Essen. In den Städten des Ruhrgebiets leben laut einer Studie bis 2030 deutlich weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter. Auch durch Zuwanderung werde der Bedarf an Beschäftigten nicht gedeckt werden können, warnen die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC und das Hamburger Welt Wirtschafts Institut.

Das Ruhrgebiet wird laut einer Studie bis 2030 erheblich an Beschäftigten verlieren. Den größten Verlust mit fast 17 Prozent der Erwerbstätigen wird Hagen zu verkraften haben. Aber auch Herne muss sich auf ein Minus von 11,5 Prozent einstellen. Allein Dortmund und der Kreis Unna können mit leichten Zuwächsen rechnen.

Der Grund für die dramatischen Einbrüche ist nach Einschätzung der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC und des Hamburgischen Welt Wirtschafts Instituts der demografische Wandel. Während in vielen deutschen Städten die Zahl der erwerbsfähigen Personen im Alter von 15 bis 64 Jahren in den letzten Jahren gestiegen ist, verzeichnet in der Region an Rhein und Ruhr allein Hamm ein leichtes Plus. Den größten Bevölkerungsverlust mit über neun Prozent musste Hagen hinnehmen.

Hochschulabgänger meiden das Revier

Der Schrumpfungsprozess wirkt sich auch auf die Beschäftigung aus. „Das Ruhrgebiet steht im Wettkampf der Regionen. Hochschulabgänger gehen lieber nach Berlin, Hamburg, Stuttgart und in den Neckarraum. Hochqualifizierte sorgen aber für den Wohlstand in einer Region“, sagt Lutz Granderath, PwC-Niederlassungsleiter in Essen. „Wenn die Politik jetzt keine Gegenmaßnahmen ergreift und nur auf Zuwanderung setzt, ist der Schrumpfungsprozess bei der Beschäftigung nicht aufzuhalten“, warnt Granderath.

Der Unternehmensberater appelliert an die Städte, in Zeiten leerer Kassen enger zusammenzuarbeiten, um Spielraum für Investitionen zu bekommen, die die Lebensbedingungen in der Region verbessern. „Die Attraktivität der Städte muss besser werden, um qualifizierte Menschen hier zu halten“, so Granderath. Sonst drohe den hiesigen Unternehmen in absehbarer Zeit ein Fachkräftemangel, der durch zugewanderte Arbeitnehmer nicht ausgeglichen werden könne.

Gründerszene tut sich schwer mit dem Ruhrgebiet

Auch hier hinke das Ruhrgebiet hinterher: Die meisten hochqualifizierten ausländischen Beschäftigten zieht es nach München, Berlin, Frankfurt, Hamburg und Stuttgart. Und – auch darauf weist PwC hin: „Das Ruhrgebiet tut sich schwer mit der Gründerszene.“

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Es gibt aber auch positive Signale : „Das sind erwartbare, herausfordernde Zahlen, die einem allerdings nicht die Haare zu Berge stehen lassen. Die Städte und Kreise müssen allerdings ihre Hausaufgaben machen“, sagt PwC-Mann Granderath. Als gute Beispiele nennt er den Logistikstandort Duisburg mit dem Hafen und vor allem die Stadt Dortmund, die sich zum „Hot Spot der Wirtschaft an Rhein und Ruhr“ entwickelt habe.

Auch andere Regionen werden leiden

Das Ruhrgebiet steht mit seinem Schicksal nicht allein: 80 Prozent der Kreise und kreisfreien Städte Deutschlands wird die Beschäftigung bis 2030 sinken. Die Region an Rhein und Ruhr ist von dem Negativtrend aber besonders betroffen. Das haben Experten der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC und des Hamburgischen Welt Wirtschafts Instituts ausgerechnet.

