Berlin. .

Es rumort in der Union: Nach dem Wulff-Wahldesaster will CSU-Chef Horst Seehofer endlich machen statt zu diskutieren. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer fordert die Union auf, sich mit ihren inneren Problemen zu beschäftigen. Und der Hamburger CDU-Bürgermeister Ole von Beust findet das alles vollkommen undramatisch.

Die Bewertungen von Spitzenpolitikern zum Verlauf der Bundespräsidentenwahl gehen offenbar weit auseinander. Union und FDP dürften „nicht einfach zur Tagesordnung übergehen“, fordert etwa der CSU-Vorsitzende Horst Seehofer . Vielmehr müsse in der Berliner Koalition jetzt „Führung gezeigt“ und auf abstrakte Debatten verzichtet werden. „Inhaltlich müssen wir wesentlich stärker und besser werden. Vor allem muss Schluss sein mit diesen abstrakten Diskussionen“, sagte der bayerische Ministerpräsident.

Die Bürger wollten „kein Politikseminar“, wo nacheinander abstrakt über Themen wie die Steuerreform, den Sozialstaat und die Kopfpauschale debattiert werde, aber nichts geschehe. Die Bevölkerung könne „nur durch Tun“ überzeugt werden. Seehofer betonte: „Wenn ich das dann einfordere, dann bin ich gerne der Streithansel und der Querulant.“ Vor allem am Widerstand der CSU war Ende Mai eine von FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler geplante Gesundheitsreform gescheitert. Im Anschluss hatten Parteifunktionäre öffentlich über die jeweils andere Fraktion gelästert. Ab dem Donnerstagvormittag, so Seehofer nun, müsse die schwarz-gelbe Koalition die „gewaltigen Themenfelder“ wie die Gesundheitsversorgung und die Haushaltssanierung angehen.

Im Fernsehsender Phoenix sagte der bayerische Ministerpräsident auf die Frage, ob insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Präsidentenwahl einen Denkzettel bekommen habe: „Ich würde jetzt nicht personalisieren.“ Das Verhalten der Bundesversammlung sei aber „sicher ein Signal gegenüber der Koalition und ihrer Führung“ gewesen.

Ein Ausrufezeichen des Protests

Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) sieht die Zitterpartie als Denkzettel für die Koalition. „Ich habe den Eindruck, da wollten Leute mal ein Zeichen setzen und etwas zum Ausdruck bringen, was sie sich laut zu sagen nicht getraut haben“, sagte Böhmer der „Mitteldeutschen Zeitung“. „Andererseits will ja niemand das Ende der Koalition. Das ist eher eine Art Ausrufezeichen und die Aufforderung: Beschäftigt Euch mal mit Euren inneren Problemen.“

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Der Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) wollte dagegen der schwierigen Wahl keine größere Bedeutung beimessen. „Auch andere Kandidaten sind erst im dritten Wahlgang gewählt worden, das wird auch dieses Mal nach kurzer Zeit keine Rolle mehr spielen“, sagte er. Der Bürgermeister begrüßte zugleich die Wahl des niedersächsischen Ministerpräsidenten: „Ich bin überzeugt, dass Christan Wulff sich schnell in seine neue Rolle einfinden wird und das Amt mit der notwendigen Balance aus kritischer Distanz, Überparteilichkeit und Fürsorge ausfüllen wird.“

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht naturgemäß ihre Regierungsarbeit nicht in Frage gestellt: „Ich glaube, dass die absolute Mehrheit im dritten Wahlgang auch deutlich gemacht hat, hinter Christian Wulff steht eine deutliche Mehrheit“, sagte Merkel am Mittwochabend in Berlin. Zugleich wies sie den Eindruck zurück, die Wahl Wulffs erst im dritten Wahlkampf sei ein Votum gegen die Arbeit ihrer Bundesregierung. „Das Ergebnis kann zufriedenstellen“, sagte Merkel in einem Interview mit ARD und ZDF – ungeachtet der Tatsache, dass sie sich fast einen Monat lang gemüht hatte, Abweichler in den eigenen Reihen auf Kurs zu bringen. Am Abend des Desasters bewertet Merkel das so: „Es handelte um die Wahl eines Bundespräsidenten, die frei und offen erfolgen sollte“, betonte sie. Dies sei völlig anders als die Bewertung der Regierungsarbeit. . „Die Koalition hat ihre Arbeit gemacht. Sie wird sie weiter machen.“

