Berlin. Am ersten Tag der Koalitionsverhandlungen gaben sich CDU, CSU und FDP betont harmonisch. Das wechselseitige Anrempeln der vergangenen Tage schien vergessen zu sein. Meinungsverschiedenheiten wurden weggelächelt. Dabei waren gerade die Liberalen noch am Montagvormittag spürbar angesäuert.

Wenn Kleider nicht nur Leute, sondern auch Koalitionen machten, dann wäre manches einfacher an diesem angenehm besonnten Nachmittag in der Berliner Hiroshimastraße gewesen. Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, hat ihr oft getragenes Pink im Jackett der noch für Forschung zuständigen Kabinettskollegin Schavan überlassen und sich hoffnungsfroh in einen petrol-grünen Blazer geworfen. Guido Westerwelle hat sich eine sehr nach königlich bayrischem Blau aussehende Krawatte umgebunden und Horst Seehofer die Beißlust auf alles Liberale mit einem schwarz-gelb gemusterten Binder geknebelt. Die über das Textile hinausreichende Botschaft der Delegationschef von CDU, FDP und CSU zum Auftakt der schwarz-gelben Regierungsbildung in der NRW-Landesvertretung war somit klar: Wird schon werden mit uns, lasst uns nur machen.

Keimfreie Sätze

Und was war mit dem wechselseitigen Anrempeln der vergangenen Tage? Alles weggelächelt. Mit staatspolitisch keimfreien Sätzen wie diesen: „Wir werden diese Koalitionsgespräche in guter Partnerschaft, in großer Fairness miteinander führen, natürlich in dem Bewusstsein, dass es auch Unterschiede gibt, aber vor allen Dingen in dem Bewusstsein, dass wir von den Wählern einen Auftrag bekommen haben, gemeinsam für dieses Land vernünftige Politik zu machen.” (Merkel). Oder : „Jede neue Regierung ist ein neuer Anfang.” (Westerwelle). Oder: „Ich denke, wir werden eine sehr gute Koalitionsvereinbarung hinbekommen.” (Seehofer)

Der „Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs” , der sich neben „Piratenpartei”-Gängern und Atomkraftgegnern als Protestkulisse auf die andere Straßenseite geschlagen hatte, bekam leider nicht mit, was man nur aus der Nähe sah: eine gewisse Verkrampfung auf den Gesichtern der drei Wortführer. Wie Büchsenspanner aller Parteien übereinstimmend durchsickern ließen, legte sich die Anspannung aber im Lauf des Nachmittags. Wohl auch, weil Torsten Liske, Küchenchef der Landesvertretung, sich mit den Feigen-Spießchen und Avocado-Salatbeilagen einige Mühe gegeben hatte. Gegen 19 Uhr sollte zudem ein rustikales Rumpsteak zusätzliche Kraft geben. Die war aber gar nicht vonnöten.

Überraschend große Arbeitsgruppen

Glaubt man jedenfalls den drei Generalsekretären, die für eine inhaltsleere Wasserstandsmeldung vor die Mikrofone traten. Schnittmenge der Worte von Ronald Pofalla (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Dirk Niebel (FDP): ausgezeichnete Atmosphäre - alle bereit für den Neuanfang.

Dabei waren gerade die Liberalen noch am Montagvormittag spürbar angesäuert. CDU/CSU hatten kurzerhand die Anzahl der Experten in den zehn Facharbeitsgruppen von Umwelt über Finanzen bis Gesundheit, die ab heute die Feinarbeit für die Formulierungen im Koalitionsvertrag aufnehmen, kurzfristig nach oben geschraubt. Waren zunächst effektive Dreier-Teams von CDU, CSU und FDP vorgesehen, also maximal neun Leute pro Fachgebiet, so meldete die Union plötzlich für jene Arbeitsgruppe vier oder fünf Vertreter, für andere sogar sechs Abgesandte an. Vermutetes Kalkül: Wenn am Ende insgesamt 160 oder sogar 180 Parlamentarier aller Denkschulen und Flügel beteiligt sind, kann später niemand meckern und sich mit dem beliebten Mich-hat-ja-keiner-gefragt herauslügen.

In den Arbeitsgruppen kriegt es FDP-Oldie Hermann Otto Solms beim Thema Finanzen mit Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere (CDU) zu tun. Und Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) muss sich auf dem Feld der Innen- und Sicherheitspolitik mit der Bürgerrechtsvertreterin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zusammenraufen. Ob die Masse allerdings die Schlagkräftigkeit und das von Angela Merkel gewollte Verhandlungstempo erhöhen wird, muss sich noch herausstellen. „Das weiß doch jeder, je mehr Leute, desto detailverliebter die Gespräche, desto größer die Aussicht auf Stillstand und Nichteinigung”, sagte ein pikierter FDP-Verhandler der WAZ.

Liberale Brücken

Einer, der sich auf weitaus zähere Gespräche einstellt, als gestern erkennbar wurden, ist Horst Seehofer. Sein Hinweis, als einziger in der 27-köpfigen Chef-Runde, die sich am 8. und 14. Oktober von den „Arbeitsbienen” berichten lässt, über 17 Jahre Koalitionserfahrung mit der FDP in Bonn und München zu verfügen, konnte auch als sanfte Drohung verstanden werden. Guido Westerwelle, dessen Programm für viele in der CDU, gerade um NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, Zumutungen enthält, bekräftigte, dass alle Meinungsverschiedenheiten „überbrückbar” seien. Wie begehbar die liberalen „Brücken” sind, wird sich vom 16. bis 18. Oktober zeigen. Dann kommen die Chef-Unterhändler zum vorläufig letzten Verhandlungspoker zusammen.