Washington. Modesünde mit Folgen: Nach einem Auftritt von US-Präsident Barack Obama wird mehr über seinen altbackenen Anzug geredet als über das, was er inhaltlich zu sagen hatte. Sein Anzug bekam sogar einen neuen Twitter-Account. Deutlich wird: Auf die Kleidung kommt es eben auch in der Politik an.
Der Anzug geht nicht, keine Frage. Zu groß, zu breit die Schultern und vor allem: die Farbe! Ein Beige-Ton, wie man ihn in Deutschland aus den Zeiten von Erich Honecker in Erinnerung hat. Nur, dass wir uns nicht mehr in den letzten Tagen der DDR befinden, sondern im Sommer 2014 im Weißen Haus. Und der Mann im beigefarbenen Anzug Barack Obama heißt.
Beim ersten wichtigen Termin nach der Rückkehr aus dem Urlaub lösten Jacke und Hose des US-Präsidenten bei vielen mehr Interesse aus als all das, was Obama zu den aktuellen Weltkrisen zu sagen hatte. Die sozialen Netzwerke waren sofort voll des Spottes. Noch während der Pressekonferenz gab es mehr als 4000 Nachrichten dazu. Auf Twitter bekam der "Tan Suit" ("Beiger Anzug") einen eigenen Account.
"Obama ist angezogen wie mein Großvater an einem Sonntag im August", seufzte eine Reporterin des US-Magazins "Time". Ein Kollege von der "Washington Post" lästerte: "Wer hat Obama den alten Anzug gegeben, den mein Vater immer zur Kirche trug?" Zugleich begann der Wettbewerb ums beste Wortspiel. Besonders beliebt: die Abwandlung von Obama-Slogans wie "Yes we tan".
Kaum jemand stand Obama zur Seite
Mit Ausnahme der Modekolumnistin Robin Givhan ("Das ist ein Zweireiher in einer Farbe, die Jahreszeit und Gelegenheit perfekt angemessen ist") stand dem Präsidenten kaum jemand zur Seite. Auch sie meckerte allerdings, dass Obama der Anzug "wie immer" ein wenig zu groß" geraten sei. Er selbst verkniff es sich, in die Debatte einzusteigen.
Im Standard-Look unterscheidet sich der amerikanische Präsident nicht von anderen westlichen Politikern: grauer oder blauer Anzug, weißes Hemd, Krawatte. Auf Mode legt er angeblich keinen großen Wert. Besser so, wenn ein Politiker nicht als abgehoben oder eitel gelten will. In einem "Vanity Fair"-Interview begründete er das vor zwei Jahren so: "Ich will keine Entscheidungen darüber treffen müssen, was ich esse oder anziehe. Ich habe auch so genug zu entscheiden."
Obama kauft ein Sandwich
Dabei ist sich Obama durchaus im Klaren darüber, wie man mit Kleidung Akzente setzen kann. Auf so martialische Auftritte wie sein Vorgänger George W. Bush in Kampf-Uniform hat er bislang verzichtet. Er gibt sich lieber locker - wie im vergangenen Sommer bei seiner Rede am Brandenburger Tor, wo er sich der Hitze wegen der Jacke entledigte. Unter guten Freunden, so sagte er damals, sei das ja wohl erlaubt.
Turnschuh-Minister Joschka Fischer
Grundsätzlich, so hat es die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in einer feinen Studie vor einer Weile analysiert, sei der Business-Anzug "Standard für all diejenigen, die in der westlich-kapitalistischen Welt in Wirtschaft und Politik mitspielen wollen". Immer noch gutes Beispiel: der ehemalige Turnschuh-Minister Joschka Fischer, der, nachdem er im Auswärtigen Amt angekommen war, besonders gerne Dreiteiler und Krawatte trug.
Frauen haben es da schwerer: Bei Angela Merkel dauerte es eine Weile, bis sie zu ihrem heutigen Look gefunden hatte: Hose plus Blazer. Allenfalls auf die Farben muss sie jetzt noch achten - und darauf, dass der Blazer nicht zu oft hintereinander derselbe ist. Der Merkel-Stil ist inzwischen international: Bekannt ist ein Foto, das Kanzlerin und die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton nebeneinander im Einheits-Look zeigt.
Jüngere Politiker in Berlin achten aufs Outfit
In ihrem Bemühen um Seriosität leisten sich deutsche Politiker allenfalls kleine modische Extravaganzen: der Langzeit-Außenminister Hans-Dietrich Genscher machte seinen gelben Pullunder zur Marke. "Wer in Sachen Kleidung aus dem Rahmen fällt, zahlt mitunter einen hohen Preis", warnt die DGAP in ihrer Analyse. Beispiel: Gerhard Schröder mit seinen teuren Brioni-Anzügen. Die jüngere Polit-Generation in Berlin legt aber schon Wert aufs Outfit. Inzwischen kann man bei Ministern sogar bunte Socken unterm Hosenbein entdecken.
Präsident Obama in Berlin
Bleibt die Frage, ob man im beigen Anzug auch über ernste Dinge reden darf. Das US-Magazin "Business Insider" ätzte nach Obamas Auftritt: "Gute PR-Taktik - einen hässlichen Anzug tragen, um von der Tatsache abzulenken, dass wir vielleicht in den Krieg ziehen." Mit gedeckten Farben sind Politiker bei solchen Gelegenheiten auf der sicheren Seite. Ein früherer Außenminister hatte stets eine schwarze Krawatte im Gepäck, um auch bei Todesfällen vor die Kameras zu können.
Und grundsätzlich gilt natürlich weiterhin, was der amerikanische Schriftsteller Mark Twain (1835-1910) schon vor mehr als hundert Jahren zu dem Thema zu sagen hatte: "Kleider machen Leute. Nackte Menschen haben nur sehr wenig Einfluss in der Gesellschaft." (dpa)