Berlin. .

Christian Wulff ist der neue Bundespräsident. Erst im dritten Wahlgang setzte er sich gegen Joachim Gauck durch. Es ist kein Makel für ihn, sondern eine Schlappe für Angela Merkel. Unsere Kommentare zur Wahl.

Von Ulrich Reitz


Was ist ein Bundespräsident wert, der in der Bundesversammlung drei Wahl­gänge brauchte, um ins Amt zu gelangen? Steht seine Präsidentschaft unter einer gewaltigen Hypothek, hat das Staatsoberhaupt ein Legitimations-Defizit?

Es ist ratsam, von der aktuellen Dramatik nicht auf die mittelfristigen Folgen für eine ganze Amtszeit zu schließen. Schon morgen ist gestern vergessen. Das lehrt jedenfalls der Blick in die bundesrepublikanische Geschichte. Und weshalb sollte es dieses Mal anders sein als früher?

Gustav Heinemann brauchte 1969 drei Wahlgänge, um Präsident zu werden. Das hinderte ihn später keineswegs daran, erfolgreich und anerkannt über Parteigrenzen ­hinweg sein Spitzenamt auszuüben. Der Sozialdemokrat Heinemann war der erste Bürger-Präsident.

Das gilt auch für Roman Herzog, der es 1994 ebenfalls erst im dritten Anlauf ­schaffte. Er ist als Ruck-Präsident in die Geschichte eingegangen. Seine Autorität hat nicht gelitten darunter, dass er nicht auf Anhieb eine Mehrheit der Bundes­versammlung hinter sich brachte.

Auf eins kann man sich verlassen. Die Deutschen achten Institutionen. Diese vermitteln ihnen politisch-gesellschaftliche ­Stabilität. Der Bundespräsident ist eine ­solche, vielleicht die allererste Institution. Das Volk hat bislang noch jeden Bundes­präsidenten geachtet und respektiert, völlig unabhängig von seiner Parteizugehörigkeit.

Und bislang hat auch noch jeder Bundespräsident am Ende vergessen, welcher Partei oder Koalition er letztendlich sein Amt verdankt. Bisweilen unbequem für den jewei­ligen Kanzler waren, jeder auf seine Weise, fast alle Bundespräsidenten.

Vielleicht ist Christian Wulff nicht so inspirierend wie Joachim Gauck. Vielleicht ist sein politisches Leben stromlinienförmiger verlaufen. Ein westdeutsches Normal-Spitzenpolitiker-Leben halt. Geprägt von der langjährigen Zugehörigkeit zur CDU.

Aber jetzt fängt für ihn ein neuer Lebensabschnitt an. Es gelten neue Spielregeln. Und er wird für sich ein neues politisches Drehbuch schreiben. Immerhin zieht jetzt eine fröhliche, noch vergleichsweise junge Patchwork-Familie ein ins Schloss Bellevue. Wulffs intelligente, attraktive Frau Bettina wird ständig Bilder liefern für die Medien. Alles das fügt sich zu einer Premiere, die das ganze Land ein Stück weit verändern, modernisieren wird.

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Schramme für Wulff

Von Rüdiger Oppers

Auf diese Bundesversammlung können wir stolz sein. Viele Delegierte haben sich die Freiheit genommen, nicht dem Fraktionszwang zu gehorchen, sondern ihrem Gewissen. So funktioniert Demokratie. Auch wenn es am Ende Joachim Gauck nicht gelungen ist, genügend Stimmen zu erringen, hat er den größten Respekt verdient.

Dreißig Tage gab es eine bemerkenswerte Volksbewegung für seine Kandidatur, die den Bürgerrechtler zum moralischen Sieger gemacht hat. Joachim Gauck ist eine beeindruckende Persönlichkeit, ein untypischer Politiker, der nicht nur brillant reden kann, sondern auch etwas zu sagen hat. Hoffentlich werden wir seine wichtige Stimme auch in Zukunft noch oft hören.

