gusy gibt es übrigens nicht nur in NRW Reibereien zwischen Politik und Justiz, sondern auch im Bund. „Da entscheidet die Politik, 800.000 Flüchtlinge ins Land zu lassen, und die Justiz ist anschließend jahrelang mit der Klärung beschäftigt, wer von diesen Menschen bleiben darf und wer wieder ausreisen muss.“
Auch beim Thema Diesel-Fahrverbote sieht Gusy „insgesamt eine Tendenz der Politik, die Verantwortung auf die Gerichte abzuschieben. Und anschließend beklagt sie sich über die Urteile“. Das sei mehr als seltsam. „Die Politik schafft das Recht und wundert sich, wenn es dann von den Gerichten angewendet wird.“ Solche Streitigkeiten kratzten am Image der Politik und der Justiz.
Winderlass kollidiert mit Bundesrecht
Ein weiteres Beispiel, wo Landespolitik mit gesetzlichen Vorgaben kollidiert, ist der Windenergie-Erlass der Landesregierung. Danach sollen Windenergieanlagen nur noch in einem Abstand von 1500 Metern zur nächsten Wohnbebauung errichtet werden dürfen. Zudem wird der Bau von Windrädern in Wäldern eingeschränkt.
Diese Regelung kollidiert indes mit Bundesrecht und ist somit wohl wirkungslos. Um den Mindestabstand verbindlich einzuführen, müsste zunächst das Bundesbaugesetz geändert werden. Der im September 2017 verabschiedete NRW-Erlass sei daher „reine Symbolpolitik“, sagte der Vorsitzende Richter am Oberverwaltungsgericht Münster, Max-Jürgen Seibert. Nach seiner Auffassung könne die Landesregierung nur Empfehlungen aussprechen, da es sich in der Sache um Bundesrecht handle. Vor Gericht gelte die Faustformel, dass der Abstand zur Wohnbebauung etwa dreimal so weit sein muss, wie das Windrad hoch ist.
Der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) kritisierte, der Erlass schaffe mit seinen rechtlich zweifelhaften Vorgaben Verunsicherung bei der Planung weiterer Anlagen und bremse den Ausbau. Nach LEE-Angaben sind im ersten Halbjahr 2018 noch 83 neue Windkraftanlagen in Betrieb gegangen. Im Vorjahreszeitraum site: wazwaren es 114. Für das gesamte Jahr erwartete der Verband, dass rund 400 Megawatt Windkraftleistung hinzukommen. Das wäre weniger als die Hälfte im Vergleich mit 2017. (CHO)