witten. . Im heutigen Schiller-Gymnasium folterten die Nazis etwa 200 Wittener. Ralph Klein beleuchtet das im Buch „Die Wände waren mit Blut bespritzt“.

20 Jahre war Friedrich Brauckmann, da wurde er auf einen Stuhl gefesselt und mit Gummiknüppeln bearbeitet. Seine Nase wurde zertrümmert, die Zähne ausgeschlagen, er erlitt eine Rippen- und Nierenverletzung. 20 SA- und SS-Männer schlugen 1933 auf den Elektromonteur im damaligen Nazi-Deutschland ein. Nicht irgendwo, sondern mitten in Witten.

Genau diese Ortsnähe macht das neue Buch des Historikers Ralph Klein so bedrückend. In seinem Werk „Die Wände waren mit Blut bespritzt...“ über den sogenannten Tränenkeller im damaligen Schillerlyzeum stellt der Wittener nicht nur erschütternde Schicksale vor, sondern er nennt auch die Namen von Opfern und Tätern. Von Menschen, die damals vielleicht Nachbarn waren und sich auch nach dem Ende des Nazi-Terrorregimes auf den Straßen dieser Stadt begegneten. Oder besser: begegnen mussten.

58 Namen von Menschen, die im Tränenkeller misshandelt wurden, konnte Klein nachweisen. „Doch es gab mindestens 200 Opfer“, schätzt der 62-Jährige. Etwa ein Jahr lang sei der Tränenkeller in Gebrauch gewesen, die letzten Fälle seien von Februar 1934 bekannt. Aber eigentlich hätten die Nazis jenen Teil des Gebäudes vom Keller bis zum Dachboden für ihre grausamen Methoden genutzt: „Dort oben gab es ebenso Scheinerschießungen wie unten auf dem Schulhof“, weiß er. Und die Schiller-Schülerinnen in den anderen Gebäudeteilen hätten das mitbekommen. Auch die Schreie der Gefolterten seien bis auf die Straße zu hören gewesen. „Aber genau das war Teil der Inszenierung. Die Nazis wollten Angst erzeugen und Leute einschüchtern“, so Stadtarchivarin Dr. Martina Kliner-Fruck.

Eine Gedenktafel am Schiller-Gymnasium erinnert an den Tränenkeller, wie er im Volksmund genannt wurde. Die Tafel wurde 1992 angebracht.
Eine Gedenktafel am Schiller-Gymnasium erinnert an den Tränenkeller, wie er im Volksmund genannt wurde. Die Tafel wurde 1992 angebracht. © Klaus Pollkläsener

„Viele meiner Quellen stammen aus Nachkriegsprozessen, als die Männer ihre Geschichten erzählen konnten“, so Klein. Denn unter den direkten Tränenkeller-Opfern sind nur vier Frauen historisch nachweisbar. Indirekt waren aber viel mehr betroffen: „Denn wenn die Männer in den Tränenkeller kamen oder länger inhaftiert wurden, waren damit auch die Ernährer weg. Damit begann für zahlreiche Familien der soziale Abstieg“, weiß der Experte. Die Frauen seien dann mit den Kindern meist in Wittener Randgebiete gezogen, um selbst Misshandlungen zu entgehen. Die meisten der Tränenkeller-Opfer seien Sozialisten und Kommunisten gewesen. Friedrich Brauckmann war übrigens vorgeworfen worden, eine Waffe versteckt und einen SS-Mann mit einem Messer bedroht zu haben. Doch bei ihrer Razzia fanden die Hilfspolizisten weder Waffen noch sonst etwas Belastendes.

Ralph Klein sieht sein Buch als Mischung: „Es ist für historisch interessierte Laien, aber auch ein seriöses wissenschaftliches Buch auf dem neuesten historischen Forschungsstand.“ Ein besonderes Augenmerk hat der Historiker auf die bisher recht unerforschte Rolle der Hilfspolizisten gerichtet, die damals ihre Willkür ausleben konnten. Sie bestanden aus Mitgliedern der SA, SS und sogenannten Stahlhelm-Leuten. Das waren ehemalige Frontsoldaten, die mit den Nazis kooperierten.

Mehrere Jahre hat Ralph Klein an seinem Buch gearbeitet. „Aber die Kurve bekam ich damals durch die Einladung von Petra Köppeler-Müther“, erinnert er sich. Die Geschichtslehrerin des Schiller-Gymnasiums hatte ihn 2003 erstmals eingeladen, mit Schülern durch den Tränenkeller zu gehen und darüber zu erzählen. „Das haben wir mehrfach wiederholt. Meistens mit Schülern der neunten oder zehnten Klassen, wenn das Thema Nazi-Zeit auf dem Plan steht“, so Petra Köppeler-Müther. Auch andere Wittener Bürger hat Ralph Klein schon durch den Tränenkeller geführt. Damit dieses dunkle Kapitel nie in Vergessenheit gerät.

Startauflage von 250 Exemplaren

Ralph Kleins Buch „Die Wände waren mit Blut bespritzt“ ist im Verlag de Noantri in einer Startauflage von 250 Exemplaren erschienen. Es hat 323 Seiten, ist etwas bebildert, kostet 19 Euro und ist in den Wittener Buchhandlungen erhältlich.

Das Buch wurde gefördert vom Stadtarchiv Witten/Stadtgeschichtsfonds, dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL), dem SPD-Stadtverband Witten und vom Wittener Bundestagsabgeordneten Ralf Kapschack.