Essen. Noch kämpft die Musikindustrie an allen Fronten gegen Musikpiraten und Umsatzrückgänge. Doch die Aussicht auf einen Sieg ist gering. Weil die illegalen Angebote einfach nicht auszurotten sind. Aber auch, weil das legale Medienangebot immer größer wird.

Ein Gymnasium im Ruhrgebiet. Große Pause. Handys werden gezückt. Blitzschnell lässt Marina (12) die Finger über die Tastatur fliegen. „Ich hab' wieder was”, teilt sie ihren Freundinnen Laura und Julia mit. „Die neue Lady GaGa-Single.” Die anderen Mädchen sind begeistert. „Geil, schick mal rüber.” Marina drückt zwei Tasten und via Bluetooth geht das Lied auf Reisen. „Wir tauschen viel”, sagt Laura. „Ist ja nicht verboten.”

50 000 Songs gesammelt

„Stimmt”, bestätigt der Kölner Medien-Rechtsanwalt Christian Solmecke. „Privatkopien an Freunde sind erlaubt.” Wenn das, was weitergegeben wird nicht aus einer illegalen Quelle stammt. Tut es oft nicht mehr. Denn die Teenager von heute mögen Probleme mit Mathe oder Grammatik haben, aber sie wissen, wie sie umsonst Musik an kommen. Die einen nehmen mit Papas DVD-Recorder digital vom Fernseher auf, andere von einem der über 15 000 Internet-Radios. Marina holt sich die Hits von youtube. Ein kleines Programm hat sie installiert, das die Musik aus den Videos herausziehen und speichern kann. Legal.

Für Marco (24) und Philipp (23) ist das trotzdem „Kinderkram”. „Viel zu aufwändig”. Im Sauerland wohnen sie, in einem Ort in dem sich die Jugend abends gerne an der einzigen Tankstelle weit und breit trifft. Die Hosen der Jungs hängen so tief wie die Stoßdämpfer ihrer Kleinwagen. Aus den geöffneten Fenstern dröhnen Bässe. „Immer nur die neuesten Sachen", tönt Philipp. Früher hat er sie selbst aus dem Netz herunter geladen. Heute versorgt ihn einmal im Monat „ein Kumpel” mit Nachschub. Zwei DVDs voll mit Musik. Alben, Sampler, die komplette Hitparade. Für nur 20 Euro. „Jeden Monat über 1000 neue Lieder, das kannst du gar nicht alles hören.”

50 000 Songs - das reicht für jede Party

Aber kopieren. So oft man will. Ohne Qualitätsverslust. Und dann offline tauschen mit den Bekannten, die ihre eigenen Quellen haben. Portable Festplatten wandern von Hand zu Hand. 50 000 Songs hat Marco auf seiner. „Das reicht für jede Party.”

Unrechtsbewusstsein hat er nicht. „Die Musiker verdienen ja genug Kohle. Guck dir nur mal die Ketten oder Uhren von denen an.” Außerdem, findet Marco, verursacht er keinen Schaden. „Regulär gekauft hätte ich mir von all den Sachen nichts." Deshalb will Marco weiter illegale Börsen besuchen. Zumal er gehört hat, dass die Staatsanwälte nicht mehr ermitteln, „wenn du es nicht übertreibst mit dem herunterladen”.

Wieder mehr Abmahnungen

Die Staatswanwälte nicht, die Plattenfirmen schon. „Wir mahnen wieder mehr ab”, bestätigt Daniel Knöll, Sprecher des Bundesverbandes der Musikindustrie. Weil die Zahl der illegalen Downloads im vergangenen Jahr von 314 auf 316 Millionen gestiegen ist. Vor allem aber, weil die Industrie mittlerweile gar keinen Staatsanwalt mehr braucht, um an die Namen hinter den sogenannten IP-Adressen zu kommen, die ihre Fahnder auf Tauschbörsen ermittelt haben.

Lieber als einzelne Verfahren, wäre der Musikindustrie aber ein „abgespecktes französisches Verfahren”, bei dem ertappte Filesharer zunächst ermahnt und im Wiederholungsfall vom Internet ausgeschlossen werden sollen. „Aber da”, ahnt Knöll, „spielt die Politik in Deutschland nicht mit.”