An Rhein und Ruhr. Über Jahrzehnte wurden Bahnlinien auf dem Land stillgelegt. Allianz pro Schiene und Verband der Verkehrsunternehmen fordern: Der Zug muss zurückkehren

Die Bahn soll zurückkehren aufs Land. Das fordern der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und die Allianz pro Schiene. Mittlerweile warteten knapp 5500 Kilometer ehemaliger Schienenstränge auf die Reaktivierung, in den letzten zwei Jahren seien indes lediglich 21 Kilometer wiederbelebt worden, so die Verbände.

Vor allem Mittelstädte wie Kamp-Lintfort, Neukirchen-Vluyn, Heiligenhaus und Monheim seien nach wie vor vom Bahnnetz abgekoppelt, so VDV und Allianz pro Schiene. So wie diesen Städten geht es insgesamt 123 Mittelzentren im Land, darunter 13 Kreisstädte. In den allermeisten liegen noch die Gleise, bloß müssten dort wieder Züge rollen.

„Reaktivierungen sind günstiger und schneller umzusetzen als Neubauprojekte“, plädiert Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene für das Konzept Wiederbelebung. Indes: 2022 kamen gerade mal acht Kilometer Strecke zurück, davon drei in NRW. In 2023 steht die Null, zum Fahrplanwechsel 2024 sollen immerhin 28 Kilometer wiedereröffnet werden.

Zuwenig angesichts von Klimawandel und der notwendigen Mobilitätswende, so die Schienenlobbyisten. Neue Schienenstrecken seien auch ein Mittel gegen Fachkräftemangel: Lokführer könnten in gleicher Arbeitszeit deutlich mehr Menschen und Güter befördern als Bus- und LKW-Fahrer.

Alle zwei Jahre legen VDV und Allianz pro Schiene aktualisierte Vorschläge für Streckenreaktivierungen vor. 74 Strecken mit insgesamt 949 Kilometern sind neu auf der Vorschlagsliste hinzugekommen. Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene plädiert: „Bund und Länder müssen dringend mehr tun, um Initiativen vor Ort zu unterstützen. Die Menschen wollen eine Schienenanbindung. Gerade für den Schienengüterverkehr gibt es großes Potenzial.“

So wuchs das Bahnnetz - und schrumpfte auch wieder. Künftig soll es wieder wachsen.
So wuchs das Bahnnetz - und schrumpfte auch wieder. Künftig soll es wieder wachsen.

„379 Städte und Gemeinden ohne Zugang zum Schienenverkehr könnten durch die vorgeschlagenen Reaktivierungen wieder Anschluss an das Bahnnetz erhalten – allein in diesen Kommunen wohnen mehr als 3,8 Millionen Menschen – das entspricht der Einwohnerzahl von Berlin“, so Flege.

Politisch sei immerhin etwas erreicht: Die Kosten der Reaktivierungen werden zu 90 Prozent vom Bund bezahlt. Theoretisch. Der Topf des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes, der immerhin von eine auf zwei Milliarden verdoppelt wurde, dient auch dazu, Bahnhöfe zu sanieren und Strecken zu elektrifizieren sowie Bestandsstrecken zu sanieren. Reicht das nicht aus, müsse also, so die Bahnlobbyisten, erneut aufgestockt werden. Denn: Die Wiederbelebung von Bahnstrecken sei volkswirtschaflich sinnvoll.

Anschluss an die Bahn bedeute zudem auch, dass sich Menschen auf dem Land nicht länger abgehängt fühlen. Wo Infrastruktur zurückgebaut werde, betonte er vor allem mit dem Blick auf die ostdeutschen Bundesländer, steige Demokratieverdrossenheit und wachse die Bereitschaft, sich politischen Extremen zuzuwenden.

In Nordrhein-Westfalen haben die Verbände rund 1000 Kilometer Strecke als sinnvolle Kandidaten für eine Wiederbelebung ausgeguckt. Dabei sind lange Strecken vor allem im westfälischen Raum (unter anderem: Bocholt-Rhede-Borken und von dort nach Coesfeld/Münster/Burgsteinfurt) und im Bergischen Land. Im Ballungsraum Rhein-Ruhr indes fordert man vor allem die Wiederbelebung einiger Verbindungskurven, wie beispielsweise in Essen-Steele. Die ermögliche bessere Verknüpfungen zwischen dem Niederbergischen Raum und Bochum.

