Essen. In Berlin läuft die Wahl des Bundespräsidenten. Die Art der Abstimmung, wie sie heute dort erneut praktiziert wird, ist dem bekannten Parteienkritiker und Verwaltungswissenschaftler Hans Herbert von Arnim ein Dorn im Auge. Er plädiert für Reformen und die Direktwahl des Staatsoberhauptes.
Herr von Arnim, was haben Sie gegen die Wahl des Staatsoberhaupts in der Bundesversammlung? In der Vergangenheit gab es dort durchaus spannende Wahlgänge.
Hans Herbert von Arnim: Um knappe Mehrheiten geht es nicht. Die Bundesversammlung ist zu einer Schauveranstaltung degeneriert. Dort wird nur nachvollzogen, was Parteiführungen längst entschieden haben. Ich hielte es für richtig, den Bundespräsidenten endlich direkt vom Volk wählen zu lassen.
Warum?
Von Arnim: Zunächst mal kann es in einer Demokratie generell nicht ganz falsch sein, wenn die Bürger ihren obersten Repräsentanten selbst bestimmen. Ein so vom Volk Gewählter könnte aber vor allem mit viel mehr Aussicht auf Erfolg das Gemeinwohl vertreten und ein Widerlager bilden gegen die Übermacht der Parteien.
Es gab 1949 gute Gründe, die indirekte Wahl zu favorisieren.
Von Arnim: Der Parlamentarische Rat hat dem Volk, das dem Diktator Hitler zugejubelt hatte, misstraut. Der direkt gewählte Reichspräsident spielte in der Weimarer Republik in der Tat eine problematische Rolle. Inzwischen sind solche Bedenken unnötig. Nach 60 Jahren Demokratie-Erfahrung im Westen und 20 Jahre nach der friedlichen Revolution im Osten und dem Fall der Mauer sollte kein Zweifel mehr an der demokratischen Reife der Deutschen bestehen. Und die geringen Kompetenzen des Bundespräsidenten sind mit der Machtfülle des Reichspräsidenten auch gar nicht vergleichbar.
Das Amt des Bundespräsidenten würde durch Direktwahl aufgewertet. Müsste es dann nicht auch weitergehende Kompetenzen erhalten?
Von Arnim: Ich sehe nicht, weshalb das nötig wäre. Es geht nicht darum, dem Bundespräsidenten die Machtfülle eines Ersatzmonarchen zu verschaffen wie sie etwa der französische Präsident hat. Wichtig ist etwas anderes: Wenn der Bundespräsident die direkte Legitimation durch das Volk besitzt, könnte er seine weichen, informellen Befugnisse - vermittelt durch die Rede und die Berufung wirklich unabhängiger Sachverständigen-Kommissionen - mit mehr Autorität wahrnehmen. Er hätte aber auch mehr Rückhalt, um etwa die Ernennung von hohen Richtern und politischen Beamten aus den Klauen der Parteipolitik zu befreien. Man hat ja fast vergessen, dass es der Bundespräsident ist, der solche Ernennungen vorzunehmen oder sie zu verweigern hat.
Auf jeden Fall gäbe es in der Politik Machtverschiebungen. Warum ist das kein Problem?
Von Arnim: Weil wir in Deutschland ein ganz anderes Problem haben, nämlich eine Übermacht der Parteien. Es wäre sehr wünschenswert, wenn der Bundespräsident hier ein Gegengewicht bilden würde. Die meisten Amtsinhaber haben das auch versucht, und es ist ja kein Zufall, dass Roman Herzog, Richard von Weizsäcker und eben auch Horst Köhler eine Direktwahl anregten. Wer die Okkupation der Politik durch die Parteien, die nach dem Grundgesetz ja nur an der politischen Willensbildung mitwirken sollen, zurückdrängen will, der kann das als direkt Gewählter eben besser.
Und die Parteien wären dann draußen?
Von Arnim: Das wäre nicht realistisch und auch nicht sinnvoll. Bei der Wahl hätte in der Regel nur eine Chance, wer die Unterstützung einer etablierten Partei besitzt. Die Direktwahl würde dem Staatsoberhaupt aber ein Eigengewicht geben, sodass er sich leichter von den Parteien emanzipieren könnte.
Vermutlich würde dann der Druck wachsen, das gesamte Wahlsystem stärker in Richtung einer direkten Demokratie zu verändern.
Von Arnim: ...was ich sehr begrüßen würde. Denn auch bei den Parlamentswahlen entscheiden die Parteien, nicht die Bürger, wer ins Parlament kommt. Voraussetzung ist das Durchlaufen der innerparteilichen Ochsentour, ohne dass ausreichend klar würde, was sie sonst noch für das Mandat qualifiziert. Weil die politische Klasse weiß, dass ihr Geschäftsmodell in Gefahr geraten könnte, versucht sie natürlich auch bei der Wahl des Bundespräsidenten alles beim Alten zu lassen. Aus ihrer Sicht ist das verständlich, denn für viele ist der Erhalt des Mandats untrennbar mit der Sicherung des beruflichen Status verknüpft. Die Bürger sehen das aber anders, und ihre Sicht sollte in einer Demokratie maßgebend sein.
Wird das Amt nicht zu attraktiv für Populisten?
Von Arnim: Natürlich muss ein direkt gewählter Bundespräsident dem Volk aufs Maul schauen, er kann aber auch mit mehr Aussicht auf Erfolg unangenehme Wahrheiten aussprechen.
Aber bestimmt nicht kurz vor der Wahl. Da müsste ein Bundespräsident Wahlkampf machen.
Von Arnim: Natürlich, selbst der jetzige Amtsinhaber macht ja derzeit unausgesprochen Wahlkampf - und seine Herausforderin Gesine Schwan ganz offen. Entscheidend ist, dass der direkt gewählte Präsident als Anwalt der Bürger die Übermacht der Parteien besser eindämmen könnte.