Witten. Kindern und Jugendlichen mehr Bildung zu ermöglichen – das ist aus Sicht der Fraktion Stadtklima in Zukunft die wichtigste Aufgabe für Witten.
Am Montag (15.2.) hat der Rat der Stadt den neuen Haushalt verabschiedet. Die Fraktionen durften wegen Corona nicht – wie sonst üblich – ihre Haushaltsreden in der Sitzung vortragen. Sie wurden lediglich zu Protokoll gegeben. Hier lesen Sie das Statement von Michael Hasenkamp, Fraktionsvorsitzender der Partei Stadtklima, im Wortlaut:
„Die Freude über die weise Entscheidung der Wittener Wählerinnen und Wähler, nach 75 Jahren die SPD-Führung unserer Stadt zu beenden, überlagert nicht die Verantwortung zur Zusammenarbeit. Gerade in der Kommunalpolitik kommt es darauf an, ohne weltanschauliche Scheuklappen gemeinsam mit allen im Rat vertretenen Gruppen und Parteien zusammenzuarbeiten. Dies sage ich nicht nur vor dem Hintergrund der komplizierten Mehrheitsverhältnisse. Die Fraktion Stadtklima steht allen Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses für offene Gespräche zum Wohle unserer Stadt zur Verfügung. Dieses Gesprächsangebot gilt ausdrücklich auch für die Mitglieder der Linken.
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Mit Lars König haben wir einen integren und fähigen Bürgermeister, dem die Wählerinnen und Wähler mit einer Zustimmung von über 60 Prozent ein überzeugend starkes Mandat erteilt haben. Dieses Mandat verlangt Erneuerung und Veränderung. Mit mehr als 400 Mio. Euro Gesamtverschuldung und einer überbordenden und ineffizienten Verwaltung werden wir Witten nicht konsolidieren können. Dieser Haushalt trägt die Handschrift der Vergangenheit. Es fehlen notwendige strukturelle Veränderungen.
Thema Grundsteuer: Mieter und Eigentümer in Witten werden abgezockt
Die abgewählte Leidemann-Politik hat dramatische wirtschaftliche und gesellschaftliche Schäden hinterlassen. Der Wittener Hebesatz für die Grundsteuer B wurde im Jahre 2013 von 470 Punkten auf 590 Punkte, im Jahre 2015 auf 690 Punkte und im Jahre 2016 auf 910 Punkte angehoben. Eine unanständige Erhöhung um 94 Prozent innerhalb von drei Jahren. Damit wurde Witten die Hauptstadt der Steuerungerechtigkeit in Deutschland. Mieter und Eigentümer in Witten werden abgezockt. Wir alle bezahlen mit der hohen Grundsteuer für die jahrzehntelange Misswirtschaft.
Ein besonders trauriges Beispiel ist die Grundsteuer für ein Mehrfamilienhaus in Rüdinghausen. Hier zahlt der Eigentümer für rund 600 m² Wohnfläche 17.500 Euro pro Jahr! Also etwa 50 Euro pro Tag oder 2,43 Euro pro m² Wohnfläche im Monat. Eine 100-m²-Wohnung in diesem Hause verschlingt 243 Euro monatliche Grundsteuer. Damit ist weder eine Vermietung noch ein Verkauf des Hauses möglich. Diese Steuerbelastung vernichtet Eigentum und Vermögen. „Wir enteignen die Menschen durch Steuern und Abgaben“, sagte kürzlich der Präsident des Bundes der Steuerzahler.
Allen Wittenern droht nun weiteres Ungemach: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Bemessung der Einheitswerte für die Grundsteuer verfassungswidrig ist. Das bedeutet, dass neue höhere Einheitswerte die jetzt schon extremen Wittener Steuersätze zusätzlich verteuern werden. In diesem Würgegriff der Steuerschraube leidet die Wittener Wirtschaft besonders stark unter den aktuellen Kondemnationen der Pandemie. Witten erwartet auf der Grundlage der Hiobsbotschaften der heimischen Unternehmen einen dramatischen Einbruch der Gewerbesteuer. Der Kämmerer rechnet nur noch mit 36 Millionen Euro Einnahmen für das laufende Jahr. Im Haushalt waren 60 Millionen vorgesehen – das wären 24 Millionen weniger als eingeplant und ein Rückgang um 40 Prozent. Eine wirtschaftliche Katastrophe.
