Witten. Sie warten geduldig in der Schlange, bevor sich die Tür zum Tafel-Lädchen öffnet. Einkaufen zu Weihnachten, wie das ist mit wenig Geld in Witten.

In ihrer Heimat, der Ukraine, waren sie Personalmanagerin oder Sozialarbeiterin. Nun stehen diese
modernen Frauen in den Vierzigern geduldig mit Rentnern und anderen Bedürftigen vor der Wittener Tafel an der Herbeder Straße. Zu verdanken haben die Flüchtlinge das Putin und seinem Angriffskrieg. Trotzdem sind sie froh, dass es das kleine Lädchen mit superbilligen Lebensmitteln überhaupt gibt. Zu Weihnachten ist dort wieder besonders viel los.

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Manche regen sich ja darüber auf, dass die Ukrainer sofort Bürgergeld bekommen. Dass aber auch damit kein großer Start zu machen ist, legt die Warteschlange an diesem Morgen kurz vor Heiligabend nahe. Hier treffen sich alle, die arm sind, oder zumindest zu wenig Geld haben, um ganz normal den Einkaufswagen im Supermarkt vollzumachen. Hier landen weder Schampus noch Gänsebraten, Leberpastete mit Trüffeln oder Lachsschinken im Wägelchen. Und trotzdem sind sie so dankbar, diese Menschen.

Gerade Kohl (links) ist bei der Tafel ein gefragtes Wintergemüse und nicht nur bei den Menschen aus Osteuropa beliebt.
Gerade Kohl (links) ist bei der Tafel ein gefragtes Wintergemüse und nicht nur bei den Menschen aus Osteuropa beliebt. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Vielen, vielen Dank, und frohe Weihnachten“, sagt Olena (40), als sie mit ihrer vollen Tasche das Lädchen verlässt. Die Tafel sei für sie sehr wichtig, sagt die Personalmanagerin aus der Ukraine. „Ich habe zwei Kinder und kann hier Obst und Gemüse für 50 Cent kaufen.“ Wir treffen immer wieder gut ausgebildete Frauen wie sie, die gerne in Deutschland arbeiten würden, deren Deutschkenntnisse dafür aber noch nicht ausreichen. Olena büffelt und schreibt Bewerbungen.

Natalia aus dem zerstörten Mariupol ist glücklich, dass ihre Tochter in Witten in die Schule geht

„Wenn ich mit Kindern arbeiten will, muss ich gut Deutsch sprechen“, sagt Tetiana (45), die bei Saporischschja gelebt hat und als Sozialarbeiterin in einem Kindergarten tätig war. „Wir möchten arbeiten“, betont sie und meint damit auch ihren Mann. Für ihn und für sich holt sie heute die günstigen Lebensmittel, ihre Söhne sind schon groß und leben alleine. „Deutschland ist ein sehr starkes soziales Land“, sagt Tetiana, während sie noch auf Einlass in das kleine Lädchen wartet.

Natalia hat den Einkauf schon hinter sich und kommt schwer bepackt die Stufen hinunter. Sie hat ein rosa Einkaufswägelchen dabei und gelbe Rosen geschenkt bekommen. Ansonsten hat sie das mitgenommen, was man zum Leben braucht: Brot, Kartoffeln, Kohl, Jogurt, Erbsen, Karotten und natürlich frisches Obst.

Menschen kaufen vor Weihnachten im Tafellädchen an der Herbeder Straße in Witten ein.
Menschen kaufen vor Weihnachten im Tafel-Lädchen an der Herbeder Straße in Witten ein. © Jürgen Augstein | Jürgen Augstein

Die 50-Jährige hat auch eines der rund 50 Weihnachtspäckchen bekommen, eingewickelt in schönes rotes Papier. Privatspenden haben diese Pakete erst ermöglicht. Darin sind zum Beispiel Kaffee und Schokolade. Weihnachten wird die Frau aus dem von Russen zerstörten und jetzt besetzten Mariupol aber nicht feiern. Denn sie ist Zeugin Jehovas. „Meine Tochter besucht die dritte Klasse“, sagt Natalia stolz. Sie wirkt glücklich, obwohl sie vor zwei Jahren so eben der Hölle entkommen ist.

Drinnen, in dem kleinen Lädchen, herrscht ein dichtes Gewusel - obwohl sich immer nur ein paar Kunden gleichzeitig dort aufhalten dürfen. An der Kasse steht Andrea (55), die beim Einpacken hilft. Olena, die Personalmanagerin vom Anfang, hat unter anderem Biowürstchen und Paprika gekauft, frische Champignons und Fruchtpunsch. „13,30 Euro“, sagt Andrea. Olena freut sich besonders über die Geschenke für ihre Kinder, einen Eisbär, einen Koalabär und das „Superschlau-Gehirnbuch“.

Der kleine Dawo schläft im Kinderwagen

Diese Momentaufnahmen rühren die Reporterseele und der kleine Dawo, der selig im Kinderwagen schlummert, während seine Mutter einkauft, ist ebenfalls herzerweichend. Seine Mama Evlen (42) ist vor zehn Jahren aus Syrien geflüchtet, wo sie als Kurdin in der autonomen Region gelebt hat. Gefragt, ob sie dorthin nun zurückkehren könne, sagt sie: „Es ist immer noch Krieg, nicht nur ein türkisch-kurdischer, sondern auch ein arabischer. Eine Katastrophe.“ Ihr zweieinhalbjähriger Sohn, der in Deutschland geboren wurde, weiß von all dem Elend auf der Welt zum Glück noch nichts.

Mehr Nächstenliebe zu Weihnachten geht kaum

Andrea, die gerade an der Kasse steht, fragt einen älteren Mann mit Hut und Rucksack: „Möchteste auch ein paar Blumen mitnehmen?“ In seinem Wägelchen hat er schon zwei schön verpackte Pakete, neben Himbeeren, Kiwis und einem Adventskalender. Diese „Tafel“ an der wenig ansehnlichen Herbeder Straße mag vielleicht nicht besonders festlich sein. Aber mehr Nächstenliebe zu Weihnachten geht kaum.

Menschen warten an der Herbeder Straße/Ecke Hans-Böckler-Straße darauf, ins Tafellädchen eingelassen zu werden. Wenn einer rauskommt raus, darf der nächste Kunde rein.
Menschen warten an der Herbeder Straße/Ecke Hans-Böckler-Straße geduldig darauf, ins Tafel-Lädchen eingelassen zu werden. Wenn einer rauskommt raus, darf der nächste Kunde rein. © Jürgen Augstein | Jürgen Augstein