Washington. Noch hat das Militär-Tribunal gegen die Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 gar nicht richtig begonnen. Die Anwälte der Angeklagten halten es dennoch bereits für eine juristische Schande. Das Verfahren wird von einem spektakulären Lauschangriff überschattet.
Das Militär-Tribunal im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba wird bereits im Vorstadium nach Ansicht von Juristen immer mehr zur Farce. Bei mehrtägigen Anhörungen gegen die fünf von der Todesstrafe bedrohten Drahtzieher der Anschläge vom 11. September 2001 um Khalid Scheich Mohammed (KSM) kam jetzt ein spektakulärer Lauschangriff ans Licht.
US-Geheimdienste hatten die Kommunikation zwischen den teilweise seit zehn Jahren ohne rechtsstaatliches Urteil festgehaltenen Gefangenen und ihren vom Pentagon gestellten Anwälten überwacht. Rauchmelder in einem Raum, in dem sich Angeklagte und Verteidiger treffen, waren mit Abhörwanzen bestückt.
Als es um Folter ging, schaltete die "Regie" den Ton ab
Das Ausspionieren ging so weit, dass in dem Gerichtsgebäude auf der amerikanischen Marine-Basis während der Verhandlung eine bisher geheimgehaltene Regie über den Kopf von Militärrichter James Pohl hinweg unvermittelt den Ton abschaltete. Der Eingriff, den Journalisten in den USA bei einer Live-Übertragung in Fort Meade/Maryland mitansehen konnten, geschah in dem Moment, als der Angeklagte Walid Bin Attash über erlittene Foltermethoden Auskunft geben wollte; und darüber, dass Wärter seine Zelle gefilzt und dabei ohne Ankündigung Dokumente sichergestellt hatten.
Auch interessant
Für Fälle, in denen Richter Pohl während der Verhandlung die nationale Sicherheit gefährdet sieht, steht dem Vorsitzenden des Militärtribunals ein Schalter zur Verfügung, mit dem das Audiosignal aus dem Sitzungssaal in den Bereich, wo Angehörige der Opfer, Journalisten und weitere Prozessbeobachter sitzen, komplett gekappt werden kann.
Juristen sehen komplettes Verfahren entwertet
Im geschilderten Fall hatte Pohl nichts unternommen. Eine "dritte Stelle", so räumte später das Pentagon ein, hatte sich dazwischen geschaltet. Wer? Kein Kommentar. Motiv? Unklar. Für David Nevin, Verteidiger des Hauptangeklagten Khalid Scheich Mohammed, und seine Kollegin Cheryl Bormann ein "beispielloser Skandal". Elementare Grundvoraussetzungen für einen ordnungsgemäßen Prozess seien in Guantanamo nicht gegeben, erklärten die Juristen, das gesamte Verfahren werde Schritt für Schritt entwertet.
Auch interessant
Zusätzlicher Verdacht: Die Saalmikrofone seien so eingestellt, dass leiseste Gespräche zwischen Anwalt und Mandant mitgehört werden können. Als Konsequenz aus den Zwischenfällen blieben "KSM" und seine Helfer an einem Prozesstag dem Verfahren fern und in ihren an einem geheim gehalten Ort auf der US-Basis untergebrachten Hochsicherheitszellen. Brigade-General Mark Martins, Chef-Ankläger im Auftrag des Verteidigungsministeriums, versuchte die Wogen zu glätten. Er bestätigte die Existenz von Abhörwanzen, sagte jedoch, sie seien "nicht eingeschaltet gewesen".
Vorverfahren tritt seit zehn Monaten auf der Stelle
Das Vorverfahren gegen die Hauptattentäter von 9/11 begann vor zehn Monaten und tritt seither auf der Stelle. Die Bürgerrechtsorganisation Human Rights Watch erwartet den Start des ordentlichen Verfahrens nicht vor Mitte/Ende 2014.
Wie weit die Rechtsprechung in Guantanamo den Zeitplänen hinterher hinkt, zeigt der Fall des 48-jährigen Abdel Al-Naschiri, der für den Anschlag auf das US-Kriegsschiff "USS Cole" im Jahr 2000 mit 17 Toten verantwortlich gemacht wird. Naschiri ist im 13. Jahr inhaftiert - ohne Prozess. Er wurde währenddessen mehrfach gefoltert, wie aus CIA-Unterlagen hervorgeht.
Gutachter sollen Geisteszustand des Angeklagten überprüfen
Im November 2011 begann das bis heute immer wieder unterbrochene Vorverfahren. Letzter Stand: Bis Ende März sollen Gutachter den Geisteszustand des Angeklagten untersuchen. Ob es zum Hauptverfahren kommt, und wenn ja - wann, steht nach Angaben von Naschiris Anwalt Rick Kammen "in den Sternen".
Inside Guantanamo
Im Fall der 9/11-Attentäter ist der nächste juristische Schlagabtausch, zu dem wie zuvor das komplette Gericht samt Opfer-Familien und ausgewählten Medienvertretern, für rund fünf Tag von den USA aus nach Kuba geflogen wird, Ende April geplant. Eine Aussicht, die Phyllis Rodriguez verärgert. Ihr Sohn Greg wurde bei den Anschlägen 2001 getötet. Rodriguez ist eine energische Kritikerin der Todesstrafe wie der Militärtribunale in Guantanamo. Sie fordert eine Verlegung des Verfahrens in ein Zivilgericht auf dem US-Festland.
Genaus das hatte Präsident Obama bereits 2009 geplant. Der Kongress in Washington schob dem Vorhaben mit den Stimmen von Republikanern und Demokraten einen Riegel vor. Die Terror-Verdächtigen von Guantanamo, so prophezeite Anwalt Kammen bereits vor zwei Jahren, werden auf Kuba bleiben - "bis zu ihrem Tod - und wahrscheinlich ohne Gerichtsurteil".