Washington/Cactus Flat. . Cactus Flat, US-Staat South Dakota: Von hier aus drohte der Sowjetunion atomare Gefahr durch Langstrecken-Raketen des Typs Minuteman. Was erst jetzt bekannt wurde: Schlafende Soldaten und Schlamperei waren verbreitet bei der Bewachung der tödlichen Waffen.
Wer die peniblen Eingangskontrollen von Rangerin Carla Seybold am Bunker Delta 01 überstanden hat und mit dem kameraüberwachten Aufzug zehn Meter in die stickige Tiefe gefahren ist, kann das Gemälde nicht übersehen. „Wir liefern weltweit in 30 Minuten oder weniger“. So haben es Elite-Soldaten vor vielen Jahren in bunten Farben an die dicke, acht Tonnen schwere Stahltüre gepinselt. Dahinter liegt das einzige öffentlich begehbare Relikt des Kalten Krieges, hier in der menschenleeren Prärie bei Cactus Flat, US-Staat South Dakota: der Kontrollraum für den Abschuss einer in unterirdischen Silos versteckten Minuteman II.
Binnen einer halben Stunde hätten die mit atomaren Gefechtsköpfen bestückten Interkontinental-Raketen, die ein Vielfaches der Zerstörungskraft der Bombe von Hiroshima trugen, ihre Ziele in der damaligen Sowjetunion erreicht. Seit US-Präsident George Bush und der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow 1991 die Abrüstung bei strategischen Waffensystemen eingeläutet haben, ist aus dem unterirdischen Befehlsstand ein „Nationales Historisches Denkmal“ geworden.
Vor allem das massive Bunker-Tor, das feindliche Eindringlinge davon abhalten sollte, sich der Codes zu bemächtigen, die den Abschuss einer todbringenden Rakete eingeläutet hätten, gilt wegen seiner kecken Drohung als bevorzugtes Foto-Motiv von Touristen. Die „Tür zur Hölle“ sorgte jetzt im realen Geschäft der nuklearen Abschreckung für Negativ-Schlagzeilen, die das Verteidigungsministerium in Washington alarmieren.
Soldaten schliefe währende der Wache - Tür zu Atomraketen stand offen
Auf den Luftwaffen-Stützpunkten in Minot, North Dakota, und Malmstrom, Montana, sind Offiziere in den echten Schaltzentralen für Dutzende der noch insgesamt 450 scharfen Minuteman III-Atomraketen eingeschlafen – und haben die Tür aufstehen lassen. Für den Chef des Strategischen Kommandos, General Robert Kehler, ist der mit hohen Geldstrafen und karrierestoppenden Rügen belegte Verstoß gegen das akribische Sicherheitsregime an den Abschuss-Basen ein weiterer Schlag ins Gesicht. „Unsere Verlässlichkeit steht auf dem Prüfstand.“
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Erst erwischte es den stellvertretenden Kommandeur des Strategischen Kommandos. Vizeadmiral Tim Giardina hatte sich in einem Spielcasino in Iowa die Zeit vertrieben. Mit gefälschten Jetons. Konsequenz: Kommando futsch, Schulterklappen abgerissen. Wenige Tage später schlug die Disziplinarkeule eine Etage drüber zu. Generalmajor Michael Carey, Befehlshaber der 20th Air Force in Wyoming, die für sämtliche 450 Interkontinentalraketen verantwortlich zeichnet, wurde nach 35 Jahren tadelloser Karriere zwangsversetzt. Offizielle Erklärung: persönliches Fehlverhalten. Inoffiziell: Alkohol.
Damit nicht genug. Bereits im Frühjahr hielt eine Sicherheitsprüfung bei den ICBMs, wie die Raketen im Militär-Jargon genannt werden, nicht den Kriterien stand. Wenig später wurden auf der Raketen-Basis Minot 19 Offiziere wegen Untauglichkeit vorübergehend ausgemustert und später an gleicher Stelle ein Ausbilder gefeuert. Im Pentagon wird die Frage immer lauter gestellt: Ist auf die Sicherheit bei den Atomwaffen-Aufpassern noch Verlass?
Tödliche Langeweile in Abwesenheit des Feindes
In Cactus Flat kann der Besucher mit etwas Glück ehemalige Bedienstete von Stützpunkt Delta-1 befragen. Was die Männer erzählen, die zu Hochzeiten des Kalten Krieges über 1000 Minuteman-Raketen befehligten, lässt die möglichen Ursachen für die schleichend nachlassende Disziplin an den heutigen Raketen-Basen erahnen. „24 Stunden Langeweile. Die ganze Schicht über. Hier geschah nichts. Gar nichts.“ Die stupide, eintönige Tätigkeit vergrößere das Risiko der Schlamperei, zumal „der Russe“ den „Krieg der Systeme ja ohnehin verloren hat“. Eine Erklärung, die an der Militärspitze naturgemäß nicht akzeptiert wird. Für die Betreuung der Atomwaffen gelten „höchste Standards der Perfektion“, zitieren US-Medien General James Kowalski. Darum das harte Durchgreifen. Auch wenn nur eine Sicherheitstür offen gestanden hat.
Bruce Blair, in den 70ern selbst Raketen-Offizier in South Dakota und heute ein entschiedener Gegner der atomaren Abschreckungsstrategie, findet die Bestrafungen angemessen. „In diesem Job sind hundert Prozent Aufmerksamkeit rund um die Uhr Pflicht. Selbst kleinste Fehltritte können in einer weltweiten Katastrophe enden.“