Neu Delhi. . Indische Frauen verlangen Latrinen im Eiltempo – nicht wegen der Hygiene, sondern um die sexuelle Gewalt zu mindern. „Im vergangenen Jahr wären hier im Bundesstaat Bihar 400 Frauen nicht vergewaltigt worden, wenn sie eine Toilette im Haus gehabt hätten“, so die Polizei.
Die frühmorgendliche Zug-Ankunft aus der nordindischen Stadt Bikaner in Delhi ist Folter für die Nase. Rund eineinhalb Stunden rollt die Bahn im Schneckentempo durch ausgedehnte Elendsviertel. Die Bewohner hocken mangels Toiletten mit nacktem Hinterteil entlang des Bahngleises und verrichten ihre Notdurft. Was Reisende quält, ist nach Einbruch der Dunkelheit für Frauen der Slums lebensgefährlich.
„Nachts leben wir beständig in Furcht“, erklärte eine Frau im Elendsviertel Sunder Nagri laut einer Studie der Organisation Share über sexuelle Gewalt in der indischen Hauptstadt, „nachts hängen Jugendliche auf den Gemeinschaftstoiletten herum und greifen uns an. Oft überfallen uns Drogenabhängige.“
Polizisten vergewaltigten Mädchen
500 000 Millionen Inder, so Schätzungen, besitzen keinen Zugang zu sanitären Anlagen, 300 000 von ihnen sollen Frauen jeden Alters sein. Für zwei blutjunge Mädchen im Bundesstaat Uttar Pradesh endete der abendliche Toilettengang in der vergangenen Woche mit einer Schlinge um den Hals unter einem Mangobaum. Polizisten aus einer höheren Kaste hatten den 14 und 15 jährigen Mädchen gemeinsam mit lokalen Politikern aufgelauert, sie vergewaltigt und anschließend erhängt.
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„Im vergangenen Jahr wären hier im Bundesstaat Bihar 400 Frauen nicht vergewaltigt worden, wenn sie eine Toilette im Haus gehabt hätten“, sagt Arvind Pandey von der Polizei der Nachbarregion zu Uttar Pradesh. 85 Prozent der ländlichen Haushalte in Bihar, einem der ärmsten Bundesstaaten Indiens, besitzen keine Toiletten und müssen sich täglich eine Ecke auf einem Feld suchen.
Aber nur ein Prozent von ihnen wollte laut einer Befragung aus gesundheitlichen Gründen Sanitäranlagen. 49 Prozent verlangten aus Sicherheitsgründen nach eigenen Toiletten. Bihars Bundesstaatsregierung versprach, bis zum Jahr 2022 zehn Millionen Toiletten in Haushalten zu bauen. Doch für die mehr als 800 Frauen, die in der Region nahe der Grenze zu Nepal jährlich Opfer von Vergewaltigungen werden, stellt das kaum Trost dar.
Altertümliches Frauenbild
Der Mitte Mai zum indischen Premierminister gewählte Hindunationalist Narendra Modi, dessen Partei „Bharatiya Janata Party“ (BJP) ein traditionell und altertümlich geprägtes Frauenbild propagiert, zeigte im Wahlkampf Verständnis für die lebensgefährliche, tägliche Notdurft vieler Frauen. „Erst Toiletten, dann Tempel“ predigte er bei seinen Reden.
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Der doppelte Sexualmord der vergangenen Woche in Uttar Pradesh erhielt denn auch schnell einen politischen Unterton. Denn die Täter stammen aus er der gleichen Yadav-Kaste, aus der auch der aktuelle Ministerpräsident des Bundesstaats – ein Gegner Modis – kommt. Die beteiligten Polizisten hatten den Vater der Mädchen sogar geohrfeigt, als er das Verschwinden der Opfer melden wollte. Jetzt ruft die BJP nach Recht und Ordnung.
Aber viele indischen Experten und zahlreiche Frauen verlangen Latrinen im Eiltempo, um die sexuelle Gewalt zu mindern. Schließlich können in der Hauptstadt Delhi 83 Prozent der staatlich anerkannten Slums Toiletten aufweisen. Aber viele Frauen wagen in der Dunkelheit nicht den riskanten langen Weg.
Wie berechtigt ihre Frucht ist, zeigt eine UN-Umfrage aus dem Jahr 2010. Danach gaben nur zehn Prozent aller Frauen im Nordosten der Hauptstadt an, keine täglichen Belästigungen zu erleben. „Manchmal müssen wir sogar kämpfen, um unsere Töchter zu schützen“, erzählte eine Frau.