Hamburg. . Oberst Klein traf 2009 „eine mörderische Entscheidung“, wie der Titel eines ARD-Dokudramas feststellt: Er ließ einen Tanklaster bombardieren. Die Detonation kostete 140 Menschen das Leben. Das Erste zeigt einen Film, der dem Geschehen ebenso bedrückend wie beeindruckend folgt. Matthias Brandt steht an der Spitze eines fantastischen Ensembles.

Brennende Menschen taumeln durch ein Flussbett, sie stürzen, sie sterben. „Ich verwahre mich ausdrücklich gegen die in Medien erhobene Behauptung, ich habe töten wollen“, sagt eine Stimme, und wir sehen den Schauspieler Matthias Brandt, der nun für anderthalb Stunden zu Oberst Georg Klein wird.

Jener Bundeswehroffizier, der 2009 den Angriff auf zwei im Wasser feststeckende Tanklastzüge im afghanischen Kundus befahl, zwei Bomben, die 140 Menschen das Leben kosteten, ein paar Militante, vor allem aber Zivilisten, die sich mit kostenlosem Benzin versorgen wollten. Es war „Eine mörderische Entscheidung“, und so heißt Raymond Leys Dokudrama (Arte, Freitag, 20.15 Uhr, ARD, 4. September, 20.15 Uhr). Ein Film, der zeigt, wozu öffentlich-rechtliches Fernsehen in seinen allerbesten Momenten imstande ist.

Die Bundeswehr verweigert sich

Die Bundeswehr hat die Zusammenarbeit verweigert, man beteilige sich nicht an einer Erzählform, in der Fakten und Fiktion für den Zuschauer nicht klar zu trennen seien. Ley, von dem man seit „Eichmanns Ende“ weiß, dass er sich in der Tradition eines Heinrich Breloer sieht, spekuliert natürlich trotzdem nicht wüst, auch wenn der Spielanteil etwa fünfmal so hoch ist wie der dokumentarische und er dem Betrachter manche Interpretation des Geschehens nahelegt.

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Er hat die Angehörigen der Opfer besucht, hat Akten und Protokolle gewälzt, Aussagen aus dem Untersuchungsausschuss benutzt, den Funkverkehr der amerikanischen Piloten ausgewertet, die im deutschen Auftrag handelten. Und er lässt Experten zu Wort kommen wie den damaligen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan oder den Nato-General a.D. Egon Ramms, der die Fehler in Kleins Entscheidungsfindung systematisch seziert: Interviews und Spielhandlung ergänzen sich perfekt.

Raymond Ley inszeniert das Drama als mehrstimmige Manipulationskette, an deren Ende ein falsch beratener Offizier einen schrecklichen Fehler begeht, ohne dass er ihm die Absolution erteilt. „Bringt mir diesen Klein“, sagt ein tränenüberströmter afghanischer Vater, der drei Söhne beim Angriff verlor, „ich reiße ihn in Stücke.“ Klein aber wird, wie man im Abspann erfährt, drei Jahre später sogar zum Brigadegeneral befördert. Man fasst es nicht.

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Matthias Brandt, dem schauspielerisch alles zu gelingen scheint, spielt Klein als leisen, spröden Kommandeur, ein emotionsloser Fremdkörper in der rauen Lagerwelt herber Männerwitze, der Gegenentwurf zu einem bedenkenlosen Kommisskopf. Kaum zu glauben, dass bei ihm der Ehrgeiz je über die Vernunft siegen könnte. Axel Milberg, der sich ebenfalls längst ins deutsche Spitzenpersonal hochgespielt hat, gibt seinem BND-Mann im weißen Anzug etwas teuflisch Glattes; ein Minenleger, der sich zu Kleins Einflüsterern gesellt, die hinterher ihre Hände in Unschuld waschen wollen.

Der erste Deutsche Soldat, der seit dem Zweiten Weltkrieg im Gefecht stirbt

Raymond Ley liefert keine Entschuldigungen, er zeigt die Bausteine, die zur Katastrophe führen: der erste deutsche Soldat, der seit dem Zweiten Weltkrieg im Gefecht stirbt, ein Gouverneur, der den Deutschen im Umgang mit den Taliban Weichheit vorwirft und Rache für den getöteten Bruder will, die Verlockung für einen Befehlshaber, einen erfolgreichen deutschen Militärschlag zu führen und viele Terroristen auszuschalten.

Ley inszeniert die entscheidenden beiden Stunden im Gefechtsstand der abgeschotteten Spezialeinheit „Task Force 47“ als Thriller mit maximaler Spannung: hier der zögernde Klein, der wieder und wieder fragt, ob bei den Lastern nicht auch Zivilisten seien und doch keine zweite Informationsquelle verlangt, und die ebenso zweifelnden US-Piloten, die unter falschem Vorwand herbeigerufen wurden, dort die aufgeladenen Heißsporne (stark: Matthias Koe­berlin und Franz Dinda), deutsche Soldaten, die Klein bedrängen und endlich mal zuschlagen wollen.

Sie setzen sich durch.