Essen. Harald Christ, Wirtschaftsexperte im Team von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, spricht im WAZ-Interview über Kreditklemmen, Reichensteuer und die Nöte des Mittelstands. Und über einen Wirtschaftsminister, der ihm viel zu wenig Flagge zeigt und zu wenige politische Inhalte liefert.
WAZ: Herr Christ, wir wollen mit Ihnen heute weder über gesperrte Internetseiten von südafrikanischen Urlaubsdomizilen noch über Ihr Millionenvermögen geschweige denn über das Thema Homosexualität reden. Geht das in Ordnung?
Christ: Absolut!
Herr Christ, wie finden Sie Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg?
Christ: Sympathisch, smart, eloquent, gebildet, parkettsicher. Herr zu Guttenberg betreibt gutes Politikmarketing. Nur politische Inhalte liefert er nicht.
Was denn?
Christ: Außer einer lancierten Rücktrittsdrohung im Fall Opel und einem dubiosen Wirtschaftskonzept aus seinem Haus, das bei der ersten Kritik aus den eigenen Reihen zurückgezogen wurde, kommt da gar nichts. Es scheint, als wolle der Mann sich aus allem raushalten, um Fehler zu vermeiden. In Wirtschaftskreisen wird hinter vorgehaltener Hand längst darüber geredet. Leider zwingt ihn niemand, sich harten Fragen zu stellen.
Tun Sie's. Warum kein Fernsehduell?
Christ: Prima Idee. Ich würde mich sofort mit dem Minister über die Nöte des Mittelstandes öffentlich unterhalten. Dann wird man ja sehen...
...was?
Christ: ...dass er nicht wirklich Flagge zeigt in einer Zeit, in der von ihm zwingend Lösungsvorschläge kommen müssen.
Welche?
Christ: Die Stimmung in der Wirtschaft ist im Moment besser als die Lage. Wir erleben einen fragilen Mini-Aufschwung. Die wirklichen Härten kommen 2010. Eine Pleitewelle gerade bei Betrieben zwischen 200 und 500 Beschäftigten ist nicht ausgeschlossen. Was jetzt im Mittelstand an Arbeitsplätzen verloren geht, das kriegen wird in fünf Jahren nirgendwo anders wieder aufgebaut. auswirken. Das Bundeswirtschaftsministerium muss deshalb schleunigst eingreifen.
Banken spielen nicht mit
Meinen Sie das Lockern der Kreditklemme?
Christ: Genau. Es ist doch aberwitzig. Da liegen Milliardensummen bei der staatlichen Kreditanstalt KfW bereit. Da gibt es zig Firmen da draußen, die das Geld dringend für Investitionen benötigen. Aber es kommt einfach nicht bei ihnen an, weil die Banken nicht mitspielen. Ich höre das täglich von Unternehmern zwischen Flensburg und Garmisch.
Was muss man tun?
Christ: Die Fehler wurden schon im Frühjahr gemacht. Das Bundeswirtschaftsministerium als politisch Zuständiger für den Mittelstand hätte den Banken sagen müssen: Leute, wir haben euch aus der Misere geholfen, jetzt reicht bitte die Fördermittel für den Mittelstand zügig durch. Wenn nicht, dann suchen wir, Staat und KfW, uns Partnerbanken und ihr verliert langfristig gute Kunden.
Eine Garantie für Geldflüsse ist das nicht.
Christ: Richtig. Deshalb brauchen wir eine neue staatliche Geldverteileinrichtung für den Mittelstand, sozusagen einen Bypass zum klassischen Bankensystem.
Herr Christ, die FDP verspricht Steuersenkungen. Als Unternehmer müsste Ihnen das sympathisch sein.
Christ: Bis Anfang 2008 war ich davon überzeugt, dass wir beides brauchen: Steuersenkung und Steuervereinfachung. Nachdem der Staat nun dreistellige Milliardensummen in die Rettung der Banken stecken musste und auch auf Grund der Wirtschaftskrise ein Defizit nur auf Bundesebene von 320 Milliarden Euro bis 2013 haben wird, ist das schlichtweg nicht finanzierbar. Wer das Gegenteil erzählt, schenkt den Menschen keinen reinen Wein ein. Aber ich bleibe dabei: Das Steuersystem muss auch vereinfacht werden. Mit dem Steuerbonus hat die SPD einen vernünftigen Ansatz.
Wie stehen Sie zu einem flächendeckenden Mindestlohn?
Christ: Ehrlich, damit habe ich mich lange Zeit sehr schwer getan. Heute weiß ich: Er ist unverzichtbar, um die Kaufkraft zu stabilisieren und, was oft vergessen wird, um die Schwarzarbeit besser in den Griff zu kriegen. Hier gehen dem Staat Milliardensummen verloren, über die heute kaum jemand redet.
Würden Sie nach der Wahl die Mehrwertsteuer erhöhen?
Christ: Ich rate davon ab. Das würde kleine und mittlere Einkommen hart treffen. Gerade die brauchen Kaufkraft.
Mehr Last auf starken Schultern
Sie sind mehrfacher Millionär. Würden Sie eine Reichensteuer begrüßen?
Zur Person
Harald Christ, 37, seit seinem 16. Lebensjahr SPD-Mitglied, gebürtiger Rheinhesse, bekennender Schwuler, ist ein Manager aus dem Arbeitermilieu, der es in der Finanzbranche zum Multimillionär gebracht hat.
Der gelernte Industriekaufmann begann mit 19 beim Finanzdienstleister BHW, wurde mit 27 Vertriebsdirektor bei der Deutschen Bank und später Geschäftsführer der Kapitalanlagegesellschaft HCI. Heute beteiligt sich der parteiübergreifend gut vernetzte Wahl-Berliner an mittelständischen Unternehmen. Er war Schatzmeister der SPD in Hamburg und wurde zuletzt als möglicher Finanzsenator in Berlin gehandelt. Im Kompetenzteam von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier kümmert sich Christ um den Mittelstand.
Christ: Das Wort gefällt mir nicht. Es setzt den Leistungsgedanken herab. Aber ganz klar: Stärkere Schultern müssen stärker besteuert werden.
Schwer, dafür Verbündete zu finden?
Christ: Kein Mensch zahlt gern zusätzlich Geld an den Staat, wenn er nicht weiß, wo es landet. Wenn wir dieses Geld gezielt für Bildung, Forschung und Zukunftssicherung ausgeben, werden viele Wohlhabende ihren Beitrag gerne leisten.
Auch in Ihrer Partei wird der Wahlkampf als viel zu lau empfunden. Was sagen Sie?
Christ: Der Wahlkampf gewinnt jetzt an Tempo und wir werden gegen die CDU und die Kanzlerin weiter zuspitzen. Die SPD geht in breiter Formation vor, die andere Seite zieht ständig zurück. Aber ich plädiere nicht für mehr Lautstärke. Ich setze auf politischen Inhalt. Und den haben nur wir.
Stört es sehr, dass Sie ausschließlich als der Gegenspieler des Wirtschaftsministers wahrgenommen werden?
Christ: Nein. Ich bin nicht der Anti-Guttenberg. Mein Thema ist der Mittelstand. Da reden wir über mindestens 65 % der Arbeitsplätze in Deutschland. Hier fühl ich mich sehr komfortabel, da kenn ich mich aus. Das spüren auch die Leute draußen im Wahlkampf. Glauben Sie mir, die CDU wird nervös. Die können Ihre Strategie des Stillhaltens nicht durchhalten bis zum 27. September. Die SPD hat eine echte Chance. Und die werden wir nutzen.