Washington. Kurz nach dem Start der Raumfähre “Cygnus“ schoss ein riesiger Feuerball in den Nachthimmel: Die Trägerrakete war explodiert. Für die Nasa ist der Vorfall ein großer Rückschlag, der unbemannte Frachter einer privaten Firma sollte Lebensmittelnachschub zur Raumstation ISS bringen.
Raumfahrt-Fans aus dem Großraum Washington, denen die Fahrt nach Cape Canaveral zu weit ist, wenn Amerika ins All strebt, sind privilegiert. In drei Stunden ist man aus der Hauptstadt mit dem Auto auf Wallops-Island.
Der Weltraumbahnhof an der Küste Virginias, klein aber fein, bietet den gleichen Kick wie die Mutter aller Startplätze in Florida. Am Dienstagabend schlug das anerkennende Raunen der Zuschauer, wenn sich eine Träger-Rakete mit ohrenbetäubendem Lärm und riesigem Feuerschweif gen Himmel bewegt, jedoch spätestens um 18.22 Uhr in Ach-du-liebe-Güte-Entsetzen um.
Schaden: 250 Millionen Dollar
20 Sekunden nach dem Start explodierte die Antares-Rakete des kommerziellen Weltraum-Spediteurs „Orbital Science Corporation“. Und mit ihr die Raumkapsel „Cygnus“ (lateinisch: Schwan), die rund 2300 Kilogramm Fracht, darunter Nahrung, zur Internationalen Raumstation ISS bringen sollte. Menschen kamen bei dem nach vorläufigen Schätzungen auf mindestens 250 Millionen Dollar taxierten Unglück, das fast live im Fernsehen zu sehen war, nach Angaben der Polizei nicht zu Schaden.
Rakete explodiert bei Start zur ISS
Dafür aber der Ruf der US-Weltraumbehörde Nasa, die seit Beendigung ihres Shuttle-Programms auf die Transport-Kapazitäten privater Anbieter wie Orbital oder SpaceX angewiesen ist, um ISS-Mitglieder wie den noch bis zum 10. November an Bord befindlichen Deutschen Alexander Gerst an ihrem Arbeitsplatz in 400 Kilometer Höhe mit Technik und Material versorgen zu können.
Russland bietet demonstrativ Hilfe an
Bereits wenige Stunden nach dem Unglück, das in den sozialen Netzwerken Tausende Kommentare hervorrief, wurde die politische Dimension des Zwischenfalls sichtbar. Raumfahrt-Erzkonkurrent Russland brachte in Baikonur nicht nur einen eigenen Versorgungstransporter Richtung ISS sicher in den Himmel und bot den USA aufreizend demonstrativ Hilfe an.
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Raumfahrt-Kenner in Moskau spekulierten darüber hinaus öffentlich, dass technische Umbauten am ursprünglich russischen Triebwerk der Unglücksrakete von Orbital der Grund für die Explosion gewesen sein könnten. „Es ist viel zu früh, um genau zu wissen, was passiert ist“, konterte prompt Frank Culbertson, einst Nasa-Astronaut, jetzt Vize-Präsident der in Dulles/Virginia beheimateten Firma Orbital, die für ein Honorar von rund zwei Milliarden Dollar im Auftrag der Nasa insgesamt acht Flüge zur ISS erledigen soll.
Eine Cygnus-Kapsel kann rund zwei Tonnen Nutzlast befördern. Einmal am Ziel angedockt, wird entladen. Danach wird der Container mit dem Müll der Station vollgestopft, koppelt ab und verglüht beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Im Gegensatz zu den „Dragon“-Kapseln von SpaceX können Cygnus-Transporter keine Proben oder Experimente von der ISS zurück zur Erde transportieren. Zwei dieser Missionen waren bisher laut Nasa erfolgreich.
Anwohner sollen gefährliche Trümmer nicht einsammeln
Wann es nach dem Unglück von Wallops-Island eine Fortsetzung gibt, steht zurzeit in den Sternen. „Der geplante Routine-Betrieb mit Cygnus kommt gewiss auf den Prüfstand“, sagte ein Raumfahrt-Fachmann dem Fernsehsender ABC. Die Aktie von Orbital fiel zeitweise um 15 Prozent.
Der Direktor des Weltraumbahnhofs Wallops-Island, Bill Wrobel, rief unterdessen Anwohner auf, weit verstreite Trümmerteile der Rakete nicht einzusammeln, da es „gefährliche Materialien“ an Bord gegeben habe. Weil die Verschlüsselungstechnologie der „Antares“-Rakete als geheim gilt, wurde die Absturzstelle weiträumig abgesperrt. Augenzeugen waren auch gestern noch erschüttert. Michelle Murphy, Restaurant-Besitzerin des "Garden Sea and Inn" in New Church: „Es war fürchterlich. Es gab zwei Explosionen. Auf die erste beim Start waren wir vorbereitet. Auf die zweite nicht. Es hat meine Bar durchgeschüttelt wie bei einem Erdbeben.“
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Zweifel, ob Privat-Anbieter sicher genug sind
Für die Nasa ist der erste Crash eines kommerziellen Raumfahrt-Anbieters ein herber Rückschlag. Nachdem sich die US-Weltraumbehörde vor allem aus finanziellen Gründen (Washington hatte enorme Budget-Kürzungen verhängt) aus dem Raumfährenprogramm zurückgezogen hatte, ruhten alle Hoffnungen auf privaten Anbietern. Um sich von den Russen unabhängig zu machen, deren Sojus-Kapseln derzeit die einzige Möglichkeit darstellen, um Astronauten ins All zu bringen, sollten Firmen wie SpaceX und Boeing ab 2017 auch bemannte Transportflüge durchführen.
Das schnelle Ende der Cygnus, schreiben US-Kommentatoren, weckt Zweifel, ob private Anbieter den hohen Sicherheitsanforderungen gerecht werden. Man erinnert sich noch zu lebhaft an Nasa-eigene Katastrophen: 1986 starben sieben Menschen an Bord der „Challenger“, die 73 Sekunden nach dem Start explodiert. 2003 verloren sieben Astronauten ihr Leben, als die „Columbia“ beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre zerbarst.