Düsseldorf. Von "richtiger Scheiße" und von "Eigentoren" ist in E-Mails zwischen Jürgen Rüttgers' Staatskanzlei und seiner CDU-Zentrale die Rede. Es geht - mal wieder - um die Videobeobachtung im Wahlkampf. Interne Diagnose der Staatskanzlei: "Ohne Not dicke Hose vorgetäuscht und Prügel bekommen."

Es ist der Abend des 17. September, als Boris Berger in der Düsseldorfer Staatskanzlei der Kragen platzt. Gerade hat die Sekretärin von Jürgen Rüttgers ihm die Vorab-Meldung eines WAZ-Interviews zugeleitet, in dem SPD-Kanzlerkandidat Steinmeier dem CDU-Ministerpräsidenten vorwirft, er wolle andere Parteien per Videobeobachtung „einschüchtern”.

Berger, Rüttgers' engster Berater in der Regierungszentrale, mailt seinen Zorn um 19.59 Uhr an CDU-Generalsekretär Hendrik Wüst. „Bei aller Freundschaft, da ist richtig Scheiße angerichtet worden! Ohne Not dicke Hose vorgetäuscht und dafür auch noch Prügel bekommen! Das ist das zweite Eigentor, das wir in zwei Wochen schießen!” schreibt er in seinen Dienst-PC und unterzeichnet: „BB”.

Das zweite Eigentor: Nach Rüttgers' „Rumänen-Schelte” ist soeben über die WAZ bekannt geworden, dass die CDU-Zentrale ein Profi-TV-Team auf SPD-Landeschefin Hannelore Kraft angesetzt hat. Berger muss feststellen, dass es seit Tagen nicht gelingt, die öffentliche Erregung zu besänftigern. Wüst ist in der Defensive. „Wohl richtig”, schreibt er Berger zurück, „wir hatten das primäre Ziel, den Eindruck zu vermeiden, dass das ne Reaktion auf die Rumänen war. Dabei haben wir uns gleich mehrere Eigentore geschossen.”

Trennung von Regierung und Partei ignoriert

Der Mailverkehr zwischen Rüttgers' Staatskanzlei und Rüttgers' CDU-Zentrale, der drei Tage vor der Bundestagswahl die „Video-Affäre” aufs Neue eskalieren lässt, liegt der WAZ-Mediengruppe vor. Er belegt, dass die per Gesetz vorgesehene Trennung von Regierung und Partei ignoriert wurde, mehr noch: Der frühere Bundeswehr-Offizier Berger steuerte gleichsam die CDU-Aktionen aus der Regierungszentrale.

Am 9. September beteuert Bundesratsminister Andreas Krautscheid (CDU) in einer Fragestunde des Landtags, man unterscheide „sauber” zwischen der Arbeit von Partei und Regierung. Tags zuvor hat CDU-Pressesprecher Matthias Heidmeier um 21.01 Uhr einen längeren Bericht über einen Kraft-Auftritt in Köln („Sie zeigt Nerven bei Störungen”) per E-Mail an Berger geschickt. Der reagiert um 21.15 Uhr, regt an: „Gute Infos, danke! Wie bündeln wir solche Infos, wie organisieren wir die dauerhafte Beobachtung und Archivierung der Infos?” Heidmeier meldet kurz darauf Vollzug: „Jeder Auftritt von Kraftilanti mit Tonband und Kamera. Das Material machen wir zugänglich.”

Kraft sieht Rüttgers Rolle bestätigt

Ehe Jürgen Rüttgers am 19. September vorschlägt, die Parteien mögen die „gegenseitige Filmerei” lassen, schickt die CDU-Zentrale an der Düsseldorfer Wasserstraße zwei Tage zuvor noch einen langen Bericht über einen Steinmeier-Auftritt an Berger - unter „WG: Gegnerbeobachtung Steinmeier in Münster am 19.09.09”. Nur Rüttgers-Sprecher Hans-Dieter Wichter weiß von all dem angeblich nichts. „Von Kooperationen oder Absprachen”, sagte er am Mittwoch der WAZ auf Anfrage, „ist mir nichts bekannt”.

Kraft reagierte empört über die angebliche Verwicklung der Staatskanzlei. «Ich habe nicht geglaubt, dass eine Partei, die sich christlich nennt, eine solche Schmutzkampagne gegen mich betreibt», sagte Kraft der «Frankfurter Rundschau» (Onlineausgabe). Jetzt sei erwiesen, dass dafür Ministerpräsident Rüttgers die Verantwortung trage und die Überwachung aus seiner Staatskanzlei gesteuert wurde.

Staatskanzlei kündigt rechtliche Schritte an

Das Bekanntwerden des Mailverkehrs hat unterdessen für große Aufregung in der Landesregierung gesorgt: «Die Bespitzelung der Regierungszentrale ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Offenbar wird die Staatskanzlei systematisch bespitzelt», sagte ein Regierungssprecher. Zum Vorwurf, die Staatskanzlei steuere eine Kampagne der NRW-CDU gegen Kraft, äußerte sich der Sprecher von Rüttgers hingegen nicht.

«Vor allem wird offenkundig ein bestimmter Mitarbeiter seit Jahren ausgespäht und auch in seine Privatsphäre eingegriffen», sagte der Sprecher weiter. Es sei nicht auszuschließen, dass auch Ministerpräsident Rüttgers «Opfer der Bespitzelungsattacken ist», hieß es. Die Staatskanzlei habe nun unmittelbar juristische Schritte eingeleitet. «Zusätzlich hat das Landeskriminalamt Untersuchungen aufgenommen», so der Sprecher. (mit ddp)