Berlin. In Berlin läuft die Wahl des Bundespräsidenten. Die aussichtsreichsten Kandidaten sind Amtsinhaber Köhler und die SPD-Kandidatin Schwan. Dirk Hautkapp ist für DerWesten mit dabei. Er berichtet von Procedere, Pannen, Politikern - und erklärt, warum es gut sein kann, Westerwelle zu heißen

Horst Seehofer (CSU) lehnt lässig an der Regierungsbank. Sigmar Gabriel (SPD), der Umweltminister, plaudert mit einem Genossen. Oben, wo die Fernsehstationen ihre Basis haben, reden sich die allmählich die Kommentatoren warm. Es ist 11 Uhr im Reichstag. Langsam steigt die Spannung.

Um 11.54 Uhr beginnt mit lautem Klingelgeläut der Countdown zur Kür des neuen Staatsoberhaupts. Um 12 Uhr ist der Saal gefüllt mit 1223 Wahlmännern- und frauen. Einer, der Linkspartei-Delegierte Wolfgang Gehrcke, fehlt wegen eines Herzinfarktes. Auf den Pressetribünen zücken die Journalisten ihre Blöcke, die Vertreter des diplomatischen Corps stellen ihr Simultanübersetzungs-Geräte scharf. Es hat das Wort: Norbert Lammert, Bundestagspräsident, der erste Parlamentarier des Hauses.

Anders als sein Vorgänger Wolfgang Thierse (SPD), der sich beim letzten Mal auffällig oft verhaspelte, redet Lammert fehlerfrei und auf den Punkt. Zehn Minuten nutzt er, um den Wahltag in den Kontext zu rücken, spricht vom Grundgesetz als einer der „großen exemplarischen Verfassungen der Welt“, lobt die Deutschen in Ost und West, die das Grundgesetz erst mit Leben erfüllt hätten. „Das Vertrauen in die beste und freiheitlichste Verfassung, die Deutschland je hatte, ist nicht vom Himmel gefallen“, sagte Lammert, „es ist dem Grundgesetz über die Jahre erst zugewachsen.“ Dafür erhält er den ersten Applaus des Tages.

Autopanne auf dem Weg nach Berlin

Der beginnt für die Vertreter aller Parteien morgens um 9 mit einem ökumenischen Gottesdienst in der St.-Hedwigs-Kathedrale. Mit dabei: Bundespräsident Horst Köhler und seine Herausforderin Gesine Schwan. Gegen halb 11 dann füllt sich die Fraktionsebene unter der Reichstagskuppel. SPD, Union, FDP und Linkspartei lassen ihre Leute zum Zählappell antreten. Bald schon wird allgemeine Vollständigkeit vermeldet. Selbst bei den zehn Freien Wählern (FW) aus Bayern, die am Freitagabend kurz für Aufregung sorgen sollten. Der Grund: Auf der Fahrt in die Hauptstadt war ein Kleinbus mit Delegierten des Wählerbündnisses bei Hof wegen einer Panne liegengeblieben. Rechtzeitig am Morgen kommen sie dann doch noch in Berlin an.

Zwecks Vermeidung von Pannen am Herzort der Demokratie ergreift Bundestagspräsident Lammert gegen 12.10 Uhr dann noch einmal formal das Wort, erklärt das Wahlprozedere („Nicht die blauen Wahlausweise abgeben!“), bestellt die Hauptschriftführer an seine Seite, die später die Stimmen sortieren werden und lässt mit Hilfe deutlicher Mehrheiten das Ansinnen der vier rechtsextremen Wahlmänner von NPD und DVU nach rhetorischer Selbstdarstellung kühl niederstimmen.

Wer Westerwelle heißt, kann ans Buffet

Um 12.21 Uhr sind die Regularien erledigt. Der erste Wahlgang beginnt. Eine weitgehend unspektakuläre Veranstaltung, bei der 1223 Leute nacheinander blaue Stimmzettel in durchsichtige Urnen stecken und dabei eine Stunde lang schwätzend herumstehen, nimmt ihren Lauf.

Wie immer zieht sich die Auszählung der Stimmen hin, alphabetisch werden die Mitglieder der Bundesversammlung zur geheimen Abstimmung gerufen. Wer spät drankommt und zum Beispiel Guido Westerwelle heißt, kann sich noch ausgiebig an den vielen Buffets laben, die auf den Gängen aufgebaut sind. Oder das tun, was viele Delegierte offenkundig mit Leidenschaft tun: nach Art asiatischer Pauschal-Touristen im Plenarsaal fotografieren, was das Zeug hält; vorzugsweise sich selbst mit Politprominenten.

Christian Wulff ist hibbelig

Wer in die Gespräche hineinlauscht, hört bis 13 Uhr zwei Standard-Erwartungen: a) dass die Sache doch bitteschön im ersten Wahlgang über die Bühne gehen möge, weil man dann b) rechtzeitig zum Start des letzten Bundesligaspieltags gemütlich vor dem Fernsehschirm sitzen könne. Ganz besonders hibbelig ist Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). „Hoffentlich kann ich den Zug nach Wolfsburg um 15.48 Uhr erreichen“, sagt er.

Ob die Übung gelingen würde, ist um 13.10 Uhr - der Buchstabe S – ist gerade aufgerufen, noch ungewiss. Zu den vielen Unwägbarkeiten gehört das Phänomen der Anders-Wähler, die sich womöglich nicht an die Absprache der Partei halten, für die sie nach Berlin entsandt sind, Zum Beispiel Heiner Brand. Der Handball-Bundestrainer, auf SPD-Ticket in der Wahlrunde, hatte am Freitagabend nicht an der Sondersitzung der SPD-Fraktion und der Wahlparty der Sozialdemokraten im Hamburger Bahnhof teilgenommen, wo Gesine Schwan ihren Geburtstag feierte und von Ehemann Peter Eigen mit einem Saxofonständchen beschenkt wurde. Brands Abwesenheit hatte Spekulationen genährt, der Schnauzbartträger könne ins Köhler-Lager übergetreten sein. Brand schüttelte in mehreren Interviews staatstragend den Kopf und erklärte sein Fehlen mit einem Oberschenkelhalsbruch seiner Frau; ohne seine Wahlentscheidung öffentlich zu machen.

Von A bis Zypries

Um 13.23 Uhr ist der letzte Name, der von Justizministerin Brigitte Zypries, aufgerufen. Es schlägt die Stunde der Stimmzähler, die immer nach derselben Methode vorgehen: Die Stimmkarten werden erst gesichtet und dann in 20er Päckchen für die jeweiligen Kandidaten geschichtet. Danach setzt eine erneute Kontrolle ein. Und die Stimmkarten werden in 100-er Päckchen gestapelt. Alles muss seine Ordnung haben. Spätere Reklamationen oder Ein- Sprüche gegen die Wahl sind nicht möglich gewesen. Die Stimmkarten werden nicht aufbewahrt, sondern nach der Bundesversammlung vernichtet.

Um 13.30 Uhr beginnt das große Warten im Reichstag. Gegen 14.15 Uhr soll das Ergebnis des ersten Wahlgangs vorliegen.