Christian Wulff hat es im dritten Wahlgang mit Mühe geschafft. Für sein hohes Amt ist der katastrophale Start eine Schramme, aber kein Totalschaden. Für Angela Merkel allerdings schon. Das dramatisch schlechte Ergebnis im er-sten Wahlgang war eine gelbe Karte für die Koalition. Doch die überraschende Schlappe im zweiten Versuch war eine Rebellion gegen die Kanzlerin.

Eigentlich sollte die Wahl des Staatsoberhaupts nicht vom üblichen Polit-Poker bestimmt sein. Angela Merkel hatte die sicher geglaubte Abstimmung aber schon im Vorfeld zum Test für ihre Regierungsarbeit gemacht. Ein Aufbruchssignal für den Neuanfang von Schwarz-Gelb sollte die Wulff-Wahl werden. Stattdessen hat Merkel den Tiefpunkt ihrer Kanzlerschaft erreicht. Selbst die eigenen Leute versagen ihr die Gefolgschaft. Politiker nennen das eine Denkzettelwahl, Fußballer eine „Klatsche“.

Bisher wurde erst zweimal in der Geschichte der Bundesrepublik ein Präsident im dritten Wahlgang gekürt. Damals gab es aber keinen ähnlichen Stimmenvorsprung. Trotz der komfortablen Mehrheit konnten sich die Regierungsparteien nur mit Ach und Krach durchmogeln.

Angela Merkel hat die Koalition nicht mehr unter Kontrolle. Union und FDP fehlt es an Gemeinsamkeiten und Geschlossenheit. Frau Merkel fehlt es an Führung, Linie und Überzeugungskraft. Womöglich ist das Desaster in der Bundesversammlung der Anfang vom Ende der schwarz-gelben Wunschkoalition.

Eine Schande für die „Linke“ ist ihre sture Blockade des Bürgerpräsidenten Gauck. Sie wird noch für lange Zeit erklären müssen, warum sie so wenig Gespür für die Demokratie und die Stimmung in der Bevölkerung gezeigt hat. Es war ihre historische Chance, mit dem DDR-Erbe zu brechen.

Stattdessen hat sie sich ganz und gar als Ex-SED präsentiert und schließlich, unglaublich aber wahr, Christian Wulff zum Zittersieg verholfen. Nein, mit der Linkspartei ist kein Staat zu machen.

Dennoch hat die Union dankbar die stille Hilfe der Altkommunisten akzeptiert. Von nun an wird sie es schwer haben, rot-grüne Koalitionen mit der „Linken“ zu kritisieren.

Christian Wulff ist nun der erste Bürger im Staat. Er hat alle Chancen in diese Rolle hineinzuwachsen. Bisher hat das Amt noch aus jedem etwas gemacht, sogar aus Horst Köhler – warum nicht auch aus Christian Wulff. Sein Vorteil ist seine relative Jugend. Wenn er sich schnell von Angela Merkel unabhängig macht, kann er an Format gewinnen.

Man darf gespannt sein, welches Thema er in den Mittelpunkt seiner Amtszeit rückt. Bei Johannes Rau war es Versöhnung, bei Roman Herzog der „Ruck“, Horst Köhler hatte kein Thema - und Christian Wulff?

Bitte, Herr Bundespräsident, überraschen Sie uns!

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Wulff kann nicht begeistern - vielleicht aber seine Frau

Von Miguel Sanches


Eine Wahl mit Glanz und Gloria war es nicht. Über seine Kür zum Bundespräsidenten wird sich Christian Wulff gewiss nicht unbeschwert freuen können. Die Bundesversammlung war für ihn eine Zitterpartie. Aber: Der CDU-Mann ist jetzt der Präsident aller Bundesbürger. Wenn er seinen Job gut macht, ist es in einigen Monaten kein Thema mehr, dass der Präsident trotz einer satten Mehrheit von Schwarz-Gelb in der Bundesversammlung auf einen dritten Wahlgang angewiesen war.

