Witten. Arthur Venn baute ab 1948 die Lokalredaktion Witten auf. Seine unrühmliche Karriere im NS-Regime hat nun ein Historiker rekonstruiert.
1948 erschienen die ersten Nachrichten aus Witten in der WAZ – damals noch nicht im eigenen Lokalteil, sondern unter der Leiste „Bochum-Witten“. Erster Korrespondent in der Ruhrstadt und später Redaktionsleiter war Dr. Arthur Venn. Über den 1905 geborenen Journalisten war bislang wenig bekannt. Nun hat Historiker Ralph Klein nach zweijähriger Recherche ein Buch über ihn veröffentlicht – mit erschreckenden Erkenntnissen.
So meldete sich der gebürtige Essener Venn im Zweiten Weltkrieg nicht nur als Kriegsfreiwilliger bei der Waffen-SS, sondern wurde auch ein geschätzter Kriegsberichterstatter. Später stieg er zum persönlichen Pressereferenten von Heinrich Himmler auf, der den systematischen Mord an den europäischen Juden organisierte und einer der mächtigsten Männer des NS-Regimes nach Adolf Hitler war. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte Venn zurück nach Witten, wo er zuvor schon mit seiner Frau und den Kindern gewohnt hatte – und schrieb für die junge Westdeutsche Allgemeine Zeitung, die von Erich Brost, einem Antifaschisten und Verfolgten der Nazis, gegründet wurde.
Venn fand nach Kriegsende scheinbar mühelos in die neue Realität
Diesen bemerkenswerten Werdegang hat Stadthistoriker Ralph Klein in mühevoller Archivarbeit zusammengetragen. Für ihn gliedert sich Arthur Venn ein in eine ganze Reihe von Journalisten der deutschen Nachkriegszeit, die sich scheinbar mühelos in die neue politische Realität einfanden – obwohl sie davor mit oder für das Nazi-Regime gearbeitet hatten.
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Venn, der nach dem Tod seines Vaters mit der Mutter im Ledderken in Witten aufwuchs, studierte in München und Heidelberg, wo er auch 1933 seine Dissertation in Philologie erhielt – allerdings mit der schlechtest möglichen Note. Er hängte ein Studium in Bonn an, wollte Lehrer werden. Zu dieser Zeit war Venn bereits verheiratet und hatte zwei Kinder.
Historiker: Venn war nicht nur ein „formaler Nazi“
Währenddessen arbeitete er für den Westdeutschen Beobachter (WB). Laut Klein ein „rassistisches Hetzblatt“. Denn der WB war die Parteizeitung der dortigen NSDAP. „Das waren Sprachrohre, eintönig, schrill, voller lautstarker Erfolgspropaganda und antisemitischer Hetze“, so Klein. Venn war bei dem Blatt so erfolgreich, dass er nach einem Jahr sein Studium an den Nagel hing und als fester freier Mitarbeiter so gut verdiente, dass er auch seine Familie aus Witten nach Bonn nachholte. „Was er dort geschrieben hat, war immer gemäß der Nazi-Ideologie“, sagt Klein.
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1933 trat Venn der NSDAP bei, 1940 dann als Kriegsfreiwilliger der Waffen-SS. „Und das obwohl er mittlerweile als Schriftleiter (=Redakteur, Anm. d. Red.) etabliert war, ein gutes Einkommen und ein ruhiges Leben hatte“, so Klein. Was für den Historiker den Schluss nahelegt, dass es sich bei Venn nicht nur um einen „formalen Nazi“ gehandelt habe. „Er muss auch ein engeres Interesse an der Ideologie gehabt haben.“ Die Waffen-SS habe den Nationalsozialismus militärisch verkörpert, so Klein. Ziel war es, Europa auf völkisch-rassistischer Grundlage völlig neu zu ordnen.
Als Kriegsberichterstatter beim Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion
Nach einer Station in Holland und einem abgebrochenen Offiziers-Lehrgang wechselte Venn 1941 in die SS-Kriegsberichter-Kompanie, eine kleine Spezialtruppe, die den Kampfverbänden der SS zugeordnet wurde und diese begleiteten – auch aufs Schlachtfeld. „Er war immer an vorderster Front mit dabei“, sagt Klein, quasi „mit Gewehr und Schreibmaschine“.
