Essen. Keine Homestories, das Privatleben vor der Öffentlichkeit geschützt: Trotzdem kann man über Bundeskanzlerin Angela Merkel eine spannende Dokumentation drehen. "Die Kanzlerin" (ARD) ist nicht nur filmisch gut gemacht, sondern kommt dem Menschen hinter dem Amt erstaunlich nahe.

Die Autoren Christian Thiels und Thomas Michels decken in ihrer 45-minütigen Dokumentation die obligatorischen Bereiche ab: Biografie, politischer Werdegang und ein bisschen Persönliches - soviel man eben kriegen konnte von der Kanzlerin, die keine Homestories mag, die eben, "nicht so der Showtyp" ist, wie ein Fotograf im O-Ton so treffend bemerkt. Dennoch gewährt Merkel den Filmautoren, wenn auch eigentlich viel zu kurz, einen Blick in ihr Büro. Ein schwarzer Globus steht da - weil sie die genaue Lage der afrikanischen Staaten nicht immer ganz auf die Reihe bekommt, wie sie mit verschmitztem Lächeln erzählt. So kann sie immer fix nachschauen - praktisch.

Zwischen den Zeilen lesen

Vielleicht wusste man auch dies noch nicht und mag sich wundern: Die Kanzlerin hat kein Foto ihres Mannes auf ihrem Schreibtisch stehen. "Ich habe sein Bild im Kopf", sagt sie knapp, und dann fällt die Tür zum Arbeitszimmer auch schon wieder zu. Von selbst gibt Merkel wenig Privates preis. Das muss sie aber auch gar nicht. Der Film lässt genügend Raum, um zwischen den Zeilen zu lesen - er konzentriert sich auf leise Töne und Momentaufnahmen, die einfach auch mal unkommentiert stehen gelassen werden.

Etwa, wie die Kanzlerin kurz vor ihrem Rückflug aus Afghanistan sichtlich angespannt die Augen schließt. Aber auch einer der seltenen Auftritte ihres Ehemannes Joachim Sauer, der allen Ernstes "stolz auf ihre beruflichen Erfolge" ist. Man muss Angela Merkel schon ein wenig kennen, um die Sprache, auch die Bildsprache des Films zu verstehen - die Kanzlerin für Fortgeschrittene sozusagen. Aber durch ihren klaren, episodenhaften Erzählstil kann die Dokumentation den Zuschauer durchaus 45 Minuten lang bei der Stange halten.

Eindeutig die graue Maus

Die Interviewpartner sind gut gewählt - Journalisten und politische Weggefährten, alte Schulfreundinnen und Lehrer kommen zu Wort. Eine Außenseiterin sei sie nie gewesen, heißt es über Merkel, die Musterschülerin, die vor allem in Mathematik und Russisch zu den Besten gehörte. Aber für viele war sie eben auch "eindeutig die graue Maus". Mitstreiter und Gegenspieler dagegen gestehen vor der Kamera: "Wir haben sie alle unterschätzt." Stimmt: Die Dame ist am Zug - zum Beweis präsentiert die Kanzlerin eine große, holzgeschnitzte Schachfigur, ein Geschenk vom Verband der Waldbesitzer. Wer die zwei Bauern im Gefolge sind, darüber darf munter gerätselt werden.

Merkels Regierungsstil nehmen die Autoren allerdings kritisch unter die Lupe - distanziert, ohne zu werten: Da war der G 8-Gipfel in Heiligendamm - mit eher bescheidenen Ergebnissen zum Klimaschutz. Die Wirtschaftskrise. Verkorkste Gesundheitsreform. Gefallene deutsche Soldaten in Afghanistan. Und Opel. "Nicht enttäuschen, aber auch nichts versprechen, was ich nicht halten kann", lautete da die Merkel-Devise - und so attestieren die Autoren ihr einen waschechten "Kompromiss a la Merkel: Opel retten - aber nur ein bisschen."

Auffallend unauffällig

Sie sei die "unideologischste Vorsitzende, die die CDU je hatte", heißt es. Und: Die Kanzlerin sei "auffallend unauffällig, pragmatisch, politisch beweglich, manche sagen: bis zur Konturlosigkeit". Das sind harte Vorwürfe. Sie selbst betont, Pragmatismus bedeute ja nicht, man habe keine Orientierung. Sie sitzt dabei vor dem Gemälde ihres Vorbilds Konrad Adenauer, trägt schwarz und gibt ganz die Staatsfrau - aber sie kann natürlich auch anders - knallrote oder pastellgrüne Jacke, tiefer Ausschnitt - alles schon dagewesen. Der Film zeichnet ein erstaunlich vielseitiges Portrait der Kanzlerin und kommt dem Menschen hinter dem Amt näher, als man es für möglich gehalten hätte.

Nur eines hätte man als Zuschauer gern noch gesehen: Wie die Kanzlerin die Regierungschefs anderer Länder imitiert - das soll sie nämlich ziemlich gut können. Leider gab es keine Kostprobe.