Berlin. Immer mehr Menschen in Deutschland treibt die Sorge um, im Alter ein Pflegefall zu werden, die anfallenden Kosten später aber nicht bestreiten zu können. Darauf deutet jedenfalls der Boom beim sogenannten “Pflege-Bahr“ hin. Von der staatlich geförderten Vorsorge raten Verbraucherschützer indes ab.

Mehr als 400 000 Abschlüsse hatte der Verband der Privaten Krankenversicherungen (PKV) Mitte März beim „Pflege-Bahr“ gezählt, wobei die Dynamik jüngst erheblich zugenommen hat. Rund 1600 Verträge werden nach letzter Zählung aktuell jeden Tag verkauft. Anfang 2013, als die „staatlich geförderte, ergänzende Pflegeversicherung“, wie die vom früheren FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr initiierte Pflegezusatzversicherung offiziell heißt, waren es kaum mehr als 200.

Eine zusätzliche Pflegevorsorge ist für Verbraucher an sich eine gute Idee. Die gesetzliche Pflegeversicherung ist schließlich nur eine Art „Teilkasko“, die Gesellschaft wird älter, die Pflegekosten steigen – ohne Unterkunft und Verpflegung liegen sie nach Berechnungen der Stiftung Warentest schon heute in „Pflegestufe II“ bei rund 2300 Euro im Monat. Etwas Vorsorge kann also nicht schaden. Verbraucherschützer jedoch bleiben mit Blick auf den Pflege-Bahr extrem skeptisch. „Wir können den Pflege-Bahr nicht empfehlen“, sagt Martin Oetzmann vom Bund der Versicherten (BdV). Der wichtigste Einwand bezieht sich auf den sogenannten Kontrahierungszwang. Danach dürfen Versicherungen keinen Antragsteller wegen einer Vorerkrankung ablehnen. Nur wer schon pflegebedürftig ist, bekommt keinen Vertrag.

Die Versicherer dürfen keine Risikozuschläge verlangen

Aber selbst wenn bereits ein Antrag auf Pflegebedürftigkeit gestellt wurde, kann noch ein Pflege-Bahr unterschrieben werden. Die Versicherer dürfen auch keine Risikozuschläge verlangen oder Leistungsausschlüsse vereinbaren. Der Beitrag für die Versicherten bemisst sich allein nach Alter und Leistungen. Die charmante soziale Idee der Gleichbehandlung macht den Pflege-Bahr aber sehr teuer, weil er „hauptsächlich Kranke und Menschen mit hohem Pflegerisiko“ anzieht, erläutert der BdV. Und die Assekuranzen sämtliche Risiken mit höheren Beiträgen für alle Versicherten abfangen müssen. Die Beiträge könnten deshalb in Zukunft stark steigen. „Die staatliche Förderung wird so aufgefressen“, warnt Oetzmann. Für junge und gesunde Versicherte sei der Pflege-Bahr trotz fünf Euro staatlicher Förderung im Monat deshalb uninteressant.

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Ähnlich sieht das Stiftung Warentest. „Wir halten den Pflege-Bahr für wenig empfehlenswert“, sagt Stiftungs-Expertin Aline Klett. „Für die meisten Menschen unter 40 ist der Pflege-Bahr nichts.“ Denn in jungen Jahren sei kaum vorherzusehen, wie sich Gesundheit, Beiträge, Leistungen oder auch die politische Situation bei der Pflege über die Jahrzehnte entwickeln werden. Ausnahme: Menschen mit einer Behinderung oder einer Vorerkrankung, mit einem hohen Pflegerisiko, die keine private Zusatzversicherung bekommen oder hohe Risikozuschläge zahlen müssten – für sie könnte eine geförderte Bahr-Police interessant sein. Denn die Anbieter verzichten auf eine Gesundheitsprüfung. Beachten müsse man jedoch eine Wartezeit von fünf Jahren, bevor Leistungen flössen, warnt Klett.

Die Bahr-Policen haben aus Sicht der Verbraucherschützer noch mehr gravierende Nachteile. Die meisten Anbieter verzichten auf eine „Dynamik“, also auf einen Anstieg der Leistungen (und Beiträge) mit der Zeit, um so steigende Kosten im Pflegesektor zu berücksichtigen. Und selbst jene wenigen Assekuranzen, die eine Dynamisierung bei Bahr-Verträgen anböten, sprängen zu kurz, kritisiert Aline Klett. „Mit einem Pflege-Bahr können sie die steigenden Kosten in keinem Fall auffangen“, so die Expertin der Stiftung Warentest. Besonders die Vertragsbedingungen für Demenzkranke seien bei den Bahr-Policen oft schlechter als bei nicht geförderten Produkten. Klett weist außerdem auf das finanzielle Risiko bereits während der Ansparphase hin: Verbraucher, die einen Pflege-Bahr vorzeitig kündigen, verlieren neben dem Schutz auch ihre eingezahlten Beiträge. Besonders kritisch kann es für Langzeitarbeitslose werden: Hartz-IV-Bezieher dürfen einen Vertrag maximal drei Jahre lang beitragsfrei stellen. Was viele nicht wissen, bei der Kalkulation aber unbedingt berücksichtigt werden muss: Während der Pflegezeit im Alter müssen weiter Beiträge gezahlt werden – das zehrt einen Teil der gezahlten Leistungen sofort wieder auf.

Angebote für die Vorsorge

BdV und Stiftung Warentest empfehlen gesunden und jüngeren Verbrauchern deshalb unisono, sich lieber nach einer nicht geförderten privaten Pflegezusatzversicherung umzusehen, sofern sie eine solche wünschen. Ein gutes Einstiegsalter liege zwischen Mitte 40 und Ende 50. Die Stiftung empfiehlt beispielsweise Angebote der HanseMerkur und der Deutschen Familienversicherung („Finanztest“ 5/2013, www.test.de). Martin Oetzmann vom BdV rät, sich auch über andere Sparformen Gedanken zu machen, um Geld für eine mögliche Pflegebedürftigkeit auf die hohe Kante zu legen. Es muss ja nicht immer eine Versicherung sein.