Berlin. . Die Bundesregierung sucht das direkte Gespräch mit dem Volk. Es geht darum, was für Bürger “gutes Leben“ ausmacht. Am 13. April startet die Dialogreihe - auch in NRW.
Joachim Gauck hat sie gleich bei Amtsantritt beklagt, die Distanz zur Politik, die Wahlmüdigkeit, den Bedeutungsverlust der Parteien. Das war im März 2012, lange vor Pegida. Der Bundespräsident mahnte, „findet euch nicht ab mit dieser zunehmenden Distanz“. In eine Zeit wachsender Entfremdung fiel schon vor drei Jahren eine Gesprächsreihe von Kanzlerin Angela Merkel: Für einen „Zukunftsdialog“ tourten Christdemokraten durch die Republik, standen Bürgern Rede und Antwort.
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Nun ist die nächste Erdung geplant. Am 13. April geht es los mit über 100 Veranstaltungen zum Thema „Gutes Leben“, einige mit Merkel und ihren Ministern. Das Knurren im Kabinett ist groß, die Auftritte sind einigen lästig. Selbst Schuld. „Gutes Leben“ hatte das Kabinett 2014 auf einer Klausur in Meseberg vereinbart.
Furcht vor den Lobbygruppen
Merkel will wissen, was den Bürgern jenseits des Geldes wichtig ist, was sie unter Lebensqualität verstehen – für sich wie für das Gemeinwesen. Die Auftaktrunde bestreiten Merkel und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD) in Berlin.
Für Wohlstand gibt es Indikatoren: Beschäftigungsquote, Einkommen, Bruttoinlandsprodukt. Lebensqualität sollte darüber hinausgehen: Familie, Gesundheit, Sicherheit, Leben im Alter, Teilhabe, Zusammenhalt, kulturelle Identität. Abseits vom Funktionärsdialog erhofft sich die Kanzlerin Anregungen. Es wird Überraschungen geben. Nicht alles, was die Politik umtreibt, interessiert die Leute. Nicht alles, was Bürger beschäftigt, bewegt die Parteien. Wie nah sind sie am Alltag der Normalos?
Merkel fand viele Verbündete
Die Parteien-Skepsis würde Gabriel eher zugeben als Merkel. Vielleicht ist die CDU-Chefin auch nur weiter als er. Ihre Partei hat viele Debatten schon gar nicht mehr angeführt, sondern bloß beglaubigt, etwa den Atomausstieg und die Aussetzung der Wehrpflicht. Die Richtung gab jedes Mal die Regierung vor.
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Für „Gutes Leben“ fand Merkel Verbündete: Kirchen, Arbeitgeber, Gewerkschaften, Verbände, Stiftungen, Volkshochschulen. Bis zum Spätsommer laden zumeist diese Organisationen ein. Das Kanzleramt bietet ihnen dafür zwei Formate an: „Townhall-Treffen“ in großer Runde und ein „World Café“. Anders gesagt: Frontalunterricht oder Gruppenstunde. Die Regierung stellt einen Moderator sowie Referenten bereit und lässt die Ergebnisse im Herbst wissenschaftlich auswerten.
Die Menschen wollen gehört werden
Es kann schon sein, dass einige Lobbygruppen die Veranstaltungen kapern werden, so wie es die Befürworter von Cannabis beim „Zukunftsdialog“ getan haben. Merkel lässt es darauf ankommen und sagte schon für drei Veranstaltungen zu. Aus Erfahrung weiß sie: Meist begegnen ihr die Menschen mit Respekt. Sie wollen reden, gehört werden, sich mündig fühlen. Natürlich werden sie sich auch fragen, ob es nur bei dem Gefühl bleibt.
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Auch in Italien, Kanada oder in Großbritannien gab es ähnliche Anläufe, die Lebensqualität für die Politik zu vermessen. Letztlich hängt die Glaubwürdigkeit davon ab, ob die Gespräche ergebnisoffen sind – und Folgen haben. Das Ergebnis der Dialogreihe soll zumindest zu einem Regierungsbericht und einem Maßnahmenkatalog führen, der Kabinettsrang haben soll. So haben es Merkels Beraterin Eva Christiansen und ihr Team angelegt.
Der kritische Faktor ist der Zeitpunkt. Erst im ersten Quartal 2016 soll der Maßnahmenkatalog fertig sein, ein Jahr vor der Bundestagswahl. Die Frage ist, ob sich die Große Koalition auf einen Katalog einigen kann, der für beide Partner verbindlich und eine Zukunftsagenda wäre, oder ob die Parteien das streitig machen. Denn: Politische Meinungsbildung ist ihre Kernkompetenz. Bloß, nach ihrer Lebensqualität fragt niemand.