Doch solche Verknüpfungen können nicht nur neuen Verkehr auf die Schiene bringen, sondern das an vielen Stellen überlastete und pannenanfällige Netz flexibler machen: Wenn auf Strecke A gebaut wird oder sie ausfällt, ermöglichen Verbindungskurven bessere Umleitungen von Zügen über Strecke B.

Dieser Logik folgt auch die Forderung, eine bislang dem Güterverkehr vorbehaltene Verbindungskurve östlich des Düsseldorfer Hauptbahnhofs zumindest für die Dauer der Bauarbeiten für den Rhein-Ruhr-Express wieder nutzbar zu machen.

Neu auf der Liste sind dabei auch Kandidaten, die der VRR schon lange auf der Liste hat: die Walsumbahn, die Verbindung von Oberhausen über Duisburg-Meiderich nach Moers und die Ratinger Weststrecke von Duisburg über Wedau und Ratingen nach Düsseldorf.

Einst ging es hier weiter, unter anderem mit dem Austria-Express ,von Klagenfurt, München, Frankfurt, Köln konnte man bis 1990 über Kleve nach Nimwegen. An einer Wiedereröffnung besteht allerdings vor allem auf niederländischer Seite kaum Interesse.
Einst ging es hier weiter, unter anderem mit dem Austria-Express ,von Klagenfurt, München, Frankfurt, Köln konnte man bis 1990 über Kleve nach Nimwegen. An einer Wiedereröffnung besteht allerdings vor allem auf niederländischer Seite kaum Interesse. © WAZ FotoPool | Thorsten Lindekamp

Strittiger und schwieriger umzusetzen dürften eher die Verbindungen in ländlichen Regionen umzusetzen sein: So plädieren VDV und Allianz pro Schiene unverdrossen für die Wiederbelebung der Strecken Kleve-Xanten und Kleve-Nimwegen. Seit rund 35 Jahren stillgelegt, sind die Trassen hier zum Teil überbaut.

Bei der naheliegenden Verbindung des niederländischen Oberzentrums Nimwegen mit Kleve besteht vor allem auf niederländischer Seite kein Interesse. „Das wird derzeit nicht weiterverfolgt“, bestätigte auch der Verkehrsverbund Rhein Ruhr (VRR), obwohl die Strecke im Mobilitätsnetz NRW 2040 verankert ist.

Neu in die Liste gekommen ist der Wunsch nach einer Wiederbelebung der Strecke von Dülken nach Brüggen, westlich von Viersen. Ebenfalls auf der Wunschliste – und mit Potenzial auch als Umleitungsstrecke – die Wiedereröffnung einer seit Ende des Zweiten Weltkriegs unterbrochenen Bahnstrecke von Mönchengladbach über Neersen nach Krefeld.

Derzeit brummt gelegentlich der gute alte Schienenbus der RuhrtalBahn von Hattingen nach Witten-Bommern. Hier soll es wieder regulären Bahnbetrieb im Alltag geben, so die Pläne.
Derzeit brummt gelegentlich der gute alte Schienenbus der RuhrtalBahn von Hattingen nach Witten-Bommern. Hier soll es wieder regulären Bahnbetrieb im Alltag geben, so die Pläne.

Im östlichen Ruhrgebiet ist die im Güter- und Ausflugsverkehr bereits genutzte Strecke von Hattingen über Herbede und Wengern nach Hagen verlaufende Ruhrtalstrecke neu in die Liste gekommen. Auf der befinden sich im Niederbergischen zudem drei Strecken, die bereits Radwege sind oder gerade zu solchen umgebaut werden: Hattingen-Wuppertal, Wuppertal - Gevelsberg-West - Witten Höhe und die berühmte und beliebte Nordbahntrasse in Wuppertal.

Ebenfalls deutliches Konfliktpotenzial liefern die aus Verbändesicht wünschenswerten Verbindungen von Essen-Kettwig über Heiligenhaus und Velbert Richtung Mettmann und zwischen Duisburg-Wedau und Mülheim Hbf, sind beide Trassen doch heute bereits größtenteils beliebte Radwege. Damit die Radfahrer nicht gleich aus dem Sattel gehen: Diese Kandidaten sind in Kategorie C III. Nicht sehr wichtig und nicht sehr dringend heißt das.

