Essen. Der Krankenstand in NRW ist so niedrig wie selten zuvor. Ärzte beklagen, dass sich immer mehr Arbeitnehmer krank zum Job schleppen und warnen vor den gesundheitlichen Folgen. Arbeitsmarktexperten sehen eine Ursache in der wachsenden Angst um den Job.

Arbeitnehmer in Nordrhein-Westfalen lassen sich nur noch selten krank schreiben. Diese Entwicklung beobachten die Betriebskrankenkassen (BKK) in NRW. Der Krankenstand war demnach im ersten Halbjahr 2009 in Nordrhein-Westfalen mit 3,46 Prozent besonders niedrig. Im Juni haben sogar nur 2,81 Prozent der bei der BKK im Land gesetzlich Versicherten mit Krankengeldanspruch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Zum Vergleich: Der Jahresdurchschnitt 2008 lag bei 3,7 Prozent.

Angst um den Job

Arbeitsmarktexperten sehen den Grund für die niedrige Zahl der Krankschreibungen in der Wirtschaftskrise. „Die Angestellten haben schlichtweg Angst um ihren Job“, erklärt Werner Marquis von der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit. In wirtschaftlichen Krisenzeiten gehe der Krankenstand erfahrungsgemäß zurück. „Wenn der Druck auf die Arbeitnehmer steigt, sinkt der Krankenstand.“ Immer mehr Mitarbeiter schleppen sich demnach krank zum Arbeitsplatz.

Eine Entwicklung, die Dr. Leonhard Hansen als Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein mit Sorge betrachtet. „Die Angestellten spielen den Märtyrer und gehen krank zum Job“, erzählt Hansen, selbst seit 31 Jahren als niedergelassener Hausarzt tätig, aus seinem Praxisalltag. Gerade leichtere Erkrankungen würden häufig nicht ernst genommen.

„Früher haben sich die Patienten bei einem grippalen Infekt oder Rückenschmerzen krank schreiben lassen. Manchmal vielleicht auch ein wenig zu großzügig“, sagt der Mediziner. „Heute überlegen sich die Arbeitnehmer aus Sorge um ihre Stelle zweimal, ob sie nicht doch lieber ins Büro gehen.“ Zum Teil würden die angeschlagenen Mitarbeiter auch gar nicht zum Arzt gehen, sondern sich in der Apotheke selbst mit Medikamenten eindecken.

Dabei ist der falsch verstandene Ehrgeiz nicht ungefährlich. „Wenn eine Erkrankung verschleppt wird, kann das schwerwiegende gesundheitliche Folgen haben“, betont Hansen. „Im schlimmsten Fall setzen die Patienten sogar ihr Leben aufs Spiel.“

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