Essen. Wie WAZ-Gründer Erich Brost den Sprung vom Arbeitersohn zum Medienpionier geschafft hat und was ihm im Leben am wichtigsten war.
Das Jahr 1936 – das Jahr, in dem er die Heimat verlor. Die Warnung seiner Vertrauten, sein Leben sei in Gefahr, erreichte Erich Brost auf der Rückreise aus Genf, wo er beim Völkerbund, dem Vorgänger der Vereinten Nationen, um Schutz der Danziger Bevölkerung vor dem Terror der Nationalsozialisten ersucht hatte.
Seine Heimatstadt war zwar nach dem verlorenen 1. Weltkrieg vom Deutschen Reich abgetrennt worden, aber auch hier griff die Hitler-Partei nach der Macht. Während sich der „Führer“ bei den Olympischen Spielen in Berlin inszenierte, prügelten seine Schergen in Danzig NS-Gegner nieder, verschleppten sie in Kerker und KZ.
Und auf der Liste derer, die sie zum Schweigen bringen wollten: ein schmächtiger Mann Anfang 30, Journalist, Parlamentarier, Sozialdemokrat, der ihnen, seit sie die erste Hakenkreuzfahne hissten, Widerstand bot. Wäre Erich Brost nach der Warnung nicht sofort ins Exil geflohen – es hätte wie für andere aus seiner Redaktion den Tod bedeuten können.
Das Danzig seiner Jugend
Sein Leben hatte am 29. Oktober 1903 im westpreußischen Elbing nahe der Ostsee begonnen, dem heutigen Elblag in Polen. Fast ein Jahrhundert wird es währen. Es wird ihn die Kaiserzeit Wilhelm II. erleben lassen, ihn durch zwei Weltkriege, die Weimarer Demokratie, die NS-Diktatur bis in die Zeit der deutschen Wiedervereinigung führen. Es wird den Arbeitersohn aus der Provinz zu einem Medienpionier der jungen Bundesrepublik werden lassen.
Sein Elternhaus ist sozialdemokratisch. Der Vater, ein Monteur, engagiert sich in der Gewerkschaftsbewegung, die Repressionen durch Staat und Industrielle ausgesetzt ist. Die Familie leidet, als der Vater, weil er streikte, die Arbeit verliert. Das vergisst Erich Brost nie. Der Weltkrieg verschlägt die Familie nach Danzig, der Vater wird Soldat. Er folgt dem Kriegsruf des Kaisers, doch nicht mit „Hurra“. Säbelrasseln wird zeitlebens auch nicht Sache seines Sohnes sein.
Dieses Danzig, die einstige Hansestadt, erhält eine schicksalhafte Bedeutung für Erich Brost. Noch im hohen Alter wandern seine Gedanken häufig zurück, in schöne und in hässliche Zeiten. Hier beginnt er eine Buchhändlerlehre, lernt er Margarete kennen, die er 1928 heiraten wird.
Brosts Widerstand gegen die Nazis
Hier bringt er es bei der „Danziger Volksstimme“ mit jungen Jahren zum stellvertretenden Chefredakteur. Und hier zieht er für die SPD als Abgeordneter ins Danziger Parlament ein. In beiden Funktionen bietet er den Nationalsozialisten die Stirn – bis deren Nachstellungen ihn mit Margarete ins Exil treiben.
Ihre Odyssee treibt sie von Polen nach Finnland, nach Schweden und endet vor Weihnachten 1942 vorerst in London, wo die BBC Erich Brost beim deutschsprachigen Programm einsetzt, das die Goebbelsche Hetzpropaganda konterkarieren soll.
Als Brost einmal gefragt wird, was ihm das Wichtigste im Leben gewesen sei, nennt er nicht die publizistischen und wirtschaftlichen Erfolge – er sagt: „Dass wir Widerstand geleistet haben gegen die Nazis.“
Am 8. Juni 1945, einen Monat nach der Kapitulation des „Dritten Reichs“, kehrt der jetzt 41-Jährige mit den Briten nach Deutschland zurück. Er arbeitet in Köln und Essen für deren Zeitungen und bei „Radio Hamburg“, als die Engländer den zuvor NS-verseuchten Rundfunk demokratisieren. Deutschen Mitarbeitern gegenüber sind sie sehr misstrauisch, aber ihm vertrauen sie blind.
Journalismus oder Politik?
Nun geht es Schlag auf Schlag. Ein Jahr führt er die „Neue Ruhr Zeitung“ in Essen, dann beruft ihn die SPD zum Kontaktmann mit dem Alliierten Kontrollrat in Berlin ... Was nun Erich Brost: Journalismus oder Politik?
Die Antwort gibt das Angebot der Briten, an der Ruhr eine neue, parteiunabhängige Zeitung zu gründen. Sie gehen davon aus, dass Brost trotz seiner sozialdemokratischen Wurzeln politisch Balance hält: Er ist ja kein ideologischer Eiferer, eher konservativ in seinem Wesen, strebt politische Stabilität und Aussöhnung an, nicht Diffamierung. Er erhält die Lizenz Nr. 192 – die Geburtsurkunde der WAZ.
Ein kometenhafter Aufstieg
Brost nimmt den Essener Journalisten Jakob Funke zum Partner, einen glänzenden Organisator und Kenner des Reviers. Funke leitet den Verlag, Brost die Redaktion. Zwar werden sie sich später entzweien, doch beginnt unter ihrer Regie der kometenhafte Aufstieg des neuen Blatts zur „Stimme des Ruhrgebiets“. Sie soll, so formuliert es Chefredakteur Brost, „das Zusammengehörigkeitsgefühl der Ruhrbevölkerung fördern“ – und entschieden sozial eingestellt soll sie sein.
Der kommerzielle Erfolg des zum Konzern wachsenden Unternehmens ist enorm, doch lässt ihn nicht abheben. Sein Haus im Essener Süden atmet Gediegenheit, den Bungalow umgibt noch zur Jahrtausendwende der Charme der 50er- und 60er-Jahre. Großbürgerlich, aber nicht großspurig. Kein Prunk, kein Protz.
Der zentrale Wohnraum gleicht einer Bibliothek, verrät Brosts stille Passion: Ein „Bücherwurm“ mit besonderem Interesse an geschichtlicher Fachliteratur ist er Zeit seines Lebens. Manchmal wirkt er, der eher zurückhaltend auf Menschen zugeht, wie ein wenig im Gestrigen lebend.
Brost gibt die Chefredaktion ab
1970 legt Brost die Chefredaktion in die Hände seines Vertrauten Siegfried Maruhn. 1975, neun Jahre nach dem Tod seiner Frau Margarete – aus ihrer 38-jährigen Ehe ging der Sohn Martin hervor – , heiratet er Anneliese Brinkmann, seit Anfang der WAZ seine Sekretärin und rechte Hand. Bis ins hohe Alter bleibt er präsent in seinem Büro, lässt sich von der Chefredaktion über die Weltlage berichten.
Am 8. Oktober 1995, drei Wochen Wochen vor dem 92. Geburtstag, stirbt Erich Brost. Im Ruhrgebiet hatte er seine neue Heimat gefunden.
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Dieser Beitrag erscheint anlässlich des 75. Geburtstages der WAZ. Alle Artikel zum Jubiläum finden Sie unter waz.de/75jahrewaz. Unsere große Jubiläumsausgabe können Sie auch online durchblättern als digitales „Flipbook“: waz.de/jubilaeum.