Köln. . Schokolade mit neutraler CO2-Bilanz, Knäckebrot mit Blaualgen, ein aus Birken „gezapftes“ Getränk: Auf der Messe Anuga in Köln werden Neuheiten der Ernährungs-Industrie vorgestellt. Die dürfen auch gerne gesund sein.
Es war einmal ein Verbraucher, der niemals auch nur einen einzigen Gedanken daran verschwendet hätte, ob sein Frühstücksei von einem freilaufenden, einem „bodengehaltenen“ oder einem richtig glücklichen Huhn gelegt wurde. Ebenso wenig hätte er beim Verzehr eines Steaks darüber sinniert, ob dieses in seinem Ursprung als Rind jemals saftiges Gras unter den Hufen gespürt hat und zufrieden muhend über eine echte Wiese laufen durfte. Ein Ei war ein Ei, und ein Steak eben ein Steak. Der heutige Verbraucher is(s)t bewusster und vor allem kritischer. Die Lebensmittelindustrie reagiert auf der größten Messe für Handel und Gastronomie, der Anuga in Köln, auf dieses veränderte und sich immer noch verändernde Verbraucherbewusstsein.
1) Essen mit Moral
Die Nahrungsaufnahme soll heutzutage nicht nur satt machen, sondern den Essenden gleichzeitig in dem wohligen Gefühl zurücklassen, sich etwas Gutes getan und dabei auch noch moralisch unbedenklich gehandelt zu haben. Ausgebeutete Arbeiter, gequälte Tiere, Verpackungsmüllberge und verschmutzte Ozeane sind „out“ – so hat sich der Umsatz der Fairtrade-Branche laut eigenen Angaben seit 2003 mehr als verzehnfacht: Bio-Produkte boomen. Und auch die Zahl der Menschen, die unabhängig von politischen Vorgaben freiwillig „Veggie-Days“ einlegen, steigt kontinuierlich an. Die Zeit der „Polemisierung gegen vegane und vegetarische Lebensweise“ sei vorbei, sagt Prof. Dr. Johannes Wechsler, Präsident des Verbands deutscher Ernährungsmediziner. Natürlich zelebriert die Branche in drei Messehallen den Fleischgenuss, doch gleichzeitig wird nebenan auch das Bedürfnis der Verbraucher nach „geschmackvollen Fleischersatzprodukten“ erfüllt.
Über allem schwebt das große Thema Nachhaltigkeit: So findet man auf der Anuga Schokolade mit angeblich „neutraler CO2-Bilanz“ und Verpackungen, die zu 25 Prozent aus Plastik hergestellt werden, das aus den großen Müllteppichen im Nordpazifik gesammelt wurde.
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2) Weniger ist mehr
Die „Dämonen“ der Lebensmittelindustrie? Viel Zucker, viel Salz, viele schlechte Fette – das sagt zumindest die Sprecherin von „Innova Market Insights“, das regelmäßig Produkttrends und Entwicklungen in der Lebensmittelindustrie untersucht. Salz und Fetten hat die Branche bereits den Kampf angesagt, jetzt ist auch der Zucker dran. Dazu experimentiert die Industrie mit alternativen Süßungsmitteln wie Stevia: Coca-Cola testet gerade eine mit Stevia gesüßte Cola light in Argentinien. Auf der Messe ist mit „Mister Free“, das nach Herstellerangaben „erste zuckerfreie Naturgetränk“ vertreten, bestehend aus Wasser, Fruchtsaft, Aroma und Stevia. Die Cranberry-Himbeer-Variante erinnert geschmacklich an Wassereis: süßlich und erfrischend. Ein weiteres pflanzliches Süßungsmittel der Zukunft könnte auch die chinesische Mönchsfrucht sein.
3) Transparenz bei Zutaten
Der moderne Verbraucher will vielleicht nicht immer alles wissen, aber er will sicher sein, dass er alles wissen könnte. Nach den Lebensmittelskandalen der vergangenen Jahre wünscht er sich nachvollziehbare Produktionsketten und klare Angaben zur Herkunft seiner Lebensmittel. Mit „Zutaten, die jeder noch persönlich kennt“ wirbt daher „Emils Bio-Manufaktur“ für ihre Dressings und Saucen. Weniger Zusatzstoffe, mehr Natürlichkeit, so die Botschaft.
Nur drei Inhaltsstoffe enthält auch der australische „chia pod“: Fruchtpüree, Kokosmilch und Samen der Chia-Pflanze, die zu den Salbeipflanzen gehört, bilden eine Paste, die in ihrer Konsistenz ein wenig an Joghurt erinnert, mit dem Unterschied, dass das Produkt vollkommen vegan ist. Der Verkaufsstart in Deutschland ist für diesen Winter geplant.
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4) Sich fit und gesund essen
Auch Lebensmittelproduzenten stellen sich auf die Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft ein. Ob „Anti-Aging-Granatapfelsaft“, der „hormonausgleichend“ und „zellschützend“ wirken soll, oder Produkte, die mit speziellen Zusätzen die geistige Fitness zu erhalten versprechen – hier liegt für die Industrie ein weites Feld, das es zu beackern gilt.
Um altersbedingtem Verlust der Muskelmasse entgegen zu wirken, setzen Hersteller auf besonders proteinhaltige Lebensmittel. Antioxidantien, wie im dänischen Saft „birch sap“, der tatsächlich aus Birken gewonnen wird, sollen Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorbeugen.
Das spinatgrüne bulgarische Knäckebrot wiederum enthält Spirulina (Blaualgen) und schmeckt der Farbe entsprechend irgendwie nach Unterseewald – die cholesterinsenkende Wirkung des enthaltenen Vitamins B12 gilt jedoch eher als Werbeversprechen.
5 Sinnliches Abenteuer
Bei aller Vernunft: Essen soll seine sinnliche Komponente nicht verlieren. Der Verbraucher ist auch gern mal Abenteurer, der auf der Suche nach unbekannten Geschmäckern über die Supermarkt-, Bäckerei- und Restaurant-Ozeane segelt. Dort kann er bald den „Cronut“, eine Art Croissant in Donutform und in den USA schwer angesagt, oder die toastfertige Pizza am Stiel entdecken.