Strukturwandel bei Vorzeigeunternehmen 

Konnte Essen zuletzt Beschäftigung um 2,7 Prozent aufbauen, droht der Stadt der Konzerne nun ein Verlust von 8,2 Prozent. „Die Vorzeigeunternehmen erleben jetzt ihren Strukturwandel“, sagt PwC-Niederlassungsleiter Lutz Granderath im Hinblick auf die Krisen bei RWE, Karstadt und Hochtief.

Die vergleichsweise schlechte Beschäftigungsprognose für die Region an Rhein und Ruhr erklärt PwC mit dem Branchenmix. Im hier traditionell stark vertretenen produzierenden und verarbeitenden Gewerbe hat es in den letzten Jahren einen erheblichen Arbeitsplatzabbau gegeben, während gleichzeitig die Produktivität stark anstieg. Den größten Beschäftigungsaufbau gab es dagegen bei Finanz-, Versicherungs- und Unternehmensdienstleistern. Granderath rät deshalb: „Politik muss Dienstleistungsunternehmen für die Region gewinnen.“

Mülheim kommt glimpflich davon

Vergleichsweise glimpflich kommen Gelsenkirchen und Mülheim davon. Jürgen Schnitzmeier, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Mülheim & Business, macht dafür den Mix aus starkem Mittelstand und industrieller Grundsubstanz, aber auch den Aufbau der Hochschule Ruhr-West verantwortlich. Zudem schaffe Aldi Süd gerade mehrere Hundert Arbeitsplätze in der Stadt. Schnitzmeier gibt der PwC-Studie Recht: „Wenn man Ressourchen einsetzt, kann man gestalten.“ Das zeige sich besonders in Dortmund, wo „am meisten und mutigsten in den Strukturwandel investiert wurde“.

Dortmund und der Kreis Unna sind die einzigen Gebietskörperschaften, die bis 2030 Beschäftigung aufbauen werden. „Dortmund ist die Hotspot-Region des Ruhrgebiets. Die Stadt profitiert von ihren Hochschulen, dem Technologiezentrum und dem frühen Strukturwandel“, schwärmt Granderath. Der Westfalen-Metropole sei es gelungen, sich weitgehend aus der Abhängigkeit großer Konzerne zu lösen und einen breiten Mittelstand aufzubauen.

Dortmund ist ein "Tausendfüßler"

„Dortmund hat es längst geschafft, zum Tausendfüßler zu werden und nicht mehr nur auf den drei Standbeinen Kohle, Stahl und Bier zu stehen“, sagt Rasmus C. Beck, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Metropoleruhr GmbH (WMR).

Vielversprechende Entwicklungen sieht er auch in anderen Teilen der Region. Nur: „Der demografische Trend spitzt sich zu. Aus eigener Kraft wird das Ruhrgebiet nicht stark wachsen können, wir brauchen arbeitsmarktbedingte Zuwanderung“, so Beck.

Bewerber können sich bald Unternehmen aussuchen

Um den Verlust von Menschen im erwerbsfähigen Alter zu stoppen, müssten Wirtschaft und öffentliche Hände dafür sorgen, dass junge Leute an Rhein und Ruhr „ihre bestmögliche Bildungs- und Arbeitsmarktkarriere gemäß ihren Talenten und Bedürfnissen“ absolvieren können.

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Beck appelliert an die Unternehmen, rechtzeitig Kontakt zu Schülern auch aus bildungsfernen Elternhäusern aufzunehmen. „Da gibt es ein großes Reservoir.“ Der Wirtschaftsförderer rät Firmen aber auch dazu, sich auf den gerade vollziehenden Mentalitätswandel einzustellen: „Bewerber suchen sich zukünftig ihre Unternehmen aus – nicht umgekehrt.“

Die WMR baut gerade gemeinsam mit dem Regionalverband Ruhr das Internetportal „Welcome Ruhr“ auf. Es soll sogenannte Welcome-Guides aus der Wirtschaft vermitteln, die Bewerber aus anderen Regionen oder Ländern an die Hand nehmen, die im Revier einen Job suchen.