Düsseldorf. . Neue Bevölkerungsprognose sieht NRW vor Wachstum. Im Revier dürfte es viele Verlierer geben. Aber die Aussagekraft solcher Vorhersagen ist umstritten.

Nordrhein-Westfalen wächst überraschend bis 2025 – nach neuen Prognosen beginnt der Bevölkerungsrückgang deutlich später als von Experten erwartet. Ursache sind vor allem die hohen Zuwanderungszahlen. Nach den Berechnungen des Landesamtes für Statistik wird die Einwohnerzahl im Bundesland deshalb noch bis 2025 um ein knappes Prozent auf 17,7 Millionen Bürger steigen. Die Statistiker gehen davon aus, dass die Geburtenzahl zwar absehbar sinken wird, zunächst aber ein neuer Bedarf für Kitas und Schulplätze besteht. Erst 2040 soll die Bevölkerungszahl dann laut Prognose landesweit um lediglich 0,5 Prozent auf 17,5 Millionen sinken.

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Landesweit gibt es erhebliche Unterschiede in der Bevölkerungsentwicklung bis 2040. So wächst die Einwohnerzahl unter anderem in den Städten Düsseldorf (+13%), Köln (+19%), Bonn (+12%), Essen (+3,6%), Münster (16,6%) und Leverkusen (+8%). Im Ruhrgebiet sinkt die Einwohnerzahl um 3,9% auf 4,8 Millionen Bürger. Den größten Rückgang melden der Märkische Kreis mit -19%, Hochsauerlandkreis -16%, Hagen -9,7%, Oberbergischer Kreis -9,9% und der Ennepe-Ruhr-Kreis -8%. Damit verschärft sich die „Landflucht“ in NRW.

Dortmund und Essen dürfen sich auf mehr Einwohner freuen

Wir hatten uns schon an all die düsteren Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung gewöhnt. Deutschland, NRW, die Städte an der Ruhr werden schnell und dramatisch schrumpfen, hieß es. Und nun legt das Landesamt IT.NRW eine ganz andere Vorhersage auf den Tisch: Zumindest bis 2025 soll die Zahl der Einwohner in NRW sogar wachsen. Selbst Revierstädte sind unter den „Wachstums“-Kandidaten: Dortmund (+ 5,1 %), zum Beispiel, und Essen (+ 3,6 %).

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Von Matthias Korfmann

Die aktuelle Vorausberechnung, die bis zum Jahr 2040 reicht, scheint auf einer soliden Datenbasis zu ruhen. Sie ist die erste auf der Grundlage der Volkszählung 2011. In der Staatskanzlei wird nach Angaben von Regierungssprecher Thomas Breustedt nun neu gedacht. „Der Kita-Ausbau muss weiter gehen, weil der Babyboom anhält.“ Bis 2025, so die Vorhersage, wächst die Zahl der Kinder bis sechs Jahre um knapp 30.000 in NRW. Deshalb können mittelfristig keine Lehrerstellen und Schulklassen gestrichen werden – eigentlich hatte die Finanzplanung mit „Demografie-Gewinnen“ kalkuliert. Gleichzeitig kann für 2030 mit rund 400.000 mehr Menschen im arbeitsfähigen Alter gerechnet werden als erwartet: gut für die Sozialkassen.

Berthold Haermeyer, Statistik-Experte der Stadt Dortmund, sagte am Freitag: „Es sieht so aus, als müssten wir alte Vorstellungen korrigieren. Wir können eben nicht mehr einfach sagen, dass wir bald auf manche Straßen verzichten und viele Schulen schließen können.“

Frühere Prognose lag in manchen Details weit daneben

Doch Vorsicht ist angebracht im Umgang mit Prognosen. Im Jahr 2001 machte eine düstere Vorhersage Schlagzeilen im Revier: „Das Ruhrgebiet verliert immer mehr Bürger“, hieß es damals. Und: „Essen, Dortmund und Hagen trifft es besonders hart.“ Eine Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) blickte damals bis 2015 voraus. Optimismus war nicht angesagt. Selbst eine Steigerung der Geburtenrate um 50 Prozent werde die Schrumpfung des Ruhrgebiets nicht stoppen können, hieß es.

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Was ist aus dieser Vorhersage geworden? Im Großen und Ganzen könnte man sie eine „Punktlandung“ nennen. Aber der Fehlerteufel steckt im Detail. Wenn es um einzelne Städte geht, lagen die Experten zum Teil gründlich daneben.

Geglückt ist die Einwohnerprognose für das Ruhrgebiet: 5,04 Millionen Einwohner sollten es laut RWI-Studie im Jahr 2015 sein. Und so ist es heute auch, wie Zahlen des Regionalverbandes Ruhr belegen. Einen guten „Riecher“ hatte das RWI auch für die Entwicklung in Bottrop und Gelsenkirchen. Völlig missglückt hingegen ist die Vorhersage für Dortmund, Essen sowie den Kreis Unna. Essen dürfte heute nur noch eine 529.000 Einwohner-Stadt sein. Tatsächlich sind es laut RVR rund 570.000. Dortmund hatte laut RVR Ende 2013 insgesamt 576.000 Einwohner und nach Angaben der Stadt selbst sogar 589.000. Die Prognose sah Dortmund bei nur noch 529.000 Einwohnern. Im Kreis Unna hingegen leben heute sogar rund 45.000 Bürger weniger als vorhergesagt.

Eine Generation ist gerade noch überschaubar

Der Regionalforscher Peter Strohmeier warnt daher: „Wenn Sie Prognosen sehen – glauben Sie sie nicht. Das ist schwarze Kunst.“ Der Blick nach vorne ist eigentlich einer nach hinten. Strohmeier: „Man schaut gern fünf Jahre zurück, sucht sich den Mittelwert und geht davon aus, dass es so weitergeht. Mit den Geburten, mit der Sterblichkeit, mit der Zuwanderung. Es handelt sich um schein-exakte Ergebnisse.“

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In der Prognose aus dem Jahr 2001 spiegeln sich die Erfahrungen aus den 1990-er Jahren. „Damals gab es zunächst intensive Wanderungsbewegungen. Es kamen viele Aussiedler, Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge. Das ging zum Ende der 1990-er Jahre aber zurück, und offenkundig ließen sich die Experten von diesen Eindrücken leiten“, erklärt Andreas Farwick, Geograph an der Ruhr-Uni.

Starke Zuwanderung in die Kernstädte des Ruhrgebietes

Die Prognose von 2001 enthält zwar Hinweise auf die Folgen einer EU-Osterweiterung, konnte aber nicht mit einigen dramatischen Entwicklungen rechnen: die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise mit ihren Konsequenzen für Griechenland und Spanien, der arabische Frühling, die Bürgerkriege in Syrien und Irak – das schlägt auch auf die Bevölkerungsentwicklung im Ruhrgebiet durch. Farwick: „Die Kernstädte des Ruhrgebietes, haben eine sehr starke Zuwanderung. In Dortmund gibt es zum Beispiel eine große Südosteuropa-Community, also ziehen andere Menschen aus Südosteuropa in diese existierende Gemeinschaft nach.“ Ähnliches lässt sich in Duisburg beobachten.

Minus 14 Prozent Einwohner wurdendamals für Essen vorhergesagt. Tatsächlich sind es nicht einmal minus 4 Prozent.

Der Bielefelder Bevölkerungsforscher Jürgen Flöthmann sieht eine natürliche Grenze für Vorhersagen: „Alles, was über 30 Jahre hinausgeht, ist völlig spekulativ. Man überblickt nur eine Generation. Wir wissen nicht, wie viele Kinder unsere Kinder haben werden.“