Und die Bahnlobbyisten wissen auch: „In vielen Fällen sind auf Eisenbahntrassen angelegte Radwege gut von den Nutzern angenommen worden und können daher kaum wieder entfernt werden“, räumen auch die Verbände ein, plädieren indes dafür, doch lieber dem Zug die Vorfahrt zu geben: „Schienenverbindung weisen in der Regel – wenn auch nicht immer – eine deutlich höhere potenzielle Verkehrsleistung auf als Radwege.“

Allerdings sei es in vielen Fällen möglich, die Bedarfe beider Verkehrsträger auf vorhandenen Raum zu verknüpfen, so die Bahnlobbyisten. Die beiden klimafreundlichen Verkehrsträger dürften sich nicht gegeneinander ausspielen lassen, so der freundliche Appell. Wie das konkret bei den genannten Trassen gehen soll, bleibt indes unklar.

2020 hat es schon mal ein Zug nach Kamp-Lintfort geschafft, anlässlich der Landesgartenschau. Ab Ende 2026 soll das wieder regelmäßig passieren, erschließt die Strecke doch rechnerisch fast 7500 Personen pro Kilometer wieder ans Bahnnetz an und ist damit Spitzenreiter in Deutschland, so VDV und Allianz pro Schiene.
2020 hat es schon mal ein Zug nach Kamp-Lintfort geschafft, anlässlich der Landesgartenschau. Ab Ende 2026 soll das wieder regelmäßig passieren, erschließt die Strecke doch rechnerisch fast 7500 Personen pro Kilometer wieder ans Bahnnetz an und ist damit Spitzenreiter in Deutschland, so VDV und Allianz pro Schiene. © FUNKE Foto Services | Oleksandr Voskresenskyi

Für erstaunlich unproblematisch halten VDV und Allianz pro Schiene das durch die Reaktivierungen gehobene Verkehrsaufkommen, das auf die großen Knotenpunktbahnhöfe zukommt. Wenn es gelingt, wie vom VRR geplant, Ende 2025 nicht nur die Strecke Kamp-Lintfort-Moers wiederzueröffnen, sondern in den nächsten Jahren auch Neukirchen-Vluyn via Moers wieder anzuschließen, kommt auf den Bahnknoten Duisburg erheblich mehr Verkehr zu.

Der alte Bahnhof Duisburg-Walsum: Auch hier sollen wieder Züge rollen. Wollen nicht nur die Bahnlobbyisten, sondern auch der VRR. Kann aber noch ein paar Jährchen dauern.
Der alte Bahnhof Duisburg-Walsum: Auch hier sollen wieder Züge rollen. Wollen nicht nur die Bahnlobbyisten, sondern auch der VRR. Kann aber noch ein paar Jährchen dauern. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Auch die Walsum-Bahn von Wesel über Walsum und Oberhausen soll nach Duisburg durchgebunden werden und brächte zusammen mit der Ratinger Weststrecke erheblich mehr Zugverkehr in den dann vermutlich fertig sanierten Duisburger Hauptbahnhof. In Düsseldorf würden die geplanten wiederbelebten Verbindungen über Neuss und Kaarst nach Viersen für Mehrverkehr sorgen.

Wie knifflig selbst eigentlich simpelste Wiederbelebungen ist, erlebt gerade der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr: Wenige Wochen vor der geplanten Wiedereröffnung zweier Bahnhöfe in Herten-Westerholt und Gelsenkirchen an einer vor bereits vier Jahren wiederbelebten Strecke der S9 zwischen Gladbeck und Recklinghausen teilte die Bahn mit, dass es ihr leider nicht gelingen werde, die notwendigen Bahnsteige fertig zustellen.

„Die genannten Probleme bei der Bauabwicklung fallen nicht vom Himmel. Wir haben die klare Erwartung, bei Schwierigkeiten dieses Ausmaßes deutlich früher informiert und eingebunden zu werden, als dies der Fall war. Viel schwerer wiegt allerdings, dass die vom VRR bestellte bessere Leistung der S9 nun nicht pünktlich geliefert wird. Die Leidtragenden sind die Fahrgäste, die auf eine weitere harte Geduldsprobe gestellt werden“, kritisiert VRR-Vorstandssprecher Oliver Wittke.