Witten. Die einen freuen sich übers neue Kaufland. Die anderen sind schon froh, wenn sie noch einen Bäcker in der Nähe haben. Zwei Welten in Witten.

„Vier Superknusprige bitte!“ Wenn Norbert Gewitzsch seine Brötchen bestellt, weiß Vanessa Zehner (33) genau, was der 73-Jährige will. Man kennt sich am Steinhügel in Witten-Heven. Der Bäcker ist das letzte verbliebene Geschäft auf der langen Straße zwischen Hellweg und Friedhof. Und dazu noch ein ganz besonderes. Denn welche Siedlung bekommt ein Café und eine Konditorei gleich noch dazu? Nahversorgung im Ortsteil - das ist in Witten eine Geschichte für sich. Die einen haben ganz viel, die anderen hängen am Tropf. Wir haben uns einmal umgesehen - Brötchentest inklusive.

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Die Zehners sind ein Familienbetrieb in dritter, wenn nicht vierter Generation. Vanessa (33) steht hinterm Verkaufstresen, Schwiegermutter Beate (60) macht die berühmten Sahnetorten. Vanessas Ehemannn Friedrich und dessen Vater Friedrich (60) schmeißen ansonsten die Backstube. Inhabergeführt seit Jahrzehnten, das ist längst eine Seltenheit geworden. Für die Menschen vor Ort sind diese Bäckereien ganz wichtig, gerade dann, wenn kein Aldi, Netto oder Edeka in der Nähe ist. So wie am Sonnenschein.

Mittagspause in Wittener Bäckerei am Sonnenschein wie früher von 13 bis 15 Uhr

Dort hat Verkäuferin Regina Domris (60) noch kurz vor der Mittagspause gut zu tun. Mittagspause? Tatsächlich schließt die Bäckerei auf der Ecke, die einst Browatzki hieß und heute vom Herdecker Bäcker Hagenkötter betrieben wird, von 13 bis 15 Uhr. Wie in den guten alten Zeiten. Ein paar Tische, eine Stehbank zum Kaffeetrinken, freundliches Personal und leckere Mettbrötchen - viel mehr braucht der Mensch eigentlich nicht. Oder doch?

„Wir haben hier oben doch gar nichts mehr“, sagt Christine Wiedemann (79), die gerade drei Stücke Pflaumennuss holt. „Die Kinder sind im Haus.“ Tatsächlich gibt es hier, in dieser großen, gerade von älteren Menschen bewohnten Siedlung zehn Busminuten von der Innenstadt entfernt sonst keinen Laden mehr.

Edeka ist bestimmt schon zwölf Jahre nicht mehr da und der Frank vom Kiosk ist auch schon tot“, wissen sie in der Bäckerei auf dem Sonnenschein. Um so dankbarer sind sie noch für Brot und Brötchen, und ja, einen Liter Milch und ein paar Eier bekommt man hier notfalls auch noch.

Die Kunden sind froh, dass es die Bäckerei auf dem Sonnenschein in Witten noch gibt (li. Sabine aus Lütgendortmund mit ihrer Tante, re. Verkäuferin Regina Domris.
Die Kunden sind froh, dass es die Bäckerei auf dem Sonnenschein in Witten noch gibt (li. Sabine aus Lütgendortmund mit ihrer Tante, re. Verkäuferin Regina Domris). © Jürgen Augstein | Jürgen Augstein

„Der Apfelkuchen ist supergut. Und die Vollkornbrötchen sind auch lecker“, sagt Sabine (58), die eigentlich aus Lütgendortmund kommt, an der Bäckerei auf dem Sonnenschein aber gerne anhält, wenn sie auf dem Weg zu ihrer 87-jährigen Tante in Langendreer ist. „Gerade morgens haben wir viele Stammkunden“, sagt Verkäuferin Regina Domris (60), die schon seit 27 Jahren im Laden ist und wie ihre Kolleginnen Diana, Korina und Eva gleich um die Ecke wohnt. „Hier wird auch viel gequatscht. Die Menschen schütten ihr Herz aus.“