Laut einer aktuellen Steuerschätzung des Deutschen Städtetags wird das Gesamtaufkommen der Gewerbesteuer 2020 gegenüber dem Vorjahr um rund 24 Prozent sinken. In unseren Nachbarstädten liegt der Rückgang zwischen 10 und 20 Prozent. Witten wird wohl Spitzenreiter des Einbruchs. Unsere Unternehmen sind durch die extrem hohe Grundsteuer, die schlechte Infrastruktur der Straßen und digitalen Netze gebeutelt. In der Krise wirken sich diese negativen Standortfaktoren überproportional aus. Den gesunkenen Einnahmen stehen nun auch noch Ausgaben in Höhe von 313 Millionen Euro gegenüber. Also mindestens 8 Mio. Euro mehr als 2020. Das Jahresergebnis der Stadt liegt damit rein rechnerisch bei einem Minus von 26,6 Mio. Euro.
Thema Stadtverwaltung: Keine neuen Stellen einrichten
Zu diesen Mehraufwendungen tragen auch die zusätzlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung bei. Es ist schlicht falsch, in dieser Zeit neue Stellen einzurichten. Wir brauchen eine professionelle Organisationsuntersuchung der musealen Wittener Verwaltung. Niemand kann ernsthaft die Notwendigkeit eines Beauftragten für Digitalisierung,Klimaschutz oder Radverkehr bestreiten. Diese Aufgaben müssen aber an vorhandene Mitarbeiter übertragen werden. 14 neue Ingenieure in der Bauverwaltung sind eine Unmöglichkeit. Die notwendige Prozessbeschleunigung erreichen wir nicht mit zusätzlichen Personalkosten. Die Prozesse gilt es zu verändern. Die Wittener Verwaltung leidet an Ineffizienz, Führungsschwäche, mangelnder Leistungskontrolle und Motivation.
Thema Pferdebachstraße: Schlechte Planung
So leidet die Baustelle Pferdebachstraße bis heute unter den Auswirkungen schlechter Planung: keine ausreichende Untersuchung des Baugrundes, mangelhafte Abstimmung beteiligter Maßnahmenträger und keine professionelle Koordination der Baumaßnahme mit anderen Eingriffen in den Straßenverkehr. Auch die Finanzierung läuft aus dem Ruder. Ursprünglich sollte der Umbau 12,4 Mio. Euro kosten. Durch das Zugreifen auf unterschiedliche Fördertöpfe wurde ein verbleibender städtischer Eigenanteil von 1,9 Mio. Euro errechnet. Diese Rechnung geht aber nicht mehr auf. Die Planungsfehler und die drohende Bauverzögerung bis 2023 werden nach Einschätzung von Experten Mehrkosten von bis zu 10 Mio. Euro verursachen. Dieses Desaster ist mangelnder Professionalität und nicht einem Personalmangel geschuldet. Oder braucht Witten drei Bauräte?
Die Personal- und Versorgungsaufwendungen steigen schwindelerregend. Von 89 Millionen in diesem Jahr auf 95,6 Millionen in 2021. „Sehr dynamisch“ nennt unser Kämmerer die Entwicklung bei den Versorgungsaufwendungen für die bereits oder in den nächsten Jahren pensionierten Beamten. Wir sollten der Wittener Öffentlichkeit die Wahrheit sagen. Zum Beispiel auch die Wahrheit über die Pensionsforderungen der ehemaligen Bürgermeisterin. Derjenigen Dame, die 16 Jahre lang an der Spitze dieser Misswirtschaft stand und nun als Reaktion auf ihre Depossedierung überzogene Forderungen stellt.
Die Folgen der Pandemie
Das „Institut der deutschen Wirtschaft“ stellte im Juni 2020 fest: Witten erreicht nur Platz 362 von 394 Gemeinden bei Lebensqualität, Wohnen und Arbeiten. Die Folgen der Corona-Krise treffen Witten daher besonders hart. Covid-19 wird unsere Gesellschaft nachhaltig verändern. Es wird eine ewige evolutionäre Herausforderung bleiben, mit diesen und zukünftigen viralen Angriffen umzugehen. Das Handels- und Gastronomieangebot wird sich vollständig anpassen. Wir werden auch in Witten deutlich weniger Flächen für den Einzelhandel benötigen. Durch Homeoffice freiwerdende Büroflächen können zu Wohnzwecken genutzt werden. Eine weitere Versiegelung von Freiflächen ist nicht erforderlich. Brachliegende Industrie- und Gewerbeflächen müssen aufbereitet und planerisch entwickelt werden.
Das ehemalige Thyssengelände in Annen zum Beispiel darf nicht in die Hände von Spekulanten geraten. Hier müssen klare städtebauliche Konzepte für eine nachhaltige Nutzung im Vordergrund stehen. Die Erhaltung eines lebensfähigen und klimagesunden Umfelds muss die städteplanerischen Konzepte leiten. Die Bebauung des Kornmarktes ist überflüssig.
