Berlin. Gesundheit und Steuern sind die Knackpunkte in den Koalitionsverhandlungen von Union und FDP. Die Schlüsselthemen sind eng miteinander verwoben, beide entscheiden letztlich darüber, ob das Wahlversprechen „Mehr Brutto vom Netto” eingelöst werden kann. Der Einheitsbeitrag wird wohl wegfallen.
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In der Gesundheitspolitik zeichnen sich weitreichende Veränderungen ab: Der erst im Januar eingeführte Einheitsbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von 14,9 Prozent wird wieder abgeschafft. Damit fällt ein Hauptmerkmal des Gesundheitsfonds weg, der das Geld der 50 Millionen Versicherten einsammelt und an die Kassen verteilt. Diese sollen wieder selbst ihre Beitragssätze bestimmen dürfen. Darüber sind sich CDU, CSU und FDP im Grundsatz einig. Die Details wollen Mitte der Woche die Parteivorsitzenden Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Guido Westerwelle (FDP) festlegen.
Erhoffte Wirkung: Die Kassen sollen wieder um den niedrigsten Beitragssatz konkurrieren. Der neue Wettbewerb würde sogar doppelt so hart wie früher, wenn Schwarz-Gelb die Arbeitgeberbeiträge einfröre, wie es laut diskutiert wird. Denn dann würden die Unterschiede zwischen den Beitragssätzen allein von den Versicherten getragen.
Absurde Koppelgeschäfte
Vor Einführung des Einheitsbeitrags waren besonders Kassen in den reicheren süddeutschen Ländern günstiger. Deshalb hat neben der FDP vor allem die CSU Interesse an der Umkehr. Folgerichtig wollen sie eine weitere Schraube zurückdrehen: Die Umverteilung zwischen den Kassen, „Risikostrukturausgleich” genannt, soll sich wieder am Alter der Versicherten orientieren. Derzeit ist entscheidend, wie krank die Versicherten einer Kasse sind. Das hat zu absurden Koppelgeschäften zwischen Kassen und Ärzten geführt, mit dem Ziel möglichst schlimmer Diagnosen.
Der gewollte Effekt, die großen Versorgerkassen mit überdurchschnittlich kranken Mitgliedern zu stützen, ist aber eingetreten. Kassen mit vielen gesunden Mitgliedern büßten ihre Wettbewerbsvorteile ein. Würde dies rückgängig gemacht, entstünde ein neues Nord-Süd-Gefälle.
Bereits geeinigt haben sich Union und FDP auf eine Einschränkung des Versandhandels mit Medikamenten. Die neue schwarz-gelbe Bundesregierung will die so genannten „Pick-up-Stellen” für Arzneimittel in Drogeriemärkten wieder verbieten. Dort können Patienten zuvor bestellte Arzneimittel abholen. Bekannt sind etwa die Bestell-Ecken der niederländischen Europa-Apotheek in den dm-Märkten.
Für den Versandhandel von Arzneien in Deutschland wäre das ein herber Rückschlag. Die Internetapotheken hatten mit diesem Bestell-Modell neue Absatzmärkte erschlossen. Vor allem ältere Kunden, die zuvor gar nicht auf die Idee gekommen waren oder sich scheuten, ihre Medikamente über das Internet zu ordern, konnten sich mit der Bestellung per Post anfreunden.
Den klassischen Apotheken ist die Konkurrenz aus dem Internet eine unliebsame Konkurrenz. Sie verweisen darauf, dass direkte Beratung in der Apotheke unverzichtbar sei. Dagegen betonen Verbraucherschützer, dass besonders Chroniker, die lediglich ihre bekannten Medikamente bestellen, viel Geld mit dem Versandhandel sparen können.
Solche Details bestimmen, wer die Milliardendefizite der Kassen begleichen wird. 7,5 Milliarden Euro fehlen allein 2010. Werden die Arbeitgeber verschont, geht es nur noch darum, ob die Bürger die Löcher mit höheren Beiträgen oder Steuern stopfen sollen. Das wiederum wird darüber entscheiden, ob eher Geringverdiener zur Kasse gebeten werden oder die Mittelschicht bezahlen muss. Weil Sozialbeiträge vom ersten Euro an fällig werden, während es für Steuern Freibeträge gibt, treffen Beitragserhöhungen vor allem Geringverdiener. Da sie zudem kaum etwas von Steuersenkungen hätten, würde ihnen weniger statt „mehr Brutto vom Netto” bleiben.
Parteichefs haben das letzte Wort
Deshalb wirbt CDU-Verhandlungsführerin Ursula von der Leyen für mehr Steuerzuschüsse an die Kassen, um die Beiträge stabil zu halten. Das würde jedoch weitere Löcher in den Bundeshaushalt reißen, der schon unter den Steuersenkungen leiden wird. So hängt alles mit allem zusammen bei diesen zwei Schlüsselthemen – auch deshalb haben die Parteichefs das letzte Wort.
Sparvorschläge sind rar. Schwarz-Gelb plant eine Kosten-Nutzen-Analyse für neue, patentgeschützte Arzneien. Für sie müssen die Hersteller bisher nur nachweisen, dass sie wirken, aber nicht, dass sie auch besser wirken als vergleichbare, günstigere Arzneien. Sparen will man sich auch die Ausgaben für die elektronische Gesundheitskarte, immerhin eine Milliarde Euro.
Doch ein anderes Vorhaben wird den Kassen wieder Einnahmen entziehen: Die FDP hat durchgesetzt, die Frist zum Wechsel von der gesetzlichen zur privaten Krankenversicherung für Besserverdiener wieder auf ein Jahr zu verkürzen. In der großen Koalition hatte noch Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber die Fristverlängerung durchgesetzt, um mehr Gutverdiener in den Gesetzlichen Kassen zu halten.