Berlin. .

Nach neunstündiger Zitterpartie wird Christian Wulff Bundespräsident. Am Ende war das Ergebnis vor allem dank der Linkspartei recht klar. Sie verweigerte vor dem letzten Wahlgang den Schwenk zu Gauck. Ein Rückblick auf den Wahltag.

Am Ende flüchtete sich Angela Merkel ins Fußball-Fach. Bevor die Kanzlerin die verschwitzten Delegierten der Union zum ausnahmsweise früher als üblich eröffneten Fest-Menü auf die Dachterrasse des Reichstages entließ, und damit zu Frikadellen, Lasagne und Seezunge-Spinathappen nebst Prosecco wie Riesling, gab sie ihnen einen eindringlichen Appel mit auf den Weg. „Lassen Sie uns im dritten Wahlgang ein kraftvolles Symbol abgeben“, sagte die CDU-Vorsitzende nach Angaben von Dabeigewesenen. In Anspielung auf die WM-Partien der Fußball-Nationalelf in Südafrika fügte sie hinzu: „Wir haben jetzt das Serbien-Spiel gehabt, jetzt kommt das England-Spiel. Lasst uns das richtig machen!“

Zuvor, so räumten später selbst für ihre Gelassenheit bekannte Unionisten ein, „ging so ziemlich alles in die Hose, was in die Hose gehen konnte“. Christian Wulff, der schwarz-gelbe Kandidat, riss zweimal die bei 623 Stimmen liegende Latte. Einmal 600, beim Wiederholungssprung 615 Stimmen - obwohl Union und FDP 644 Wahlleute aufboten. Das wurde im Kreise der Koalition als „Denkzettel in XXL“ für das Duo Merkel/Westerwelle gewertet.

„Blutiges Heckenschützenfest“

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi (r.), gratuliert Wulff (CDU). Foto: Michael Kappeler/ddp
Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Bundestag, Gregor Gysi (r.), gratuliert Wulff (CDU). Foto: Michael Kappeler/ddp © ddp

Während die beiden ihren Kandidaten einem „blutigen Heckenschützen-Fest aussetzten“ (ein CDU-Präside aus Baden-Württemberg), lief für Joachim Gauck lange Zeit alles wunderbar. 499 Stimmen in der ersten Runde (damit 39 aus anderen Parteien) und 490 im zweiten Durchgang; der ehemalige DDR-Bürgerrechtler bekam verständlicherweise das Grinsen nicht mehr aus dem Gesicht. Während er sich mit seinen „Erfindern“, SPD und Grüne über den Teil-Erfolg I und II freuen konnte, begann im anderen Lager früh das Schwarze-Peter-Spiel.

FDP-Spitzen wie Wirtschaftsminister Rainer Brüderle beteuerten, dass „maximal vier bis fünf bekennende Abweichler“ liberale Parteibücher tragen - das Gros der Übeltäter, die entweder Wulff oder die Kanzlerin treffen wollen, so klar ist das wegen des geheimen Charakters der Wahl nicht zu trennen, sitze eindeutig bei der Union. Ätsch!

Dabei hatte alles so beschaulich angefangen. In der St. Hedwigs-Kathedrale am Bebelsplatz stimmten am Morgen beim Ökumenischen Gottesdienst die Prälaten Jüsten und Felmberg die versammelte Staatsspitze samt Präsidentschaftskandidaten mit dem schönen Lied „All Morgen ist ganz frisch und neu“ auf den Tag ein. Es war ein gediegenes Beieinander. Gauck und Wulff und die jeweiligen Familienanhänge begegneten sich überaus herzlich. Da konnte auch noch keinen ahnen, was kommen sollte. Zum Beispiel sehr viel Leerlauf am Herzort des Parlamentarismus.

Merkels sportlicher Appell hat Erfolg

Wenn der oder die Höchste im Staate gewählt wird, wenn über 1200 Leute nacheinander blaue Stimmzettel in durchsichtige Urnen schieben und danach stundenlang herumstehen und schwätzen und sich nach Art japanischer Touristen gegenseitig ablichten, bis endlich die Zählkommission gezählt und Bundestagspräsident Norbert Lammert das Ergebnis verliest, vergeht eine Ewigkeit.

Für Christian Wulff hatte das Zittern und Bangen erst um 21.15 Uhr ein Ende. Nachdem die Linkspartei ihre Kandidatin Luc Jochimsen zurückzog und das Abstimmungsverhalten in der dritten Runde freigab, reichte dem 51-Jährigen die einfache Mehrheit. Hartnäckige Versuche von SPD und Grünen, die Linkspartei zur Mitwahl von Gauck und damit zu einer (noch größeren) Schwächung der Regierung Merkel zu bewegen, scheiterten nach ausgiebigen Beratungen. Die Linke wollte Gauck partout nicht. Der SPD war das Alternativangebot, den ehemaligen Bundesumweltminister Klaus Töpfer statt Gauck zu bringen, suspekt. Damit war ein Erfolg Gaucks so gut wie ausgeschlossen.

Am Ende bezichtigten sich beide Seiten der politischen Unfähigkeit. Die Linke, so Parteichef Gabriel, habe die einmalige Chance verstreichen lassen, über ihren SED-Schatten zu springen. Die SPD, so Gysi, könne die Linke nicht erst ignorieren bei der Kandiatenkür und dann zur Mehrheitsbeschaffung zwingen. Am Ende hatten beide das Nachsehen. Und Trainer Merkel den letzten Lacher: 625 Stimmen, zwei mehr als die absolute Mehrheit für Wulff. Union und FDP hatten den Verweis auf Serbien und England irgendwie doch noch verstanden. Wenn auch in allerletzter Minute.