Berlin. Der Bundestag hat sich nach langem Ringen entschieden: Patientenverfügungen sollen künftig für die Ärzte verpflichtend sein. Insgesamt standen vier unterschiedliche Positionen zur Debatte.
Patientenverfügungen werden künftig verbindlich. Nach sechsjährigem Streit beschloss der Bundestag am Donnerstag eine gesetzliche Regelung, die das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in den Mittelpunkt stellt. Danach gilt ein vorher schriftlich festgelegter Patientenwille in jedem Fall, unabhängig davon, ob die spätere Krankheit tödlich verläuft oder nicht. Eine Beratungspflicht ist nicht vorgesehen.
Zwei weitere Anträge, die die Verbindlichkeit des Patientenwillens einschränken wollten, lehnten die Abgeordneten ab. Da es sich um eine Gewissensfrage handelte, war der Fraktionszwang aufgehoben.
Für die verschiedenen Modelle hatten die Abgeordneten zuvor eindringlich geworben. Der SPD-Rechtsexperte Joachim Stünker, der die Federführung des mit 317 Stimmen beschlossenen Entwurfs hatte, sagte: «Die Menschen haben einen Anspruch darauf, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht nur in der Verfassung steht, sondern im Alltag auch eingehalten wird.» Jedem müsse erlaubt sein, seine Krankheit ihren natürlichen Verlauf nehmen zu lassen und nicht an die moderne Apparatemedizin angeschlossen zu werden.
Kein Automatismus
Der FDP-Politiker und Mitunterzeichner des Entwurfs, Michael Kauch, betonte, dass niemand gezwungen werde, eine Patientenverfügung zu verfassen. «Aber wer das tut, hat ein Recht darauf, dass sein Wille geachtet wird.»
Gleichzeitig betonten die Initiatoren des Stünker-Modells auch, dass kein «Automatismus» eintrete. Die Linksfraktionsabgeordnete Luc Jochimsen wies darauf hin, dass immer überprüft werde, ob die Patientenverfügung dem aktuellem Willen des Kranken entspreche. Laut Entwurf wird nur im Konfliktfall zwischen behandelndem Arzt, Betreuer und nächsten Angehörigen das Vormundschaftsgericht eingeschaltet. Viele Redner betonten auch, dass es keine Alternative zwischen Fürsorge und Selbstbestimmung gebe. Verbessert werden müssten auch medizinische Versorgung und menschliche Zuwendung am Ende des Lebens.
Abgelehnter Entwurf
Im Gegensatz dazu machte der gescheiterte Entwurf des CDU-Rechtspolitikers Wolfgang Bosbach und anderer eine Differenzierung: Ist eine Krankheit tödlich, gilt die Patientenverfügung auf jeden Fall. Ist sie hingegen heilbar, sollen die Vorfestlegungen nur dann verbindlich sein, wenn sich der Patient zuvor hat ärztlich beraten lassen. Mitinitiator René Röspel begründete diese «Reichweitenbeschränkung» damit, dass sich Patientenwünsche auch mit der Zeit ändern könnten.
Der ebenfalls abgelehnte, vom CSU-Abgeordneten Wolfgang Zöller und anderen verfasste Entwurf verstand sich als Mittelweg. Demnach hätte der Patientenwille nicht unbedingt schriftlich festgelegt sein müssen. Entscheidend war für Zöller die «individuelle Ermittlung der aktuellen Situation des Patientenwillens». Dazu sollen Ärzte und Angehörige beraten. «Wir wollen keinen Automatismus», sagte Zöller. «Sterben ist eben nicht normierbar.»
Von den Abgeordneten verworfen wurde auch der Antrag des CDU-Abgeordneten Hubert Hüppe, der überhaupt keine Regelung wollte. Viele Redner verwiesen darauf, dass nicht nur die Patienten, sondern auch Ärzte einen Anspruch auf Rechtssicherheit hätten.
Zypries begrüßt Rechtsklarheit
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries begrüßte die Entscheidung des Bundestags als «mehr Rechtsklarheit und Rechtssicherheit im Umgang mit Patientenverfügungen». Vor allem die über acht Millionen Menschen, die bereits eine Patientenverfügung haben, könnten sich in Zukunft darauf verlassen, dass ihr Selbstbestimmungsrecht gerade in einer Phase schwerer Krankheit beachtet wird.
Sie verwies darauf, dass die beschlossene Regelung keine Einschränkung der Verbindlichkeit beinhalte. Patientenverfügungen gälten danach in jeder Lebensphase. Die Beachtung des Patientenwillens sei weder an hohe bürokratische Hürden noch an Art oder Stadium einer Krankheit gekoppelt. Bei Missbrauchsgefahr oder Zweifeln über den Patientenwillen entscheide das Vormundschaftsgericht als neutrale Instanz. (ap)