Berlin. Ex-Kanzler Gerhard Schröder fordert den Abzug der Bundeswehr bis 2015 aus Afghanistan - das sei seine private Meinung. Der NATO-Angriff heizt auch die innerdeutsche Debatte um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr weiter an. Hilfe soll offenbar von US-Spezialeinheiten kommen.

Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat sich dafür ausgesprochen, den Bundeswehreinsatz in Afghanistan in fünf Jahren zu beenden. Nach Berichten der «Welt am Sonntag» und des Bielefelder «Westfalen-Blatts» sagte Schröder am Samstag bei einer Rede im ostwestfälischen Lübbecke auf dem Volksfest «Blasheimer Markt», im Jahr 2015 müsse «Ende» sein mit dem internationalen Engagement. «Wir brauchen ein Datum», sagte Schröder. «Wir können da nicht auf ewige Zeit bleiben.»

Man solle dem afghanischen Präsidenten sagen: «Du musst das in den nächsten fünf Jahren schaffen. Ihr könnt euch nicht immer auf andere verlassen. Ihr müsst euch auf euch selbst verlassen.» Das sei «eine vernünftige Politik», sagte der frühere Kanzler. Schröder erklärte der «Welt am Sonntag» zur Differenz seiner Position von der Haltung der SPD und deren Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier: «Das ist meine private Meinung.»

Gert Weisskirchen, der außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sprach sich gegen Schröders Vorstoß aus. «Eine Festlegung auf bestimmte Daten, die einen selbst unter Zwang setzen und insbesondere den Taliban eine Chance geben, ist nicht besonders klug», sagte Weisskirchen der «Welt am Sonntag». SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier habe bereits einen sehr vernünftigen Vorschlag gemacht. Er wolle mit der afghanischen Regierung von Karsai darüber reden, wie nach dem Auslaufen der von 51 Staaten beschlossenen Vereinbarung «afghan compact» Ende 2010 die Zukunft des Landes aussehen und welche Rolle die Bundeswehr dabei spielen soll.

Steinmeier fordert Aufklärung des NATO-Luftangriffs

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier hat eine gründliche Aufklärung des NATO-Luftangriffs nahe Kundus gefordert und vor voreiligen Schlüssen gewarnt. Die FDP verlangte am Samstag ein Zukunftskonzept für den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Linke und Grüne nannten die Tötung von Zivilisten unentschuldbar.

Die Bundeswehr hatte laut Verteidigungsministerium die NATO-Luftunterstützung nach einem Taliban-Überfall auf zwei ihrer Tanklastzüge angefordert, um einem Selbstmordanschlag auf die deutschen Truppen vorzubeugen. Der Bundeswehr zufolge wurden ausschließlich 57 Aufständische getötet. Der Gouverneur der betroffenen Region, Mohammed Omar, gab die Zahl der Opfer dagegen mit mindestens 72 an.

Steinmeier sprach in «Bild am Sonntag» von einem gravierenden Vorfall. «Deshalb müssen wir gemeinsam mit unseren Verbündeten dafür sorgen, dass die Vorgänge von Donnerstagnacht schnellstmöglich und genauestens aufgeklärt werden.» Gegen verbrecherische Terroristen müsse entschieden vorgegangen werden. «Gleichzeitig müssen wir aber alles tun, um unschuldige zivile Opfer zu vermeiden», sagte der SPD-Politiker.

Keine Beruhigungspillen verteilen

Der FDP-Verteidigungsexperte Jürgen Koppelin forderte im NDR, offen darüber zu sprechen, was deutsche Soldaten in Afghanistan machen. «Und da ist es nicht gut, wenn sowohl Bundesverteidigungsminister Jung als auch Außenminister Steinmeier ständig Beruhigungspillen verteilen und sagen: Das ist ja alles gar nicht so schlimm, eigentlich unterstützen wir nur noch die Entwicklungshilfe in Afghanistan, und dazu braucht man Soldaten.»

Linksfraktionschef Gregor Gysi erklärte: «Die Tötung von Zivilisten bei einem von der Bundeswehr angeforderten NATO-Luftangriff auf zwei von den Taliban entführte Tankwagen ist durch nichts gerechtfertigt und unentschuldbar.» Jedes zivile Opfer der Kriegführung der NATO in Afghanistan führe zu Hass, einem weiteren Erstarken der Taliban und erhöhe die Terrorismusgefahr. Der Fraktionsvorsitzende forderte Kanzlerin Angela Merkel und Steinmeier auf, sofort für umfassende Aufklärung zu sorgen und die Ergebnisse dem Parlament vorzulegen.

Für die Grünen erklärten deren stellvertretender Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin, nach bislang vorliegenden Informationen sei es bei der Bombardierung zu zivilen Opfern gekommen. Mit der Anordnung der Bombardierung sei ausgerechnet von der Merkel-Regierung der eingeleitete Strategiewechsel der USA zum Schutz der Zivilbevölkerung konterkariert worden.

«Kanzlerin Merkel muss ihren überforderten Verteidigungsminister an die Kette legen und selbst die politische Verantwortung übernehmen», verlangte Trittin. «Sie muss sich öffentlich bei den Menschen in Afghanistan und bei den Bündnispartnern entschuldigen.»

Hilfe von Spezialeinheiten der US-Truppen

US-Spezialeinheiten sollen in Nordafghanistan helfen, die immer schwierigere Sicherheitslage wieder zu entschärfen. Geplant ist dafür die Stationierung einer bis zu 300 Mann starken Einheit im Bundeswehrcamp Marmal in Mazar-i-Sharif. Das Verteidigungsministerium bestätigte am Samstag einen entsprechenden Bericht des Nachrichtenmagazins «Der Spiegel». Die Anfrage der USA werde «gegenwärtig geprüft», sagte ein Ministeriumssprecher auf ddp-Anfrage.

Nach Informationen des Nachrichtenmagazins ist vorgesehen, Teile der auf Terrorismusbekämpfung spezialisierten «Task Force 373» auch in Nordafghanistan einzusetzen. Sie machen im Rahmen der Anti-Terror-Operation «Enduring Freedom» gezielt Jagd auf Taliban und Terroristen und können dafür auch grenzüberschreitend vorgehen.

Die Anfrage der USA war schon Anfang August in Berlin eingegangen. Nach ddp-Informationen blieb sie aber im Einsatzführungsstab hängen und wurde erst auf Nachfrage der USA bearbeitet. Staatssekretär Peter Wichert soll von den Militärs nicht über den Vorgang informiert worden sein. (ap/afp/ddp)