Essen. Das Oberverwaltungsgericht Münster hat am Freitag entschieden, bis zu einer endgültigen Entscheidung sind Rodungen im Hambacher Forst verboten.

Am Dienstag hatte die Polizei nach wochenlangem Einsatz das letzte Baumhaus im Hambacher Forst geräumt. Gestern sprang das Oberverwaltungsgericht Münster den in die Defensive geratenen Umweltschützern überraschend zur Seite und stoppte vorerst die Rodungs-Pläne von RWE. Der Energiekonzern aber hält die Rodungen nach wie vor „für unverzichtbar“. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Worüber wurde entschieden?

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster hat einen vorläufigen Rodungsstopp im Hambacher Forst bei Köln verfügt. Die Richter entsprachen damit in einem Eilverfahren dem Antrag des Umweltverbands BUND. Nach Einschätzung der Umweltschützer sei damit der Wald „zumindest bis 2019 gerettet“. RWE hat mit den umstrittenen Rodungen bislang nicht begonnen. Das Unternehmen hatte eine Stillhaltezusage bis spätestens 14. Oktober abgegeben, um das Urteil des OVG abzuwarten. Das Verbot gilt so lange, bis über die Klage des BUND gegen den Hauptbetriebsplan 2018 bis 2020 für den Braunkohletagebau entschieden ist (AZ.:11B 1129/18).

Was ist zuvor passiert?

Die Bezirksregierung Arnsberg hatte als zuständige Bergbehörde die Umsetzung des Hauptbetriebsplans, der 2016 von der rot-grünen Landesregierung bestätigt worden war, angeordnet. RWE hätte den Hambacher Forst weiter roden dürfen. Um dies zu verhindern, beantragte der BUND, der gegen den Hauptbetriebsplan geklagt hatte, die Gewährung eines „Eilrechtsschutzes“. Dies lehnte das Verwaltungsgericht Köln Ende Juli ab. Auf die Beschwerde des BUND stellte das Oberverwaltungsgericht nun die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her, wie das Gericht mitteilte.

Im Hambacher Forst lebt auch die Fledermausart „Großes Mausohr“.
Im Hambacher Forst lebt auch die Fledermausart „Großes Mausohr“. © Holger Hollemann

Wie begründet der 11. Senat des OVG seine Entscheidung?

Zunächst müsse geklärt werden, ob der Forst als besonders schützenswertes Areal im Sinne der „Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie“ (FFH) gelten müsse, weil dort die Bechsteinfledermaus und das große Mausohr vorkomme. Die Prüfung sei nötig, obwohl das Gebiet von der EU bislang nicht als FFH-Gebiet ausgewiesen wurde. In diese Richtlinie werden Arten und Lebensräume definiert, die besonders zu schützen seien. Die offenen Fragen in diesem Zusammenhang seien so komplex, dass sie nicht in einem Eilverfahren beantwortet werden könnten, so das OVG. Die Unterlagen dazu umfassten „Dutzende Kisten“. Eine Rodung aber würde „vollendete, nicht mehr rückgängig zu machende Tatsachen schaffen“. Dadurch könnte die Artenvielfalt „irreversibel beeinträchtigt werden“. Das sei nicht gerechtfertigt.

Berücksichtigte das OVG auch energiepolitische Aspekte?

Ja, das Gericht argumentierte, die Bezirksregierung Arnsberg und auch RWE hätten weder ausreichend dargelegt noch durch Unterlagen bewiesen, dass „die sofortige Rodung zur Abwehr einer schwerwiegenden konkreten Gefahr (...) notwendig sei, weil andernfalls die Energieversorgung nicht mehr gewährleistet wäre“. Das Gericht sieht demnach keine belegten Argumente, dass die Versorgungssicherheit durch das Aussetzen der Rodungen bedroht sei.

Wie lange gilt der Rodungsstopp?

Eine endgültige Entscheidung fällten die Richter in Münster nicht, doch mit einer kurzfristigen Lösung ist nicht zu rechnen. Das Hauptverfahren könne noch Monate in Anspruch nehmen, „oder länger“. Der Fortgang hänge sehr davon ab und ob noch weitere Beweise erhoben werden müssten. Die Rodungssaison beginnt Anfang Oktober und dauert bis Ende Februar. Dann müssen solche Arbeiten aus Rücksicht auf die Natur und Tierwelt spätestens abgeschlossen sein.

Wie reagierte RWE?

Der Konzern nahm die OVG-Entscheidung „mit großer Überraschung zur Kenntnis“. Den wirtschaftlichen Schaden durch die zu erwartenden Betriebseinschränkungen beziffert RWE-Power in einer ersten Einschätzung auf einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag jährlich ab 2019. Der Konzern gehe davon aus, dass möglicherweise erst Ende 2020 eine abschließende Gerichtsentscheidung in der Hauptsache getroffen werden könnte. Der Konzern hatte zuvor stets betont, dass eine zeitnahe Rodung „zwingend erforderlich“ sei, um den benachbarten Braunkohle-Tagebau zu erweitern. Auch die Anleger reagierten: Die RWE-Aktie verlor gestern zeitweise knapp vier Prozent an Wert und fiel zunächst auf den tiefsten Stand seit Anfang Juli.

Martin Kaiser, Greenpeace-Deutschland.
Martin Kaiser, Greenpeace-Deutschland. © Federico Gambarini

Was sagen die Umweltschützer?

Der BUND zeigte sich hocherfreut über die Entscheidung. „Das ist ein großer Erfolg unserer langjährigen juristischen Bemühungen und eine wirkliche Zäsur in Nordrhein-Westfalen“, sagte NRW-Geschäftsführer Dirk Jansen. Monika Düker, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, teilte mit: „Das Gericht hat die zentrale energiepolitische These von RWE und Landesregierung, dass ohne die Kohle unter dem Hambacher Wald die Lichter im Land ausgehen, kassiert.“ Greenpeace-Geschäftsführer Martin Kaiser sagte: „Die Entscheidung stoppt die Motorsägen von RWE.“ Dies sei ein guter Tag für den Schutz von Natur und Klima und „ein Meilenstein für die Anti-Kohle-Bewegung“.

Laschet verteidigt Polizeieinsatz

Nach dem gerichtlich verfügten Rodungsstopp hat NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Akteure zu Gesprächen aufgefordert. „Rodungen wird es in absehbarer Zeit nicht geben, es ist jetzt der Raum für Gespräche, und den sollten alle Beteiligten nutzen“, sagte Laschet.

Der Regierungschef verteidigte auch die wochenlange kostspielige Räumung des Forstes und die Zerstörung der Baumhäuser von Aktivisten: „Die Räumung war richtig, weil rechtswidrige Zustände nicht geduldet werden“, sagte er. „Die Räumung hatte nichts mit der Rodung zu tun.“