Washington. Den Friedensnobelpreis hat er gewonnen, aber von seinen politischen Zielen - Arbeitslosigkeit, Gesundheitsreform, Afghanistan - hat Barack Obama (noch) nicht viel erreicht. Das ist dem Wähler nicht entgangen – seine Popularität ist im Sommer dahingeschmolzen. Eine Analyse.

Eine Krankenversicherung für jeden Amerikaner, ein Masterplan für Afghanistan, Reduzierung der Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten: Jeder Brocken für sich genommen ist komplex genug, um alle Aufmerksamkeit für sich in Anspruch zu nehmen. Doch Barack Obama hat nicht nur an einer Front zu kämpfen. Neun Monate nach seinem Amtsantritt steckt der US-Präsident in einem dichten Knäuel von innen- und außenpolitischen Problemlagen, deren Lösung noch in weiter Ferne liegt. Und die Zuversicht im eigenen Land schwindet, dass Obama der richtige Mann am richtigen Platz ist. Obamas Popularität daheim ist über den Sommer wie Eis in der Sonne geschmolzen.

Guantanamo-Schließung verzögert sich

Das war zu erwarten. Noch jeder ambitioniert gestartete amerikanische Präsident hat beim Zusammenstoß mit der Wirklichkeit einen erheblichen Teil seines Supermann-Nimbus' eingebüßt. Auch Obama bildet da keine Ausnahme. Überdies muss man ihm zu Gute halten, dass er schon bei Amtsantritt weit mehr Problemberge auf seinem Schreibtisch vorfand, als andere Amtsinhaber. Doch seine Bilanz fällt bislang eher dürftig aus. Die Schließung des Gefangenenlagers Guantanamo auf Kuba, für Januar 2010 versprochen, rückt zeitlich weit nach hinten. Der klimapolitische Ehrgeiz bleibt auf der Strecke. Schwule Soldaten warten noch immer vergeblich, dass Obama sich für die versprochene Abschaffung ihrer Diskriminierung in den Streitkräften auch wirklich einsetzt. Und die Gesundheitsreform, Obamas Herzstück seiner Reformagenda, wird vom politischen Gegner, aber auch Saboteuren in den eigenen Reihen, Tag für Tag ein Stück weit mehr waidwund geschossen.

Nur in seinen - zunehmend inflationären - Fernseh-Interviews plädiert Obama noch unverdrossen für die Einführung einer staatlichen Alternative zum privaten Versicherungsmodell. Doch dass er nicht bereit ist, sein politisches Gewicht für diese Überzeugung auch in der politischen Arena in die Waagschale zu werfen, lässt längst viele seiner Anhänger an der Entschlossenheit und Führungskraft ihres so charismatischen Vormanns zweifeln.

Keine Spur von Entschlussfreudigkeit

Gestern hü und heute hott - gerade sieben Wochen liegt zurück, dass Obama den Krieg in Afghanistan mit markigen Worten als Notwendigkeit beschwor. Würde er seinen eigenen Worten heute noch trauen, wäre die Entscheidung, weitere Truppen an den Hindukusch zu schicken, längst gefallen. Statt dessen grübelt der Präsident über eine neue - die mittlerweile zweite in seiner noch kurzen Amtszeit - Strategie nach, während die Militärs mit ihren klaren Forderungen nach Truppen-Aufstockungen die Richtung der öffentlichen Debatte prägen.

Wie auf dem Marktplatz geht es in Washington inzwischen zu. Alle reden durcheinander. Und mit jedem Tag, den Obama entscheidungslos verstreichen lässt, schwindet im Land die ohnehin sinkende Zustimmung zu einem Krieg, dessen Blutzoll genau acht Jahre nach Beginn dieses Krieges immer höher wird. Nur ein paar Monate noch - dann hat der Afghanistan-Krieg auch den Vietnam-Krieg als längsten Feldzug der US-Geschichte überholt. In den US-Medien häufen sich längst die Vergleiche mit dem traumatischen Desaster in Südostasien.

Weit mehr noch drücken die Amerikaner die Sorgen vor der eigenen Haustür. Seit gut einem Vierteljahrhundert war die Arbeitslosigkeit nicht mehr so hoch. Und auch an dieser Front hat der Präsident in den Augen der meisten nur schüchterne Antworten zu bieten. Fast jeder zehnte Amerikaner ist nach offizieller Lesart heute ohne Job. Da wächst ein Potential an Unzufriedenheit und Verzweiflung, das sich mit Obamas Hinweis auf ein längst absehbares Ende der Rezession kaum mehr vertrösten lässt.