Thema Stärkungspakt: Verfehlte Wirtschaftspolitik
Im nächsten Jahr läuft zudem der Stärkungspakt für schwache Gemeinden aus. So erhält Witten etwa in diesem Jahr von Bund und Land 17,5 Mio. Euro – den Durchschnitt als Ausgleich für die weggebrochene Gewerbesteuer. Dennoch bleibt die Stadt damit auf 7,5 Mio. Euro sitzen, weil die Einnahmen durch diese Steuer tatsächlich um 25 Millionen Euro zurückgegangen sind.
Diese hausgemachten Wittener Probleme sind das Ergebnis einer verfehlten Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte. Wir haben es nicht geschafft, dieses rund 10 Mio. Euro-Geschenk aus dem Stärkungspakt zur Gesundung zu nutzen. Ohne weitere Geldgeschenke von Bund und Land wird es eng für Witten. Wir werden in Zukunft unseren Haushalt nur genehmigt bekommen, wenn wir nachweisen, dass wir innerhalb von zehn Jahren alle unsere Altschulden tilgen können. Ohne massive und konsequente strukturelle Veränderungen ist das unmöglich. Hierzu müssen wir jede dritte Stelle in der Verwaltung abbauen und die Grund- und Gewerbesteuern deutlich senken, um Anreize für die heimische Wirtschaft zu schaffen.
Thema Bildung: Mehr Engagement für Kinder und Jugendliche notwendig
Besonders dramatisch ist vor diesem Hintergrund, dass wir keinen finanziellen Spielraum erarbeitet haben, um die wichtigste Aufgabe einer Stadt zu erfüllen: den Kindern und Jugendlichen eine zukunftsgerichtete Bildung ermöglichen. Die digitale Infrastruktur in den Schulgebäuden ist nicht ausgebaut. Viele Schulgebäude sind in einem so schlechten Zustand, dass sie eigentlich entkernt werden müssten. Fachräume für die Naturwissenschaften entsprechen schon längst nicht mehr dem heutigen Standard. Die Schulhöfe, die auch Spielfläche für Kinder sein sollen, sind wenig einladend. Das ist an einigen Schulen allerdings noch das geringste Problem.
Der Hilferuf der Bruchschule hat uns dies auf traurige Weise deutlich vor Augen geführt: zerstörte Sitzecken, Vandalismus am Gebäude, mit Fäkalien verunreinigte Sandkästen und herumliegende Drogentütchen. Dazu die schwierige soziale Struktur der Schulumgebung, in der sich gerade Parallelgesellschaften entwickeln.
Schulen besser schützen
Hier wäre ein rigoroses Durchgreifen der Verwaltung nötig: Schutz des Schulhofes durch Einzäunung und Ausleuchtung sowie Kontrolle durch einen Sicherheitsdienst. Förderklassen, die Kinder mit Migrationshintergrund oder Integrationsproblemen unterstützen können, wurden wieder abgeschafft. Der Antrag des Kinder- und Jugendparlamentes, der sehr ausgewogen und vernünftig eine Einfriedung des Schulhofgeländes der Bruchschule vorsah, wurde mit der linken Mehrheit aus SPD, Linken, Piraten und Grünen abgelehnt.
Dieses weltanschaulich motivierte Blockdenken ist ein gefährliches Signal. Die rot-rot-grünen neosozialistischen Bestrebungen dürfen Witten nicht belasten. Wer Schulhöfe und andere öffentliche Plätze vorsätzlich beschmutzt oder beschädigt, braucht keine Streetworker, sondern die Härte der Gesetze. Leider sind die Akzente dieser rückwärtsgewandten linken Ideologie im Haushalt erkennbar.
Die zunehmende Verschuldung wird Witten für mindestens zwei zukünftige Generationen belasten. Mit diesem Haushalt verweigern wir den Kindern unserer Stadt eine solide Bildungschance und bürden ihnen eine gewaltige Schuldenlast auf. Die Corona-Pandemie hat diese Umstände noch deutlicher ans Tageslicht gebracht. Der Schutz und die Bildung unserer Kinder müssen in einer Kommune die höchste Priorität genießen. Mit aller Kraft soll sich die Verwaltung für die Kinder und Jugendlichen einsetzen.
Ein erster Schritt wäre das Erarbeiten eines Konzeptes für Ferienprogramme zur Aufarbeitung der Pandemiefolgen im Bildungsbereich. Der Landtag NRW hat dazu am 3. Februar 2021 Fördermittel in Höhe von 36 Mio. Euro zur Verfügung gestellt. Die außerschulischen Angebote sollen gemeinsam mit Bildungsanbietern vor Ort umgesetzt werden.
Die Aufgaben, die auf die Stadt Witten und ihren neuen Bürgermeister in den kommenden Jahren warten, sind gewaltig und zahlreich. Die Fraktion Stadtklima wird genau darauf achten, dass diese professionell, konsequent und nachhaltig angegangen werden. Wir sind für Kooperationen bereit. Diesen Haushalt lehnen wir ab.“