Witten. Sie greifen nicht nach Schampus oder Lachsschinken, sondern zu Kohl, Kartoffeln und Konserven. Ein Besuch bei der Tafel in Witten kurz vorm Fest.
Es regnet wie aus Kübeln und das macht diese Ecke nicht eben gemütlicher. Nur die bunten Schirme der Kinder, die heute ihre Mütter begleiten, geben der traurigen Szenerie etwas Farbe. Es ist Freitag, später Vormittag, zwei Tage vor Heiligabend und die letzte Gelegenheit, den Einkaufstrolley noch einmal für kleines Geld vollzumachen.
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Geduldig warten die Menschen vor dem Altbau an der Herbeder Straße/Ecke Hans-Böckler-Straße. In der Schlange stehen Frauen mittleren Alters in Daunenjacken, Rentner mit Einkaufswägelchen, aber auch ein paar jüngere Leute wie Polina. Die 24-Jährige kommt wie viele Tafel-Besucher aus der Ukraine. Eigentlich würde sie jetzt in einer Buchhandlung für englische Literatur in Kiew jobben und an der Uni dort Tourismus studieren. Stattdessen wartet sie in einer Stadt namens Witten darauf, günstig ein paar Früchte und etwas Gemüse fürs Fest zu holen. Aber Polina strahlt.
Tafel hat 25 feste Spender
25 Supermärkte, Backshops und Bäckereien beliefern regelmäßig die Wittener Tafel mit Lebensmitteln, die nicht mehr in den Verkauf gelangen, aber immer noch haltbar sind. Außerdem gibt es zahlreiche private Spender. Das Tafel-Lädchen an der Herbeder Straße 22 öffnet wieder am Mittwoch, 27. Dezember, von 9 bis 13 Uhr. Frühstück gibt es von 8.30 bis elf Uhr.
685 Kundenkarten sind im Umlauf. Meist handelt es sich bei den Besitzern um Bürgergeldempfänger. Insgesamt werden damit nach Angaben der Tafel rund 1800 Menschen erreicht beziehungsweise mit Lebensmitteln versorgt. Dreimal wöchentlich gibt es auch ein Mittagessen zum Abholen, montags, mittwochs und freitags. An Heiligabend wird am schwarzen Brett auf ein kostenloses Grünkohlessen hingewiesen, 10.30 bis 14 Uhr, Poststraße 12, „solange der Vorrat reicht“.
Sie sei dankbar dafür, dass es solche Hilfsangebote gibt. Und überhaupt ist sie froh, so gut in Deutschland aufgenommen worden zu sein. Ein Gefühl von Scham oder Bedürftigkeit ist ihr nicht anzumerken. Warum auch? Die Tafeln sind längst Normalität in Deutschland. Und vor Weihnachten ist der Andrang größer denn je. „Es kommen noch mal zehn Prozent mehr Kunden als sonst“, sagt Leiter Jürgen Golnik (57).
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Auch Marina (54) ist vor Putins Angriffskrieg geflohen. Sie lächelt ebenfalls unter ihren zwei Kapuzen im Wittener Schmuddelwetter, während sie geduldig auf Einlass wartet. „Ich vermisse meine Familie in Cherson“, sagt die Erzieherin und Mutter von fünf Kindern. Vier blieben in der Ukraine. Sie sind zum Glück schon erwachsen. Marina ist nur mit ihrer Jüngsten (10) geflüchtet.
„Wir werden Kuchen essen und einen ukrainischen Salat mit etwas Fleisch, Eiern, Gurken und Möhren“, sagt die gelerne Erzieherin, die gerade ihre Sprachkurse absolviert. Bei der Tafel holt sie noch einige Lebensmittel. Was sie ihrer Tochter schenken wird? „Ein Plüschtier.“ Ob sie auch ein Präsent bekommt? „Nein“, sagt die Frau aus der gleich zu Kriegsbeginn von den Russen besetzten Stadt. „Meine Tochter wird mir aber ein Bild malen.“
14-Jähriger dolmetscht vor der Wittener Tafel
Das Gespräch mit Marina hat Daniel (14) übersetzt, der mit seiner „Mama und Schwestern“ aus Kiew nach Witten kam. Er besucht die neunte Klasse der Otto-Schott-Realschule und spricht fließend Deutsch. „Meine Mutter schenkt mir einen PC“, sagt der Junge, gefragt, was er zu Weihnachten bekommt. Dann kauft er im Tafel-Lädchen mit der roten Kundenkarte ein paar Sachen ein. Im Korb landen ein paar Äpfel und mehrere Flaschen Cola.
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Zu den Tafel-Kunden gehört auch Andreas, ein 50-jähriger Deutscher vom Sonnenschein mit Mütze, blauer Daunenjacke und weißen Sneakern. Der gelernte Maler ist langzeitarbeitslos, seitdem er vor drei, vier Jahren die Pflege seiner Frau übernommen hat. Auch er nutzt die Möglichkeit, günstig einzukaufen. Ein Kilo Gemüse kostet 40 Cent, Wurst 60, Joghurt 20, Konserven 50. Da wird eine große Tasche für 20 Euro gut voll.
Zu Weihnachten sind natürlich auch Süßigkeiten gefragt, aber auch viele frische Produkte wie Orangen und Mandarinen. Die Inflation hat die Zahl der Besucher noch mal nach oben geschraubt. „Gerade die letzten 14 Tage waren sehr anstrengend“, sagt Leiter Jürgen Golnik. Um die 50, 60 Menschen kamen durchschnittlich jeden Tag. „Gott sei Dank hatten wir genug Ware.“
Bei Obst und Gemüse treffen wir Lara, die als Ein-Euro-Jobberin in dem kleinen Lädchen aushilft. Sie findet es gut, „dass die Leute hier gerade auch gesunde Sachen bekommen“. Die 36-jährige Bürgergeldempfängerin hat selbst eine Kundenkarte, will davon heute aber keinen Gebrauch machen. „Den letzten Tag vor Weihnachten nehme ich nichts mit. Ich habe noch ein bisschen Geld auf dem Konto und gehe so einkaufen“, sagt die alleinerziehende Mutter. Bei ihr zuhause kommt Heiligabend selbst gemachter Flammkuchen auf den Tisch. Ihrem dreijährigen Sohn schenkt sie eine Murmelbahn.
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