Bis vor zweieinhalb Jahren hatten sie neben Rogenmischbrot und Amerikanern, Hausbrot und Streuselkuchen noch mehr Lebensmittel im Kühlregal, etwa Wurst, Käse und Margarine. „Gerade die älteren Kunden bedauern, dass wir das nicht mehr haben“, sagt Domris. Denn jeder Weg zum Einkaufen in die Stadt ist weit. „Aber Seifenpulver krieg ich ja nicht beim Bäcker“, sagt Christine Wiedemann, die Dame mit Pflaumennuss. „Wenn mir was fehlt, fahre ich runter in die Stadt, zu Netto oder Boni.“

Einziges Geschäft auf dem Sonnenschein in Witten: die Bäckerei Hagenkötter.
Einziges Geschäft auf dem Sonnenschein in Witten: die Bäckerei & Konditorei Hagenkötter. © Jürgen Augstein | Jürgen Augstein

Zum Einkaufen in die City? Das ist in Heven, wo die Zehners seit Jahrzehnten ihre Bäckerei mit Café und Konditorei betreiben, eigentlich nicht nötig. Sie sind zwar das einzige Nahrungsmittelgeschäft zwischen Billerbeckstraße und Hellweg. Aber jenseits des Steinhügels, einmal rüber über die Universitätsstraße, gibt es ja das wirkliche Nahversorungszentrum: Backhaus, Aldi, Edeka - es könnte schlimmer sein.

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Trotzdem strömt die Kundschaft herbei, nicht nur wegen der knackigen Brötchen. Wie gesagt, auch die hausgemachten Torten von Beate Zehner haben einen guten Ruf in Heven. Die lässt man sich bei Trauer- und Geburtstagsfeiern ebenfalls schmecken. Oder beim Treffen der Seniorengruppe. Es gibt sogar einen Mittagstisch mit Frikadellen und Schnitzeln zum Abholen.

„Sieben Brötchen“, bestellt gerade Monika Jacob (80), die aus Bochum zu Besuch ist. „Haben Sie auch Mohn und Dinkel?“ Christoph Grollmisch (37) kommt mit seiner kleinen Tochter vorbei, die eine coole Sonnenbrille trägt. Vanessa Zehner begrüßt das Mädchen freudestrahlend: „Guten Morgen, Frau Grollmisch.“ Deren Papa findet die inhabergeführte Bäckerei „total wichtig“. Er lobt die Qualität und den persönlichen Kontakt.

Café und Konditorei Zehner am Mittwoch, dem 7. August 2024
Auf dem Steinhügel nicht wegzudenken: Café und Konditorei Zehner ist schon lange das letzte Geschäft auf der langen Straße zwischen Hellweg und Friedhof. © FUNKE Foto Services | Walter Fischer

Hildegard Breitkopf (72) schiebt ihren Enkel Paul im Kinderwagen herein. Der kleine Blondschopf trägt einen blauen Gipsarm, bekommt von Vanessa Zehner aber ein Mini-Croissant als Trostpflaster geschenkt. Man kennt sich. „Wie lange muss er den Gips noch tragen?“, fragt Zehner.

Konditorin Beate Zehner ist berühmt für ihre Sahnetorten.
Aber bitte mit Sahne: Beate Zehner und ihrem Mann Friedrich gehört die Bäckerei mit Café und Konditorei auf dem Steinhügel in Witten-Heven. © Jürgen Augstein | Jürgen Augstein

An der Wand im Café hängen Schwarzweißbilder, die von der langen Geschichte des Familienbetriebs erzählen. Und aus einer Zeit stammen, als es in der Nebenstraße „Auf dem Hee“ noch einen Tante-Emma-Laden, Blumen und eine Metzgerei gab, wie sich Konditorin und Chefin Beate Zehner erinnert. Nur ihre Bäckerei hat überlebt, obwohl die großen Supermärkte gar nicht weit sind.

Fazit: Die Zutaten, sie scheinen bei den Zehners und Hagenkötters, Weidlers und Graßhoffs (Backhaus) zu stimmen, den letzten inhabergeführten Betrieben in Witten. Und vielleicht übernimmt oben auf dem Steinhügel ja irgendwann der kleine Fritz Zehner den Laden von Opa und Oma, der sicherlich irgendwann mal seinen Eltern gehören wird. Oder eine seiner Schwestern steigt mit ein. Dann in fünfter beziehungsweise sechster Generation. Die Kunden werden es ihnen danken. Hauptsache, „superknusprige“ Brötchen.