Bonn/Berlin. In Zeiten des Internetwahlkampfs macht die CDU-Vorsitzende Angela Merkel Wahlkampf per Zug. Im legendären "Rheingold" fährt die Kanzlerin durch die Republik - und begibt sich so auf die Spuren des ersten Bundeskanzlers, Konrad Adenauer. Er gab der CDU und ihren Wählern Identität.

Der beliebte Vorhalt der Sozialdemokratie, Angela Merkel strebe im Schlafwagen an die Macht, kann schon deshalb nicht ganz stimmen, weil es im dachverglasten Aussichtswagen des „Rheingold”-Zuges nur in die Jahre gekommene Liegesessel gibt. Drehbar. Was den Blick auf die Dinge draußen im Lande erleichtern oder furchtbar schwindelig machen kann.

Auf einem der Sessel nimmt an diesem grauen Dienstagmorgen um 9.46 Uhr in Bonns sorgsam abgeriegeltem Hauptbahnhof die Kanzlerin im lila Jackett Platz. Gleich macht sie sich auf zu einer Reise, die kaum Halt machen wird. Vor inszenierter Historisierung. Am 15. September 1949 brachte es Konrad Adenauer mit nur einer Stimme über den Durst zur Kanzlerschaft. Der Ahnherr der Christlich-Demokratischen Union bestieg gern den damals noch in Violett und Elfenbein lackierten berühmtesten deutschen Luxuszug, um von gediegener Warte aus auf die Deutschen und ihr werdendes Wirtschaftswunderland zu blicken.

Können wir auch, entschieden die Wahlkampfstrategen der CDU. Und zwar auf den Tag genau 60 Jahre später. Begleitet von gut 40 Hauptstadtjournalisten und einer stattlichen Zahl von Kindern und Kindeskindern Adenauers machte Merkel im inzwischen rot-creme-farbenen Nostalgie-Waggon einen Zug durch die Republik. Von Bonn über Koblenz erst nach Frankfurt. Dann über Erfurt und Leipzig retour nach Berlin.

Kitsch als Kulisse

Zehn Stunden Schiene, zehn Stunden gewollter Anachronismus im Zeitalter des Internetwahlkampfs. An jeder Station 30 Minuten Wahlkampf mit Bühne und Grußworten und oft geredeten Reden, zu denen beifallfreudige Ministerpräsidenten wie Roland Koch (CDU/Hessen) und Stanislaw Tillich (CDU/Sachsen) sowie Heerscharen von Stadthonoratioren anzutreten hatten. Zwischendurch Gespräche mit Journalisten, die immer mehr den Charakter von launigen Audienzen annehmen. Ab und zu noch ein paar tiefe verbale Verneigungen vor verdienten Parteigranden-West – wie Adenauer und Helmut Kohl – von der Parteichefin-Ost. Fertig ist die auf konservativ-traditionsbewusste Parteiklientel zielende Fahrt. Wem so viel Eisenbahnkitsch als Kulisse für das Zukunftsprojekt Deutschland suspekt erscheint, zu dem bekanntermaßen allein die Union die nötige Kraft zu haben glaubt, der kennt die dazu passende Erzählung noch nicht.

Sie geht so: Wo Adenauer den Rheingold kurz vor der Grenze verlassen musste, in Frankfurt eben, obwohl er doch so gern weiter gen Osten gefahren wäre, macht Merkel den deutsch-deutschen Brückenschlag nun komplett. Sie vollendet nach sehr eigenem Gusto das Werk des „Alten”. Dass eben jener abschätzig von asiatisch-sibirischen Steppen sprach, wenn er beispielsweise die Gegend um Magdeburg meinte, ließ die Kanzlerin unerwähnt. Es hätte ja auch nicht gepasst zu ihrem Kursbuch, aus dem man auf den letzten Metern dieses seltsamen Wahlkampfes gewiss noch öfter hören wird: Keine Experimente! Vorsicht vor politischen Farbspielen, die nicht in Schwarz-Gelb münden.

Trillerpfeifer unterwegs

Die nach Geschichtsunterricht klingende Langfassung hörte sich auf den mal von mehr, mal von weniger Trillerpfeifern und überschaubar vielen „Angie”-Plakathaltern besuchten Bahnhofsvorplätzen aus dem Mund der Kanzlerin ungefähr so an: Ohne ein Zusammengehen mit den Liberalen hätte Konrad Adenauer seinerzeit Ludwig Erhards soziale Marktwirtschaftspolitik nie ins Werk setzen können. Woraus Frau Merkel ableitet: Ohne CDU und FDP im Lokführerstand wird der Zug Deutschland der globalen Finanzkrise nicht schnell genug davonfahren können. Aber waren da nicht beim Fernsehfachgespräch mit Herrn Steinmeier unübersehbare Hinweise, dass es auch mit einer anderen Crew klappen könnte, wenn es denn müsste?

Aber die Sozialdemokraten sieht Merkel nach dem 27. September nicht an Bord. Zu aufgeschlossen rot-roten Sperenzchen gegenüber werde die neue, viel linkslastigere Bundestagsfraktion, streuen ihre Getreuen. Zu instabil sei die SPD inzwischen, als dass sich mit ihr gedeihlich weiter arbeiten ließe. So unmissverständlich klar spricht Merkel öffentlich nicht.