Berlin. Sachthemen stehen zu Beginn der Koalitionsverhandlungen ganz oben auf der Tagesordnung. Trotzdem geht bereits das Gezerre um die Posten los. Das erste Ausrufezeichen setzt die FDP. Laut Partei-Vize Pinkwart ist Westerwelle als Vizekanzler und Außenminister gesetzt.
FDP-Chef Guido Westerwelle steht nach den Worten von Parteivize Andreas Pinkwart als Vizekanzler und Außenminister in der geplanten schwarz-gelben Koalition nicht in Frage. In den Koalitionsverhandlungen gehe Inhalt vor Personalien, dabei gebe es zwei Ausnahmen, sagte Pinkwart der «Leipziger Volkszeitung». Das seien für ihn «Angela Merkel als Bundeskanzlerin und Bundesaußenminister Guido Westerwelle als Vizekanzler.»
Der nordrhein-westfälische Innovationsminister steht selbst als Bundesminister «nicht zur Verfügung». Er sehe als stellvertretender Ministerpräsident seine Rolle als «Themensetzer, als Mit-Garant einer Gestaltungsmehrheit auch über den Bundesrat sowie als Garant für die Verbindung von wirtschaftlicher Vernunft mit der Wahrung der sozialen Gerechtigkeit».
Verhandlungen bis 27. Oktober
Eine Woche nach ihrem Sieg bei der Bundestagswahl nehmen Union und FDP heute ihre Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung auf. In der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen in Berlin treffen am Nachmittag jeweils neun Vertreter der Parteien aufeinander. Die Verhandlungen sollen möglichst bis zum 27. Oktober abgeschlossen sein.
Das Treffen soll in erster Linie organisatorische Fragen klären. Anschließend geht es an die inhaltliche Arbeit, bei der als zentrale Punkte die Steuer- und Finanzpolitik, die innere Sicherheit, das Gesundheitssystem und die künftige Energieversorgung im Mittelpunkt stehen.
In zwei Wochen ist nach Angaben aus Unionskreisen vom 16. bis 18. Oktober eine Marathonsitzung geplant, bei der möglicherweise schon alle vorrangigen Themen abschließend behandelt werden. Denkbar scheint es nach Angaben aus CDU-Kreisen, dass strittige Themen wie der Kündigungsschutz aus den Koalitionsverhandlungen ausgeklammert werden.
Streit ist vorprogrammiert
FDP-Vizechefin Cornelia Pieper sagte im MDR Info, man werde über alle Themen sprechen und auch Unterschiede nicht aussparen. «Den Gesundheitsfonds halten wir nicht für vernünftig, deshalb sind wir dagegen», lenkte sie den Blick auf einen Streitpunkt mit der Union.
Außerdem beharrt die FDP auf Steuersenkungen. Pieper zufolge sollten dafür bisherige Ausgaben und Subventionen auf den Prüfstand gestellt werden. So sei die Bundesagentur für Arbeit «ein aufgeblasener bürokratischer Apparat». Allein ihre Umstrukturierung könne dem Staat drei bis vier Milliarden Euro bringen. Auch bei der Entwicklungshilfe für China und Indien sehe sie Einsparpotenzial.
Der CDU-Arbeitsmarktexperte Ralf Brauksiepe schloss derweil eine Lockerung des Kündigungsschutzes erneut aus. Im Deutschlandradio Kultur sagte er, der Union sei es wichtig, dass es keinen Abbau von Arbeitnehmerrechten gebe. Änderungen bei den branchenspezifischen Mindestlöhnen lehnte Brauksiepe ebenfalls ab.
Bsirske kündigt Widerstand an
Unmittelbar vor den Verhandlungen wurde eine Vielzahl von Forderungen an die Unterhändler laut. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) warnte die Unionsparteien vor «unverantwortlichen Kompromissen in der Innen- und Rechtspolitik». Von einer «Verwässerung der rechtlichen Grundlagen zur Verbrechensbekämpfung profitieren allein die Organisierte Kriminalität und der islamistische Terrorismus», sagte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg.
Zu Wort meldete sich auch die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK). In der neuen Legislaturperiode sollte ein Patientengesetz die Grundlage für mehr Partizipation, Transparenz und qualitätsgesicherte Information sschaffen, forderte ihr Präsident Rainer Richter.
Ver.di-Chef Frank Bsirske kündigte Widerstand an, falls es zum Sozialabbau komme. «Mit uns ist zu rechnen», sagte Bsirske im ZDF-»Morgenmagazin». Das Programm, für das Schwarz-Gelb antrete, bedeute Umverteilung von unten nach oben. «Die wollen ja die Erbschaftssteuer schleifen und winken ja hinter den Kulissen mit einer Anhebung der Mehrwertssteuer, sie wollen die Lohnarmut ignorieren und das Thema Mindestlöhne nicht weiter vorantreiben», sagte Bsirske.
Roland Koch will nicht nach Berlin wechseln
Der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) strebt nach eigenen Worten nicht das Amt des Bundesfinanzministers an. Koch sagte am Montag im ZDF-Morgenmagazin: «Ich habe sehr früh gesagt, dass mein Platz in Wiesbaden ist.» Auf die Frage, ob er sich einem Ruf der Kanzlerin in ihr neues Kabinett verweigern würde, erklärte Koch: «Ich habe meine Position klar beschrieben.»
Bei den Koalitionsverhandlungen über die künftige Finanzpolitik komme niemand daran vorbei, dass sich Bund und Länder bereits vor der Wahl auf Schuldengrenzen verständigt hätten, sagte Koch. Weder Union noch FDP könnten deshalb sagen: «Wir verschieben schwierige Aufgaben auf die nächste Generation.»
Der CDU-Politiker sagte, der von der FDP kritisierte Gesundheitsfonds sei die Voraussetzung für mehr Marktwirtschaft im Gesundheitswesen. Er sei eine sehr nützliche Grundstruktur für weitere Reformen. «Über Details wird man reden können», erklärte der hessische Ministerpräsident.
Bei den Themen Internetzensur und Vorratsdatenspeicherung erwartet Koch spannende und nicht einfache Koalitionsverhandlungen. Menschen müssten auch geschützt werden, sagte er. Wenn Bilder von Vergewaltigungen von Kindern nicht im Internet verbreitet werden dürften, sei es falsch, von Zensur zu reden. (ddp/ap/afp)