Dabei sollte die Wahl Wulffs ein Befreiungsschlag für die von konzeptionellen Streitigkeiten geplagte Regierung werden. So wertet auch der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) die Wahl gegenüber „Abendblatt.de“: „Wenn das heute die Chance für einen Neustart der Koalition war, haben wir diese Chance verspielt.“ Der CDU-Politiker betonte, dass die langwierige Wahl nicht der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel anzulasten seien: „Das ist kein Thema für Merkel, sondern für die gesamte Koalition. Die muss sich nun überlegen, wie es nach der Sommerpause weitergehen soll.“

Trittin: „Nicht nur Freude, Friede, Eierkuchen“

Da kann die Opposition kaum noch nachlegen mit Kritik. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sprach von einer Schlappe für die schwarz-gelbe Koalition. Wenn man eine Mehrheit von rund 20 Stimmen nicht aktivieren könne, zeige dies, „dass da nicht nur Freude, Friede, Eierkuchen herrscht“. Der Gewinner des Tages seien der rot-grüne Kandidat Gauck sowie die Bürger des Landes, „die sich aufgemacht haben, das Land in eigene Hände zu legen.“

Scharf kritisierten SPD und Grüne die Linkspartei dafür, dass sie Gauck nicht im dritten Wahlgang unterstützte. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der Partei vor, dem schwarz-gelben Kandidaten zum Wahlsieg verholfen zu haben. „Christian Wulff ist letztlich auch mit Hilfe der Linkspartei zum Präsidenten geworden“, sagte er der ARD. Schließlich hätte Gauck mit den Stimmen der Linkspartei und wegen der vielen Abweichler in der Koalition bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreichen können. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth wertete das Verhalten der Linkspartei als Beleg für deren politisches Unvermögen. Sich bei einer solchen Entscheidung zu enthalten, sei nicht nachvollziehbar, sagte sie. Dies könne sie nicht als Politikfähigkeit verstehen.

Die Linken-Chefin Gesine Lötzsch wies die Vorwürfe zurück: Die Linken seien nicht dafür gewählt worden, das abzunicken, was SPD und Grüne wollten. Die Linke habe Joachim Gauck nicht wählen können, weil dieser bei den Themen Afghanistaneinsatz und soziale Gerechtigkeit eine deutlich andere Position vertrete, sagte Lötzsch am Donnerstag im Deutschlandfunk. Gauck sei ein rot-grünes „Angebot“ an die Regierungskoalition gewesen. SPD und Grüne hätten sich „verzockt“. Und auch wenn im dritten Wahlgang alle Linken für Gauck gestimmt hätten, wäre Wulff Bundespräsident geworden.

Der unterlegene rot-grüne Präsidentenkandidat Joachim Gauck hat indes dem Wahlsieger Christian Wulff seinen Rat angeboten. Er biete sich dem CDU-Politiker als Gesprächspartner an, sagte Gauck am Mittwochabend in Berlin. Man könne sich begegnen und „zum gegenseitigen Nutzen miteinander reden“. Die Rolle der Linkspartei, mit deren Hilfe er im ersten Wahlgang Präsident hätte werden können, wollte Gauck nicht kommentieren. Er wolle sich nicht die gute Laune verderben, sagte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und frühere Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde.

Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow sagte im Deutschlandfunk, er und seine sächsischen Parteikollegen hätten auch im dritten Wahlgang für Gauck gestimmt. Dies sei „eine Gewissensentscheidung“ gewesen. Aus der sächsischen FDP habe es drei Stimmen für Gauck gegeben, eine weitere sei aus Bremen gekommen. Auf die Frage, ob das Wahldesaster ein Denkzettel für die schwarz-gelbe Koalition gewesen sei, räumte Zastrow ein, die Regierung sei bei wichtigen politischen Fragen „noch im Rückstand“: „Wir haben noch nicht geliefert.“ (mit ddp und reuters)