Für Venn ging es an die Ostfront. Die Einheit, die er als Kriegsberichter begleitete, war es auch, die im ukrainischen Mariupol ein Massaker an den rund 10.000 dort lebenden Juden mit durchführte. „Das muss Venn mitbekommen haben“, sagt Klein. So habe es abends auch Saufgelage und gemeinsame Feiern gegeben. In seinem darauffolgenden Bericht lobte Venn aber lediglich die militärischen Leistungen der Soldaten, das Massaker erwähnte er nicht.
Venn wird persönlicher Pressereferent von SS-Reichsführer Himmler
Im März 1943 wurde Venn dann – vermutlich auch aufgrund persönlicher Kontakte – auf Befehl Himmlers nach Berlin geholt. Für die nächsten zwei Jahre war er persönlicher Pressereferent des Reichsführers-SS. Seine Aufgabe fortan: „Die komplette Presse-Arbeit der SS ging durch seine Hände – zumindest was eine gewisse Wichtigkeit hatte“, sagt Klein. Dazu gehörte auch das Redigieren von Reden Himmlers. Abends sei Venn dann gelegentlich beim Abendessen mit SS-Granden an einem Tisch gesessen. Hätte er diesen Job ausführen können, ohne selbst Nazi zu sein, fragt sich der Historiker. Nein, findet Klein. Für ihn war Venn ein „gefestigter Nationalsozialist“.
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Nach der Niederlage des NS-Reiches landete Venn für drei Jahre in Internierungshaft. Dann wurde er vor ein damals übliches Spruchgericht in der Britischen Besatzungszone gestellt. Dieses stufte Venn 1948 als „Mitläufer“ ein und verurteilte ihn zu einer dreimonatigen Haftstrafe wegen Zugehörigkeit zur SS. Doch wegen seiner vorherigen Haft galt die Strafe als abgegolten. Er kehrte nach Witten, wo seine Familie mittlerweile wieder lebte, zurück.
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Biografie geglättet und umgeschrieben
Ende April 1948 schließlich bewarb er sich bei der gerade frisch gegründeten WAZ. Ein halbes Jahr arbeitete er als freier Mitarbeiter, dann wurde er gefragt, ob er die Lokalredaktion in Witten aufbauen wolle. 16 Redakteure seien damals für die Lokalredaktionen eingestellt worden, so Klein. 14 davon seien ehemalige Schriftleiter wie Venn gewesen. Das war ein offizieller Titel in der NS-Zeit und gleichzeitig ein zentrales Instrument zur Gleichschaltung der Presse. Journalisten waren mit dem dazugehörigen Gesetz quasi zu staatstreuen Beamten gemacht worden.
Wie konnte Artur Venn mit dieser Vergangenheit in der ausdrücklich sozial-liberalen WAZ Fuß fassen? Wohl dadurch, dass er wie viele andere seine NS-Biographie neu- und umgeschrieben habe, so Klein. Da wurde aus dem persönlichen Referenten von Himmler ein einfaches Rädchen im Getriebe. „Er stellte es so dar, als habe er Akten von A nach B getragen“, so Klein. Das sei auch schon bei seiner Entnazifizierung seine Strategie gewesen.
Zeit des Nationalsozialismus kam in der Wittener WAZ unter Venn nicht vor
Bei seiner Berichterstattung für die WAZ habe es keine wirklichen Auffälligkeiten gegeben. Bemerkenswert sei aber, was nicht geschrieben wurde. „Der Nationalsozialismus fand in der Wittener WAZ nicht statt“. sagt Klein. So wurden die Verbrechen der Nazis nie thematisiert, die deutsche Bevölkerung als Opfer eines Krieges, der wie eine Naturgewalt über sie gekommen war, dargestellt.
Sechster Band zur Wittener Stadtgeschichte
Das Buch „Arthur Venn, ein deutscher Journalist“ ist im Verlag De Noantri erschienen. ISBN: 978 3 943643 26 8. Erhältlich ist es in der Buchhandlung Lehmkuhl, Marktstraße 5. Bestellbar ist es auch online über den Verlag.
Es ist der sechste Band der Reihe „Wittener Hefte für Stadtgeschichte“. Zuletzt erschienen: „Von Witten nach Auschwitz – Die Deportation der Sinti und Roma im Nationalsozialismus“.
Arthur Venn leitete die Wittener Lokalredaktion bis 1970, als er mit 65 Jahren in den Ruhestand ging. Seine Vergangenheit war bis zum jetzigen Zeitpunkt nie Teil unserer Berichterstattung – auch weil bislang nicht viel über den Mann bekannt war. Diese Lücke schließt nun das im Noantri-Verlag erschienene Buch von Ralph Klein.
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