Essen. . Nach einer Preiserhöhung beim Strom kündigte Klaus Nitsche mit Verweis auf das Sonderrecht seinen Vertrag. Der Billiganbieter Stromio wollte davon aber nichts wissen. Stromios Argument: Für die Preiserhöhung sei man nicht verantwortlich. Am Ende lenkte der Anbieter ein.
Leser Klaus Nitsche aus Essen staunte nicht schlecht, als ihn im Januar 2013 die Jahresabrechnung seines Energielieferanten Stromio erreichte. Statt bisher 69 Euro Abschlag im Monat soll er künftig 80 Euro zahlen, heißt es darin. Diesen saftigen Preisanstieg will der 69-Jährige nicht hinnehmen. Schließlich weiß er aus der Zeitung, dass Kunden im Fall einer Preiserhöhung ein Sonderkündigungsrecht besitzen. Also kündigt er den Vertrag. Von diesem Sonderrecht will der Billigstromanbieter allerdings nichts wissen.
Zur Begründung schreibt Stromio: Den Preis habe man wegen staatlich veranlasster Belastungen wie der Erhöhung der Umlage für Erneuerbare Energien (EEG-Umlage) und der neu eingeführten Offshore-Umlage anpassen müssen. Eine fristlose Kündigung sei deshalb ausgeschlossen. Wer hat Recht? Die Redaktion stieß bei der Recherche auf so manchen Fallstrick.
Viele Anbieter geben Kosten weiter
Fest steht: Klaus Nitsche steht mit seinem Problem nicht alleine da. Laut Vergleichsportal Verivox haben seit Januar 2013 fast 900 der rund 1000 Stromanbieter ihre Preise erhöht. „Fast alle Versorger geben die höheren staatlich veranlassten Kosten an ihre Kunden weiter“, berichtet Unternehmenssprecherin Dagmar Ginzel. Auch den Verbraucherzentralen sind zahlreiche Fälle bekannt.
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Für Jürgen Schröder, Jurist der NRW-Verbraucherzentrale, ist die Sache eindeutig. Er sagt: Erhöht der Anbieter den Preis, können Kunden von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. So sieht es § 41 Absatz 3 des Energiewirtschaftsgesetzes vor. „Ändert der Lieferant die Vertragsbedingungen einseitig, kann der Letztverbraucher den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen“, heißt es darin schwarz auf weiß. Die wohl wichtigste Vertragsbedingung sei eben der Strompreis.
Verivox-Sprecherin Dagmar Ginzel sieht die Sache differenzierter. Sie meint, die Frage, ob Anbieter rechtens handeln, wenn sie derartige Preiserhöhungen auf ihre Kunden ummünzen, lässt sich nicht so einfach mit ja oder nein beantworten: „Das ist ein Streitthema“, findet sie. „Gerichtsurteile gibt es noch nicht.“
Es ist durchaus verständlich, wenn Unternehmen Kosten, die sie nicht beeinflussen können, auf Kunden umlegen. Trotzdem wäre es für Kunden hilfreich, wenn Preisgarantien so deutlich gekennzeichnet sind, dass Kunden auch ohne intensive Lektüre der AGB über ihre Vertragsbestandteile haben, fordert Ginzel.
„Das ist ein Streitthema, Gerichtsurteile gibt es noch nicht“
An dieser Stelle sei erwähnt: Den Strommarkt teilen sich die meist teureren Grundversorger wie E.on, RWE oder Vattenfall und die häufig billigeren Wettbewerber wie Stromio, Tchibo Strom oder ExtraEnergie. Den Grundversorgern macht das Gesetz strengere Vorschriften. Sie müssen beispielsweise ihre Kunden innerhalb von 14 Tagen aus dem Energieliefervertrag lassen. Die preiswertere Konkurrenz kann in ihren AGB längere Laufzeiten vereinbaren. Auch Preisänderungsklauseln finden sich dort häufig. Stromio etwa hält sich das Recht zur „Weitergabe gesetzlich vorgeschriebener vom Lieferanten jeweils nicht beeinflussbarer Steuern, Abgaben oder hoheitlicher Belastungen“ vor. Unter Letzteres fallen, so die AGB, die EEG-Umlage oder die Offshore-Umlage.
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Auch die Bundesnetzagentur kann nicht weiterhelfen. „Im Zweifel muss die Sache juristisch zwischen den Vertragsparteien geklärt werden“, heißt es. Haben Stromkunden bei Preiserhöhungen, wie sie Leser Klaus Nitsche in Kauf nehmen soll, wirklich keine Rechtssicherheit?
Die entscheidende Antwort kommt schließlich vom Bundesverbraucherministerium, das die Stromgrundversorgungsverordnung ins Spiel bringt: Erhöhten sich die Preise oder änderten sich ergänzende Bedingungen, könne der Kunde den Grundversorgungsvertrag zu dem Zeitpunkt fristlos kündigen, an dem die Änderungen wirksam würden. Gleiches gelte bei Preisänderungen bei Verträgen außerhalb der Grundversorgung.
Keine gesetzlich bedingte Erhöhung
„Die EEG-Umlage und auch die Netzentgelte müssen die Energieversorger an den jeweiligen Netzbetreiber bezahlen“, erläutert ein Ministeriumssprecher. Die EEG-Umlage sei damit, wie das Netzentgelt und alle anderen Kosten lediglich ein Kalkulationsposten des Stromhändlers. Die Umlageerhöhung führe nicht automatisch oder gesetzlich bedingt zu einer Preiserhöhung.
Stromio teilte Klaus Nitsche im Zuge der Recherche zwar mit, dass man ihn „aus Kulanz ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ aus dem Vertrag lasse. Schließlich sei dem Unternehmen eine „hohe Kundenzufriedenheit“ wichtig. Laut Bundesverbraucherministerium hätte Nitsche aber sowieso kündigen dürfen.