Washington. Nationalparks, Museen, sogar die Freiheitsstatue sind geschlossen. Die Blockade radikaler Republikaner soll den Präsidenten Barack Obama und seine Gesundheitsreform treffen. 800.000 Staatsbedienstete wurden bis auf Weiteres in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt.

Die Wanderpfade im Shenandoah National Park, zwei Autostunden von Washington entfernt, sind im Herbst besonders begehrt. Tausende Naturfreunde strömen regelmäßig in die Wälder des Mittelgebirges, wo der „Indian Summer“ ein farbenfrohes Schauspiel aufführt.

Jeff Hinkley hatte für sich und seine Liebste bereits vor Monaten eine kleine Kabine gebucht; ein Geschenk zum 33. Geburtstag. Dienstagmittag sagte der Programmierer aus dem Washingtoner Vorort Bethesda entnervt ab: „Ich fühle mich wie eine Geisel unserer Politiker“, sagt Hinkley.

800.000 Staatsbedienstete im unbezahlten Zwangsurlaub

Im Zuge des ersten Haushaltsnotstandes in den USA seit 18 Jahren, der um Mitternacht nach einer beispiellosen Blockade im Kongress begann, werden 800.000 Staatsbedienstete bis auf weiteres in unbezahlten Zwangsurlaub geschickt. Darunter auch die Ranger der 350 Nationalparks von Yellowstone bis Yosemite.

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Von Dirk Hautkapp

Damit nicht genug. Dutzende Ministerien und Bundesbehörden stellen weitgehend die Arbeit ein. Anträge für Bauvorhaben bleiben unerledigt, ebenso Passangelegenheiten. Die Nasa darf nur noch die Raumstation ISS am Leben halten. Lediglich strategisch wichtige Einrichtungen – Militär, Grenzkontrollen, Polizei, Botschaften, Flugverkehrskontrolle – funktionieren wie immer. Auch Post und Schulen haben weiter geöffnet. Die Sozialsysteme bleiben flüssig. Vorerst.

Obama lässt sich nicht erpressen

Vorausgegangen war dem „Government Shutdown“ (Regierungs-Schließung) ein erbitterter Kampf im US-Parlament. Dort hatten die Republikaner, angeführt von ihrem radikalen Flügel der Tea Party, die Zustimmung zum neuen Staatshaushalt mit der Abschaffung beziehungsweise Verzögerung der jetzt offiziell in Kraft getretenen Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama verknüpft.

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Das Herzstück – 40 Millionen Amerikanern wird zum ersten Mal der Zugang zu einer bezahlbaren Krankenversicherung geebnet – gilt den Extremisten in der republikanischen Partei als staatssozialistische Intervention. Obwohl die Reform bereits vor vier Jahren begonnen wurde, die Zustimmung beider Kammern des Parlaments und den Segen des Obersten Gerichtshofes hat, lassen Tea-Party-Idole wie der texanische Senator Ted Cruz nicht locker: Sie wollen „Obamacare“ zu Fall bringen. Und damit den Namensgeber, den US-Präsidenten.

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Das Weiße Haus hatte bis zuletzt erklärt, sich diesem „Erpressungsversuch“ auf keinen Fall zu beugen. Weil sich Demokraten und Republikaner im Senat und im Repräsentantenhaus bei ihren Scharmützeln seit Wochen neutralisieren und keinen Kompromiss finden, trat in der Nacht zum Dienstag ein weitreichender Ausgabenstopp in Kraft. Ohne gültigen Haushalt kein lebendiger Staat.

Am empflindlichsten trifft es Washington

Am empfindlichsten trifft es Washington. In der Hauptstadt und den angrenzenden Landkreisen leben rund 700.000 Staatsbedienstete und Auftragsarbeiter. Je länger sie ohne Lohn im Zwangsurlaub verharren müssen, desto stärker sinkt die Wirtschaftsleistung.

Stephen Fuller, Wirtschafts-Analytiker an der George Mason University, hat ausgerechnet, dass der „Shutdown“ den Metropolenraum Washington 200 Millionen Dollar kosten kann – pro Tag. Ein Faktor unter vielen: der Tourismus. Die staatlichen Museen um das Kleinod Smithsonian waren am Dienstag ebenso verwaist wie der berühmte Zoo, in dem zuletzt ein Panda-Junges Besucher aus aller Welt anlockte. Nicht anders ergeht es Reisenden, die in New York die Freiheitsstatue sehen wollen – geschlossen.

Die nächste, schlimmere Krise droht

Obama und seine Berater setzen darauf, dass öffentlicher Druck die zerstrittenen Republikaner zur Vernunft bringen und an den Verhandlungstisch zwingen wird. Alle Umfragen weisen eher der „Grand Old Party“ denn Obama die Schuld am Verwaltungsstillstand zu. Die Zufriedenheitsrate der Bürger mit dem Parlament ist unter zehn Prozent gesunken.

Ob das Kalkül aufgeht und der „Shutdown“ auf wenige Tage begrenzt werden kann, weiß niemand. Die letzte Lähmung des Staates liegt 18 Jahre zurück, damals ging 21 Tage lang fast nichts mehr. Skeptische Beobachter des Regierungsapparats sehen im Streit um den Haushalt nur die Vorstufe zu einer weitaus gravierenderen Entwicklung.

Um den 17. Oktober herum geht Finanzminister Jack Lew das Geld aus. Die auf 16,7 Billionen Dollar festgelegte Schuldenobergrenze muss angehoben werden. Andernfalls kann Amerika seine Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen. Bleiben die Republikaner auch hier stur, würde das Land de facto zahlungsunfähig.

Rating-Agenturen wie Standard & Poor‘s würden Amerikas Kreditwürdigkeit (derzeit AA+) herabstufen. Ein Mechanismus, der die USA in die Rezession führen und das Weltfinanzsystem in Mitleidenschaft ziehen könnte. Der Internationale Währungsfonds hat gestern seine Forderungen nach einem raschen Einlenken der Streitparteien erneuert. „Es ist fünf vor zwölf.“