Essen. Ende nächster Woche könnte der unbefristete Erzieher-Streik in den Kitas beginnen. Schon jetzt kochen die Emotionen hoch. Während Erzieher um mehr Geld kämpfen, bangen Eltern um ihren Job. Eine Analyse.

Der geplante unbefristete Streik von Erziehern und Sozialarbeitern in Kindertagesstätten und offenen Ganztagsschulen lässt in diesen Tagen vielerorts die Emotionen hochkochen. Derzeit verdichten sich die Anzeichen, dass es beim Streikbeginn in Kitas auf den 8. Mai hinausläuft. Nach Angaben von Verdi soll der Start erst feststehen, wenn die bis zum 5. Mai laufende Urabstimmung abgeschlossen ist.

„Dass ab dem 8. Mai gestreikt wird, ist sehr wahrscheinlich“, deutet Thomas Keuer, Geschäftsführer des Verdi-Bezirks Duisburg/Niederrhein, an. Ebenso, dass es in der folgenden Woche ohne Unterbrechung weitergeht. Eine „Rein-Raus-Strategie“ wie beim Streik 2009 werde es wohl nicht geben, glaubt der Verdi-Geschäftsführer: „Wir haben ein hohes Interesse, sobald wie möglich weiter zu verhandeln.“

Kita-Streik bedeutet harte Zeiten für Kinder und Eltern

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Von Matthias Korfmann, Wilfried Goebels und Eva Adler

Somit müssen sich Eltern von einigen Kindertagesstätten darauf einrichten, dass sie möglicherweise für über zehn Tage eine Betreuung für ihr Kind brauchen - ohne die Gewissheit dass bei dem unbefristet angesetzten Streik nicht noch weitere Ausfalltage hinzukommen. Während einige Kindertagesstätten den Streik komplett durchziehen wollen, kündigen andere aus Rücksicht auf die Eltern nur vereinzelte Streiktage an und variieren den Start-Tag.

Die drei Warnstreik-Tage gingen bereits für viele Väter und Mütter über die Belastungsgrenze“, berichtet das Essener Elternbeirats-Mitglied Kathleen Lyß. „Wenn jetzt ein unbefristeter Streik kommt, dann bangen nicht wenige Eltern um ihre Jobs“, warnt die Mutter zweier Kita-Kinder. „Kaum ein Arbeitgeber hat dafür Verständnis, wenn Kinder künftig laufend mit ins Büro genommen werden oder Fehlzeiten entstehen. Und nicht jeder kann über einen unbestimmten Zeitraum privat eine Ersatzbetreuung organisieren.“

Eltern müssen trotz Streiks Kita-Gebühr zahlen

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Während viele Eltern die Situation mit Hilfe von Urlaubstagen, Oma und Opa sowie Freunden noch irgendwie auffangen können, gestaltet sich die Situation für Berufstätige und vor allem Alleinerziehende schwierig. Nicht immer zeigt der Chef Verständnis, wenn wie jetzt kurzfristig um Urlaub gebeten werden muss. Bei Selbstständigen hat ein kurzfristiger Ausfall sogar konkrete Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation, wenn sie ohne zu arbeiten schlicht kein Geld verdienen.

Umso größer wird der Frust, wenn gleichzeitig weiterhin die vollständige Kita-Gebühr abgebucht wird. Eine Rückerstattung der Beiträge hängt laut Arbeitsrechtlerin Nathalie Oberthür von den einzelnen Betreuungsverträgen und den Kommunen ab. Oft können sich die Arbeitgeber auf "höhere Gewalt" durch die Streiks berufen. So wollen die Städte Duisburg und Essen die Kita-Beiträge voraussichtlich nicht anteilig zurückerstatten. Gelsenkirchen und Dortmund hingegen erstatteten im Jahr 2009 den Eltern die Kita-Gebühren auf Grundlage eines Ratsbeschlusses komplett zurück.

Trifft die Arbeitsniederlegung der Erzieher die Richtigen?

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An diesem Punkt zeigt sich das große Problem dieses Streiks. Wenn etwa Piloten die Arbeit niederlegen, verliert das Unternehmen Millionen Euro. Dazu könnten genervte Kunden zu einem konkurrierenden Anbieter wechseln, was langfristig schaden würde. Diesen Druck können die Erzieher mit ihrem Streik auf die kommunalen Arbeitgeber nicht in dem Maße aufbauen. Denn den Städten schadet der Streik erst einmal gar nicht. Im Gegenteil: Sie sparen sogar Geld - nämlich das Gehalt der streikenden Erzieher. Diese werden für diese Zeit aus der Streikkasse von Verdi bezahlt.

So muss der Druck auf den Arbeitgeber über die Unterstützung der Öffentlichkeit aufgebaut werden. Bei den ersten Warnstreiks wurden viele Sympathien der Eltern für die Kita-Mitarbeiter deutlich. Eine Erzieherin startet heute mit einem Gehalt von 2300 Euro brutto und steigert sich mit den Berufsjahren auf 3100 Euro brutto - bei den heutigen Anforderungen in Kindertagesstätten können viele Eltern den Frust der Arbeitnehmer nachvollziehen.

Gewerkschaften fordern zehn Prozent mehr Lohn für Erzieher

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Verdi sowie die Gewerkschaften GEW und dbb fordern deshalb mit der Kampagne "Aufwerten jetzt!" eine höhere Eingruppierung der Beschäftigten - die aktuelle Eingruppierung besteht seit 1991. Das würde eine Steigerung des Einkommens der bundesweit 240.000 Erzieher und Sozialarbeiter um zehn Prozent bedeuten.

Doch die Sympathie vieler Eltern mit den streikenden Erziehern dürfte schnell bröckeln, wenn sie die Auswirkungen des Streiks auf sich und die Kinder spüren. Ein Recht auf eine Notbetreuung haben Eltern laut einem Sprecher der Stadt Dortmund nicht. Doch wohin mit den Sprösslingen? Generell gilt, wenn „ein Elternteil nicht berufstätig ist, muss dieses die Betreuung übernehmen“, so der Düsseldorfer Arbeitsrechtler Julian Bauer.

Das Problem mit den Notgruppen in den Kindertagesstätten

Die kurzfristige Einrichtung von Notgruppen ist ein organisatorischer Mammut-Akt und kann nur durch die Zusammenarbeit von Städten mit Verdi und den Erziehern gelingen. Dortmund hat es sich zum Ziel gesetzt, in jedem Stadtbezirk wenigstens eine „Bedarfs-Kita“ zu öffnen, wie Stadt-Sprecher Meinders mitteilte. Ob das gelingt, ist ungewiss. In Dortmund blieben am 15. April beim Warnstreik 96 von 102 städtischen Kitas geschlossen.

Allerdings scheuen sich einige Eltern ihren Nachwuchs in einer fremden Umgebung bei fremden Erziehern zu lassen. Ganz zu schweigen von den Kindern, die zum Start ihrer Kita-Zeit teilweise eine mehrwöchige Eingewöhnung brauchen. Für sie ist die Unterbringung in Notgruppen wohl ausgeschlossen. Für diese Eltern und Kinder beginnen mit dem Kita-Streik besonders harte Zeiten.