Berliner Korrespondent, Miguel Sanches.
Berliner Korrespondent, Miguel Sanches. © Marc-Steffen Unger

Mehr Gedanken sollte sich Angela Merkel machen. Die Kanzlerin hatte die Köhler-Nachfolge zur Chefsache gemacht. Dass sich so viele Wahlmänner von Union und FDP taktisch verhalten haben und - in einer Art abgestuften Verfahren - Wulff erst nicht, dann doch wählten, geht als Misstrauenserklärung an die Adresse Angela Merkels. Da wollten ihr viele einen Denkzettel verpassen. Die Koalition hat weder ihre „Handlungsfähigkeit“ unter Beweis gestellt noch kann sie einen Neustart inszenieren. Es wird ein Sommer des Missvergnügens.

Nun also Wulff. Soll man den Mann beneiden? Wird er uns begeistern? Und wird er uns überraschen? Drei Fragen, drei Antworten: Dreimal Nein.

Das Aufregende an ihm ist seine Frau. Zum einen spannt kein anderer Job im Staat den Partner des Amtsinhabers so selbstverständlich ein wie das Präsidialamt. Zum anderen macht Bettina Wulff nicht den Eindruck, als wäre es ihr lästig und als würde sie sich gegen das Repräsentieren sträuben. Sie kann uns überraschen. Auf welche Art steht noch nicht fest.

Deutschland bekommt keine Präsidentengattin, sondern eine „First Lady“. Schon einmal zog aus Niedersachsen ein Paar aus, das „wir wollen Kanzler“ sagte. Nun: Wir sind Präsident.

Beneiden muss man Wulff nicht. Mit 51 ist er viel zu jung für den Job. Nur eine Wiederwahl ist erlaubt. Mit 61 ist dann Schluss mit der Politik. Der Mann wird sich langweilen. Aber bitte: Er wollte es so. Wulff hat Spaß am Repräsentieren, am Feierlichen und Förmlichen. Kann es sein, dass Christian Wulff mit Anzug und Krawatte geboren wurde?

Begeistern wird er sein Volk wohl nicht. Dafür fehlt ihm das Temperament. Überraschungen sind nicht zu erwarten, übrigens auch keine negativen. Wulff wird seine Aufgabe smart, vernünftig und rollengerecht erfüllen.

Seine vermeintliche Schwäche ist seine eigentliche Stärke: Er kommt aus der Politik. Wulff hat die Erfahrung, das Sensorium und die Nehmerqualitäten, um die Politik richtig einzuordnen, seine Ideallinie zu finden, um kritische Situationen zu meistern und um die Kluft zwischen den Bürgern und den Parteien nicht zu vergrößern.

Von den bisher neun Bundespräsidenten waren acht ehemalige Politiker, und die Deutschen hatten Glück. Der Neunte war ein Seiteneinsteiger, etwas beifallssüchtig und gerade nach seinem pflichtvergessenen Abgang umstrittener denn je. Es ist perspektivlos, unsere Parteiendemokratie schlecht zu reden. Wir haben keine bessere.

Wulff ist kein Mahnonkel. Auch wird er den Bedeutungsverlust des Amts (vieler Institutionen) nicht aufhalten können. Der Mann kann aber Politik erklären, übersetzen, begleiten. Er kann auch unbequem sein. Aber er wird es diskret anstellen und sich nicht als Gegengewicht zum Kanzleramt stilisieren.

SPD und Grüne haben ihre Karten perfekt ausgespielt. Mit Joachim Gauck haben sie auftrumpfen können und sowohl die bürgerlichen Parteien als auch die Linken in Verlegenheit gebracht. Natürlich wäre Gauck mit seiner Biografie ein spannender Präsident gewesen.

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