Berlin. .
Ihr Kandidat hat verloren, doch die SPD ist in Sektlaune: Bei der Präsidentenwahl ist der rot-grüne Schulterschluss gelungen, zugleich wurde die Linkspartei gezwungen, sich zu distanzieren.
„Wann hat es das zuletzt gegeben, dass Hunderte Sozialdemokraten fröhlich und gut gelaunt über Stunden zusammenstehen?“ Das sagt ein Mitglied der Führungsspitze, als sich am Mittwoch auf der Fraktionsebene im Reichstag die Wahlleute der SPD versammeln. Für die Sozialdemokraten ist es ein Fest, dass ihr gemeinsam mit den Grünen aufgestellter Präsidenten-Kandidat Joachim Gauck den Regierungskandidaten Christian Wulff in einen dritten Wahlgang zwingt. Das gibt Auftrieb: Der rot-grüne Schulterschluss ist gelungen, zugleich wurde die Linkspartei gezwungen, sich zu distanzieren. „Das ist ein echter Vitaminstoß“, freut sich der schleswig-holsteinische SPD-Landeschef Ralf Stegner.
Soviel Erfolg stimmt milde im Ton mit dem politischen Gegner. „Billige Rückschlüsse auf den Zustand der Koalition verbieten sich“, sagt Generalsekretärin Andrea Nahles, nachdem das schwarz-gelbe Lager Wulff ein zweites Mahl die absolute Mehrheit verweigert hat. SPD-Chef Sigmar Gabriel muss aufpassen, dass ihm tröstende Worte nicht zur Häme geraten: „CDU/CSU und FDP sollten stolz sein, dass sie so viele Wahlmänner und Wahlfrauen haben, die frei entscheiden.“
Willkommene Abgrenzung
Führende SPD-Politiker schimpfen zwar über die Linken. „Die Linkspartei ist Schuld, dass Herr Gauck nicht im ersten Wahlgang gewählt worden ist“, sagt Gabriel. Und der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck spricht von einer „politischen Ausweichposition“ der Linken, die nicht die Kraft habe zu einem personellen Neuanfang. Dennoch verbuchen viele Sozialdemokraten es als taktischen Erfolg, dass sie mit dem Kandidaten Gauck nicht nur Unfrieden in der Koalition geschürt, sondern auch die Linkspartei gezwungen haben, sich von SPD und Grünen zu distanzieren. Da verblasst zusehends das allseits von der Union als Schreckgespenst an die Wand gemalte Bündnis Rot-Rot-Grün.
Dies passt in die Bemühungen der SPD, sich in Bund und Ländern Machtoptionen offenzuhalten. In Nordrhein-Westfalen werden die Sozialdemokraten in Kürze die Rückkehr an die Macht feiern, wenn auch nur mit einer rot-grünen Minderheitsregierung. Auch dort will sich die SPD Mehrheiten unabhängig von den Linken suchen, sie schielt auf die FDP. Die Option, bei der Bundestagswahl 2013 mit Hilfe der Linken auf die Regierungsbänke zu kommen, gibt die SPD damit nicht auf.
Die von Gabriel und dem Grünen Jürgen Trittin eingefädelte Kandidatur Gaucks könnte sich vor allem für das Innenleben der SPD als Kraftelixier erweisen. „Das ist richtig gute Medizin für die SPD“, sagt etwa ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Thomas Oppermann. Gaucks Kandidatur habe die Öffnung der Partei zu gesellschaftlichen Gruppen unterstrichen, „die nicht automatisch auf die SPD abonniert sind“.
Unterstützung aus dem Netz
Gauck selbst sprach am Vorabend der Bundesversammlung von der Unterstützungswelle der Netzgemeinschaft, in neuen Foren wie Facebook. Gabriel nutzte die Gelegenheit, Gauck als Beleg dafür zu nehmen, dass bei allem Politikverdruss in der Bevölkerung und sinkender Wahlbeteiligung die Mobilisierung politischer Begeisterung noch möglich sei. In der Fraktionssitzung der SPD klatschen die Teilnehmer Gauck nach dem ersten Wahlgang minutenlangem stehenden Beifall. Auch dort bittet er, nicht von einer Niederlage für einen Kandidaten, sondern einem Erfolg für die Demokratie zu sprechen - verbunden mit der Bitte, den Ball flach zu halten.
Man darf vermuten, dass SPD und Grüne Gauck nie nominiert hätten, wenn sie eine Chance gehabt hätten, ihren Kandidaten in der Bundesversammlung durchzusetzen. Doch Gabriel scheint eines Besseren belehrt. Er mahnte am Vorabend der Wahl, die SPD dürfe „die Erfahrung dieses Jahres nicht vergessen“, wenn in fünf Jahren der Bundespräsident erneut gewählt werde. Sollte die SPD dann eine eigene Mehrheit haben, werde sie „trotzdem darauf achten, dass wir anders damit umgehen“. Gauck nahm ihn beim SPD-Fest am Vorabend der Bundesversammlung beim Wort: „Er kann es unmöglich zurücknehmen.“ Der 70-Jährige kündigte an dem Abend an, was er Mittwochabend tun werde: „Ich werde morgen Abend ein fröhlicher Bürger eines freien Landes sein - egal wie die Wahl ausgeht.“