Witten. Mein Freund, der Trapper: Autor Manfred Liesche setzt einem Kanadier aus der Tundra ein Denkmal. Darum sieht ihn der Wittener als Mutmacher.
Das digitale Zeitalter verspricht Wunscherfüllung per Mausklick. Alles, fast alles ist immer zu haben, rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Mit steigender Rundumversorgung wächst bei vielen Menschen zugleich der Wunsch nach einem Kontrastprogramm, zum Beispiel nach Wildheit, Kargheit, Ursprünglichkeit. Kein Wunder, dass TV-Dokus wie „Wilde Heimat – Norwegen“ ein Millionenpublikum erreichen. Für den Wittener Manfred Liesche ist Kanadas Wildnis am Polarkreis mehr als ein TV-Abenteuer. Durch seinen Freund Bill wurde sie dem Hobbyautor zur zweiten Heimat. Jetzt hat der 87-Jährige dem Naturburschen ein Denkmal gesetzt – mit einem Buch.
Wir treffen Manfred Liesche daheim am Schnee. Sein Haus steht in einer Mulde. Der Wald ist so nah, dass die klassische Ruhrgebietssilhouette ganz weit entfernt zu liegen scheint. Liesche ist immer noch topfit. „Für eine kleine Kneipenschlägerei reicht es noch“, scherzt der langjährige Kampfsportler. Tatsächlich kämpft er in der warmen Jahreszeit hauptsächlich mit Gras und Grünschnitt – wenn er sich nicht gerade durch die kanadische Wildnis kämpft.
Vor 50 Jahren flog Manfred Liesche erstmals nach Kanada
Die Verbindung zu Kanada entstand durch familiäre Bande. Vor 50 Jahren flog Manfred Liesche zum ersten Mal nach Edmonton. Und das war nur der Anfang. Der Wittener wollte nicht nur als Tourist durch die Blue Rocky Mountains fahren – er wollte per Pickup zum „Great Slave Lake“ in den Nordwestterritorien. Das bedeutete 3000 Kilometer brutale Schotterpisten. „Damals“, erinnert sich der Wittener, „habe ich mich sofort in das wilde, raue Land verliebt.“
Der gelernte Industriekaufmann brauchte buchstäblich Pfadfinder, Einheimische für seinen Trip in die Wildnis. Einer von ihnen, Bill, wurde ein Freund fürs Leben. Liesche freute sich darauf, ihn mindestens einmal pro Jahr zu sehen. Oft genug gönnte er sich gar zwei Aufenthalte mitten im Nirgendwo, in jüngerer Zeit gemeinsam mit seiner Frau.
Bill gab niemals auf - und dann starb seine Frau
Bill stammt aus einer deutsch-schottischen Familie. Er hatte wenig, aber er gab Manfred Liesche emotional viel. Wer war Bill? Das Buch beantwortet die Frage. Durch den allzu frühen Tod von Bills Vater begann sein Erwachsenenleben bereits mit 13 Jahren. Bill war plötzlich der Ernährer seiner Familie, musste deren kleine Farm bewirtschaften, und im Winter war er als Trapper unterwegs.
Als Trapper bezeichnet man einen Fallensteller und Pelztier-Jäger. Bill lernte Winterstürme bei minus 40 Grad auszuhalten – und brütende Sommerhitze. Immer wieder zerstörte Extremwetter die Ernte, mal Dürre, mal Starkregen. Doch Bill gab niemals auf. „Der Teufel der kanadischen Wildnis“ (Buchtitel) konnte ihm nichts anhaben. Erst der Tod seiner Frau Hannah brach dem Trapper das Herz.
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Selbst in dieser Situation gab Bill seinen Freunden aus Deutschland emotional viel. Der Mann aus der Wildnis konnte die Natur lesen. Mehr noch: Er konnte dem Naturfreund aus dem Ruhrgebiet und seiner Frau sogar für die Geheimnisse wilder Wälder und karger Tundren begeistern. Bill war nämlich – so erinnert sich Manfred Liesche dankbar an den inzwischen 81-jährig verstorbenen Kanadier– ein präziser Geschichtenerzähler mit gutem Gedächtnis.
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Und der Freund aus Witten erwies sich als guter Zuhörer. Der Hobbyautor hat die Geschichten aus der Wildnis in bildreicher Sprache aufgeschrieben. Es erinnert ein bisschen an die Abenteuerromane von Jack London. Doch gerade deshalb betont Vielleser Liesche die Wahrhaftigkeit seines Porträts eines Menschen, der auf den ersten Blick unscheinbar sein mochte. Auf den zweiten Blick hat Bill aber eine Botschaft fürs moderne Lesepublikum in krisengeschüttelter Zeit: „Er war“, sagt Manfred Liesche, „ein Mutmacher.“
Manfred Liesche, Der Teufel der kanadischen Wildnis, 176 Seiten mit Fotos von Manfred Liesche und Grafiken von Ingrid Rigot, Books on Demand, 17 Euro.
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