Neuenburg/Freiburg. Seine Wut muss riesig gewesen sein: Mit mehr als 20 Messerstichen soll ein 17-Jähriger den mutmaßlichen Vergewaltiger seiner Schwester umgebracht haben. Auch sein Vater und zwei Freunde sollen an dem gewalttätigen Rache-Akt beteiligt gewesen sein.
Wie ein Rasender soll ein 17-Jähriger auf den mutmaßlichen Vergewaltiger seiner Schwester eingestochen haben. Die Gerichtsmedizin zählt 23 Einstiche, einige davon in lebenswichtigen Organen. Die Hilfskräfte, die am Mittwochabend zu einem Pendlerparkplatz ins südbadische Neuenburg an der französischen Grenze gerufen werden, können den 27 Jahre alten Mann nicht mehr retten.
Der 17-Jährige wird noch am Abend gefasst. Sein 21 Jahre alter Komplize ist "total erschüttert von dieser Tat" und vertraut sich seinen Eltern an, berichtet Kriminaloberrat Michael Granzow am Freitag in Freiburg. Wenig später holen die Beamten den Sohn ab, fassen auch den 17-jährigen Hauptverdächtigen und dessen 48 Jahre alten Vater, der ebenfalls am Tatort war. Das Trio sitzt nun wegen des Verdachts auf gemeinschaftlichen Mord in Untersuchungshaft. Ein weiterer Mann, der wenige Stunden später aufgegriffen wird, ist inzwischen wieder auf freiem Fuß.
Staatsanwaltschaft schließt Ehrenmord aus
Der Leitende Oberstaatsanwalt Dieter Inhofer sieht keine Anzeichen dafür, dass es sich um eine Art Ehrenmord handeln könnte. "Das einzige, was wir zum Motiv haben, ist die Aussage des 17-Jährigen, dass er die Vergewaltigung seiner Schwester nicht akzeptieren konnte, dass er eine sehr große Wut verspürt hat." Die Familie habe zudem ausgesagt, dass sie den jungen Mann von seinen Rachegedanken abbringen wollte. "Nach ihren Angaben haben sie versucht, auf den Jungen beschwichtigend einzuwirken und erklärt, dass sich die Polizei um die Sache kümmern muss."
Wie dies zu der Tatsache passt, dass der Vater am Tatort war, muss die Polizei noch klären - so wie etliche weitere Widersprüche in den umfangreichen Geständnissen. Bislang geht die Polizei davon aus, dass es nur eine Tatwaffe gibt und wohl nur der 17-Jährige zugestochen hat.
Mordopfer fragte Mörder über WhatsApp nach Hasch
Fest steht, dass sich die jüngeren Tatbeteiligten kannten. Sie sind alle in Südbaden aufgewachsen, haben deutsche Pässe. Die 26 Jahre alte Schwester und der mutmaßliche Vergewaltiger kannten sich aus der Schule. Zudem sind die jungen Erwachsenen über soziale Netzwerke verbandelt. Über diesen Weg kommt auch der Kontakt des 17-Jährigen zu seinem späteren Opfer zustande. Als der mutmaßliche Vergewaltiger über WhatsApp nach etwas Hasch fragt, nutzt das der 17-Jährige, um seinen Plan umzusetzen. Der Treffpunkt für den Deal wird zur Todesfalle.
Der 27-Jährige war der Polizei mehrfach wegen Diebstählen aufgefallen und war auch vorbestraft. Sexualdelikte wurden ihm bislang nicht zur Last gelegt. Ob er die Frau vergewaltigt hat, wird nicht mehr verhandelt werden. "Aber es gab einen hinreichenden Tatverdacht", stellt der Staatsanwalt klar.
Kritik an den Ermittlungsmethoden der Polizei
Wie nach jeder Lynchjustiz wird am Rande auch die Arbeit der Polizei infrage gestellt. War sie im Vergewaltigungsfall zu lax? Hätte sie nach dem Haftbefehl öffentlich nach dem Täter fahnden sollen? Michael Granzow verteidigt die verdeckten Ermittlungen. "Wir wollten das Opfer schützen." Außerdem hatte der Verdächtige keinen festen Wohnsitz. "Bei einem öffentlichen Fahndungsaufruf hätte er schnell untertauchen können."
Für die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) liegt das Problem tiefer. "In dem Maß, in dem der Staat sich aus der öffentlichen Daseinsfürsorge zurückzieht, schwindet das Vertrauen und wächst die Bereitschaft, Dinge selbst in die Hand zu nehmen", warnt der Bundesvorsitzende Rainer Wendt am Freitag. Der Staat müsse alles daran setzen, sein Gewaltmonopol in den Händen zu behalten. (dpa)