Hannover. Eine Vergewaltigung anzuzeigen, kostet viele Frauen ohnehin schon viel Überwindung. Eine neue Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen könnte ihnen die Entscheidung jetzt noch schwerer machen. Sie zeigt, dass die Aussichten auf eine Verurteilung stark gesunken sind.
Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung in einem Vergewaltigungsprozess ist in Deutschland laut einer Studie stark gesunken. Vor 20 Jahren hätten 21,6 Prozent der Frauen, die eine Anzeige erstattet hatten, die Verurteilung des Täters erlebt - 2012 seien es nur noch 8,4 Prozent gewesen, sagte Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen. Die Arbeitsüberlastung bei Polizei und Staatsanwaltschaft seien ein Grund.
In der am Donnerstag präsentierten Studie zeigten sich beim Vergleich der Bundesländer unterschiedliche Tendenzen. Die Erfolgschancen der Frauen unterscheiden sich demnach von einem Bundesland zum anderen um das Sechsfache. "Gleiches gilt im Hinblick auf das Risiko der betroffenen Frauen, in ihrem sozialen Umfeld aufgrund einer gescheiterten Anzeige als Verliererin oder gar als Lügnerin dazustehen", heißt es in einer Erklärung des Instituts. "Für einen Rechtsstaat sind diese Befunde problematisch." Angaben zu den einzelnen Bundesländern machte Pfeiffer jedoch nicht, da sonst die Anzeigebereitschaft betroffener Frauen in Bundesländern mit geringer Erfolgsquote weiter sinken könne.
Auf die erste Aussage kommt es an
Entscheidend für den Erfolg vor Gericht sei eine gute Dokumentation der Erstaussage - am besten per Video oder Tonband. "Selbst die zehn Prozent, die sowas aus welchen Gründen auch immer erfinden, kann man dadurch besser herausfinden", sagte Pfeiffer.
Laut Studie nahm der Anteil der Tatverdächtigen aus dem familiären Umfeld zu. Als ein Grund gilt der 1998 neu ins Gesetzbuch aufgenommene Straftatbestand der ehelichen Vergewaltigung. "Frauen sind heute viel selbstbewusster als früher und lassen sich nichts mehr gefallen - der große Wandel ist die gesteigerte Anzeigebereitschaft", sagte Pfeiffer. Schwierig sei in solchen Fällen allerdings die Beweislage, wenn Aussage gegen Aussage stehe. "Die beschuldigten Männer geben heute meist den Geschlechtsverkehr zu und berufen sich darauf, er sei einvernehmlich erfolgt", schreibt das Institut aus Hannover.
In der Europäischen Union hat jede dritte Frau nach Erkenntnissen der EU-Grundrechte-Agentur seit ihrer Jugend schon körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt. Das sind etwa 62 Millionen. (dpa)