Essen. Im Superwahljahr könnte der Wähler meinen, er hätte unheimlich viel zu sagen. Das hält der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler Hans Herbert von Arnim für blanke Illusion. Eine Besprechung seines Buches "Volksparteien ohne Volk".

„Die wichtigsten demokratischen Entscheidungen werden von Parteiführungen in Kungelrunden über die Köpfe der Wähler hinweg getroffen", schreibt er in seinem jetzt erschienenen Buch mit dem provokanten Titel "Volksparteien ohne Volk".

Bei der Europawahl beispielsweise habe der Bürger nur die Möglichkeit, das Kreuzchen für die Wahlliste der Partei seines Vertrauens zu machen. Wer Abgeordneter wird, hätten die Parteigremien durch Listenplätze bereits lange vor der Wahl festgelegt. Daher sei das innerparteiliche Strippenziehen für die nach Brüssel strebenden Politiker wichtiger als der Dialog mit den Wählern. Diese Bürgerferne sei das Hauptproblem bei den Europawahlen: Kaum ein Wähler kenne die fast anonymen, ihm von Parteien aufgedrückten Kandidaten.

Für eine unerhörte Zumutung für die großen Mitgliedsstaaten hält von Arnim die Verteilung der Mandate im Europaparlament. So repräsentiere jeder der 99 deutschen Parlamentarier jeweils rund 830 000 Einwohner. Die 22 belgischen Abgeordneten dagegen 400 000 und das kleine Malta mit seinen fünf Abgeordneten jeweils nur 82 000. „Vom demokratischen Prinzip ,one man, one vote' kann deshalb nicht die Rede sein”, so der Autor.

Dieser Irrwitz werde noch durch die in Deutschland geltende Fünf-Prozent-Hürde verschärft. So müsse die CSU in Bayern - das allein größer als viele der 27 EU-Mitgliedsstaaten ist - weit über 40 Prozent der Stimmen holen, um die auf das ganze Bundesgebiet bezogene Sperrklausel zu überspringen.

Wer es über einen guten Listenplatz seiner Partei ins Europaparlament geschafft habe, dem gehe es wirtschaftlich gut. So werden nach der Europawahl 2009 alle Abgeordneten - neben ihren hohen Spesen für den Aufenthalt in Brüssel (Erstattung von Mitarbeiterkosten von bis zu 17 540 Euro monatlich, eine Aufwandspauschale von 4202 Euro monatlich und ein Tagegeld von 298 Euro) - einheitlich 7 500 Euro Monatsgehalt erhalten.

Das bedeutet beispielsweise für einen bulgarischen Abgeordneten einen Diätensprung von 606 Prozent, gefolgt von Lettland (plus 328 Prozent) und Rumänien (plus 296 Prozent). Polnische und tschechische Europa-Abgeordnete sind mit 7500 Euro besser bezahlt als ihre Staatspräsidenten daheim. „Europaabgeordnete werden so zum Krösus im eigenen Land." Und wer es auf fünf Jahre Parlament in Brüssel gebracht habe, bekomme ab dem 63. Lebensjahr allein dafür bereits eine Rente von 1300 Euro.

Von Arnims Fazit: „Europa verdirbt die Sitten in den Mitgliedsstaaten.”